Schweizer gelten als Weltmeister im Sammeln und Recyceln von PET-Flaschen. Doch wie ökologisch ist das Recycling von Einweg-Plastikflaschen? Daniel Birnbaum, Chef der Wassersprudler-Firma Sodastream, äusserte im Interview mit der «Schweiz am Wochenende» scharfe Kritik: «Das Recycling ist in vielen Ländern einfach nur ein Sammeln. Ein Grossteil der Flaschen wird in Drittweltländer verfrachtet. Dort werden sie entweder verbrannt oder in andere Plastikprodukte umgewandelt, zum Beispiel als Schalen für Früchte und Gemüse im Supermarkt. Oder für synthetische Kleider.»
Jede Flasche, die man kaufe, sei neu, so der Chef des Weltmarktführers von Sprudelmaschinen. Kunden sollten sich deshalb nicht einreden, dass sie eine neue Flasche verhindern, wenn sie eine PET-Flasche in einen Recycling-Container werfen. PET steht für den Kunststoff Polyethylen-Terephthalat, chemisches Produkt, das aus Erdöl hergestellt wird.
Laut Birnbaum, der die israelische Sodastream 2018 an den Pepsi-Konzern verkauft hat, wird der Plastik verbrannt und gerät in Form von Nanoplastik in die Atmosphäre, oder er endet in den Ozeanen. «Ich war in Honduras und habe gesehen, wie dort der Plastikmüll entsorgt wird: In einem riesigen Käfig gleich neben dem Meer. Jedes Mal, wenn ein Sturm durchs Land fegt, landet der Müll im Wasser.»
Birnbaums Kritik sorgt bei der hiesigen Mineralwasser-Branche für Aufregung. Der Non-Profit-Verein PET-Recycling Schweiz kontert auf Anfrage die Kritik des Firmenchefs: «Im Vergleich zu vielen anderen Ländern sind wir in der Schweiz in der glücklichen Situation, dass wir einen funktionierenden PET-Kreislauf haben», sagt eine Sprecherin. «Das heisst, dass wir aus alten PET-Getränkeflaschen wieder neue PET-Getränkeflaschen machen.» Die Sortierung und die Verwertung finden vollständig in der Schweiz statt. «Weder verbrennen wir PET-Getränkeflaschen noch exportieren wir sie.»
Allerdings bestehen heute Schweizer Flaschen erst zu 40 Prozent aus Recycling-PET. Der Rest ist neues Plastik. Zwar landen über 90 Prozent aller PET-Flaschen in Sammelstellen. Wegen unterschiedlicher Farben und Verunreinigungen kann aus technologischen Gründen heute noch nicht die ganze Menge zu neuen Flaschen recycelt werden.
Immerhin: Dank einer im April neu eröffneten Verwertungsanlage in Bilten GL – laut dem Verein ist es die modernste Europas – soll in den kommenden Jahren der Durchschnittswert von Recycling-PET auf 50 Prozent erhöht werden. Laut der Vereinssprecherin ist Schweizer PET derzeit so beliebt wie noch nie. «Die verfügbaren Mengen für 2019 waren bereits im Februar ausverkauft.»
Viele Konzerne füllen einen Grossteil ihrer Ice-Teas und Mineralwasser aber noch immer in Flaschen aus komplett neuem PET ab. Flaschen, die komplett aus wiederverwertetem Material hergestellt sind, gibt es heute nur vereinzelt. Bei der Migros bestehen zum Beispiel die Sirup-Flaschen neuerdings aus 100-Prozent-Recycling-PET. Beim Mineralwasser soll dies bis 2025 der Fall sein. Der Discounter Lidl will hierzulande die Recycling-Fähigkeit aller Kunststoffverpackungen auf 100 Prozent steigern. Bei einer Mineralwasser-Eigenmarke wurde dies bereits erreicht.
Heute funktioniert das PET-Recycling-System hierzulande nach folgendem Muster: Nach dem Sammeln werden die Flaschen an drei Standorten in der Schweiz sortiert: in Frauenfeld TG, Grandson VD, und in Neuenhof AG. Danach wird das sortierte Material in Verwertungsanlagen recycelt, ebenfalls in Frauenfeld TG sowie in Bilten GL. Das aufbereitete Material wird folglich an Flaschenhersteller und Getränkefirmen verkauft, wie zum Beispiel die Migros-Industrietöchter Bischofszell und Aproz oder Goba in Gontenbad AI. Das Recycling-PET, das nicht zu Flaschen verarbeitet werden kann, wird anderweitig stofflich verwertet, zum Beispiel zu Folien oder Textilfasern.
Der Verein PET-Recycling räumt ein, dass der Sodastream-Chef mit seiner Kritik nicht völlig falsch liegt. «Leider ist es tatsächlich so, dass die Sammlung und Verwertung von PET-Getränkeflaschen und Plastikprodukten in vielen Ländern – vor allem in weniger entwickelten Ländern – nicht funktioniert.»
Greenpeace Schweiz sieht die Situation allerdings auch hierzulande kritisch. Zwar sei das Schweizer Bewusstsein für die Abfalltrennung gross. In Bezug auf die Abfall-Vermeidung sehe es hingegen anders aus. So würden Schweizer Haushalte mit 720 Kilogramm pro Person und Jahr hinter den USA und Dänemark weltweit am drittmeisten Abfälle produzieren. Die Bemühungen, den Anteil an Rezyklat in Plastikflaschen zu erhöhen seien gut. «Aber 60 Prozent der Flaschen bestehen noch immer aus Neuplastik und es kann keinesfalls von einem geschlossenen Kreislauf gesprochen werden», sagt ein Greenpeace-Sprecher. Es brauche eine neue Denkweise. Und Konsumgüterkonzerne seien gefordert, auf alternative Mehrweg-Liefersysteme zu setzen. Mit Blick auf das Ziel «Zero Waste» (null Abfall) laute die Reihenfolge: vermeiden, reduzieren, wiederverwenden, recyceln, kompostieren.