Die Vorwürfe sind happig: Eines der fünf wichtigsten Papers zur Entstehung von Alzheimer soll Fälschungen beinhalten. Erstautor Sylvain Lesné von der Universität Minnesota steht im Verdacht, in seiner einflussreichen Studie aus dem Jahr 2006 Bilder von Proben manipuliert zu haben.
Seine Alzheimerstudie ist eine der meistzitierten der letzten 20 Jahre, bis heute wurde sie in 2269 anderen Arbeiten erwähnt. Auch wurden Millionen von Forschungsgeldern mit Verweis auf diese Studie in neue Projekte investiert.
Sollten die Vorwürfe zutreffen, hätte ein ganzes Forschungsfeld jahrelang das falsche Protein untersucht. Diese These veröffentlichte das Wissenschaftsmagazin «Science» letzten Freitag. Die Anklage wird gestützt von mehreren renommierten Alzheimerforschern.
«Es gibt keine Zweifel, die Vorwürfe treffen zu», sagt Adriano Aguzzi, Professor für Neuropathologie und Direktor des Instituts an der Universität Zürich. Aguzzi vermutet, dass Lesné nicht nur bei dieser viel zitierten Arbeit betrogen hat, sondern auch bei weiteren.
Das sei insbesondere für Lesnés Co-Autoren schade, denn deren ehrliche Leistungen gerieten wegen Lesnés Fälschung nun ebenfalls in Verruf.
Eine der Co-Autorinnen von Lesné, Karen Ashe von der Universität Minnesota, hat sich bereits gegenüber der Zeitung «Star Tribune» erklärt: «Für mich ist es nach Jahrzehnten der Alzheimerforschung niederschmetternd zu sehen, dass ein Co-Autor mich und die wissenschaftliche Gemeinschaft mit frisierten Bildern möglicherweise derart in die Irre führen konnte.» Die Universität Minnesota als Lesnés Arbeitgeber hat nun auch eine Untersuchung eingeleitet, um die Vorwürfe zu prüfen.
Die Alzheimerforschung kommt schon seit Jahren nicht richtig vom Fleck, trotz grosser Anstrengungen und üppiger Unterstützung aus Wissenschaftsfonds. Es gibt zwar bereits um die 130 Medikamente, die in Studien an Tieren und zum Teil an Menschen ausprobiert werden, noch konnte aber keine überzeugende Resultate liefern. Von den 130 Medikamenten sind etwa 100 darauf angelegt, das Protein aus Lesnés Studie anzugreifen, welches nun aber womöglich nicht der Hauptauslöser von Alzheimer ist.
In der Schweiz ist momentan noch kein kuratives Medikament gegen Alzheimer zugelassen. Anders sieht es in den USA aus, wo ein monoklonaler Antikörper mit dem Namen Aducanumab letztes Jahr mit einer vorläufigen Bewilligung und Auflagen zugelassen wurde. Die Wirkung dieses Medikaments ist aber ebenfalls umstritten, nach der Zulassung traten drei Mitarbeiter der Zulassungsbehörde zurück, weil sie mit der Entscheidung für die Zulassung nicht einverstanden waren.
Schon da geriet die Alzheimerforschung weltweit in die Negativschlagzeilen. Profiliert hat sich damals der amerikanische Forscher Matthew Schrag, der auch jetzt die Hauptanklage gegen Lesné führt. In Europa und der Schweiz wurde das Medikament nie zugelassen. Wegen der Kontroverse in den USA zog die Herstellerfirma Biogen vor drei Monaten gar den hiesigen Antrag auf Zulassung zurück.
«Lesnés Studie wurde vor allem wegen der Methode der Proteinidentifikation zitiert», sagt Neuropathologe Aguzzi. Lesné hatte mit seiner Studie eine Theorie zur Entstehung von Alzheimer bestätigt, die zuvor schon von vielen Forschern befürwortet worden war: Er fand in den Gehirnen von alzheimerkranken Ratten Ansammlungen von sogenannten Amyloid-Beta-56-Proteinen, die er als Ursache der Erkrankung verdächtigte.
«Falls die Ergebnisse wirklich gefälscht sind, stellt sich jetzt die Frage, ob die Amyloid-Proteine Alzheimer verursachen oder ob sie nur ein harmloses Nebenprodukt sind», erklärt Ansgar Felbecker, Leitender Arzt am Kantonsspital St.Gallen, der selbst an Alzheimer forscht.
Professor Aguzzi sagt dagegen, dass für die Amyloidhypothese immer noch eine immense Fülle von Daten spricht. Es seien aber nicht genau die Amyloid-Beta-56-Proteine von Lesné. Denn diese seien nur eine von vielen Möglichkeiten. «Man muss jetzt nicht gleich die ganze Alzheimerforschung in Verruf bringen deswegen.»
Ein ähnlicher Fall wie in den USA ist theoretisch auch in der Schweiz möglich. Laut Matthias Egger, Präsident des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), sind in den letzten zehn Jahren um die drei Fälle von schwerem Forschungsbetrug vorgekommen.
«Wir finanzieren Studien mit öffentlichen Geldern und haben deshalb eine Richtlinie, welche sicherstellt, dass beteiligte Forscher die Rohdaten der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.» Im Internet könne jede und jeder Interessierte diese Informationen finden und überprüfen.
Davon ausgenommen sind allerdings medizinische Daten – aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes. Solche werden meist nur als Durchschnittswerte der Patienten oder in Form von Patientengruppen veröffentlicht, sodass eine Identifizierung der Studienteilnehmer unmöglich ist. Möglich wäre demnach eine Fälschung dieser Daten – oder sie war es. SNF-Präsident Egger erklärt:
Es brauche aber auch einen Kulturwandel an den Hochschulen, sodass der ungesunde Druck, in den Topzeitschriften zu publizieren, abnimmt.
Forscher Ansgar Felbecker vom Kantonsspital St.Gallen sieht das gleich: «Die Wissenschaft ist im heutigen System anfällig auf solche Betrugsfälle.» Die Vergabe von Geldern und Ruhm sei zu fest auf Publizieren in den wichtigsten Journals ausgerichtet. Fälle von Fälschungen werde man mit strengeren Kontrollen allein nicht verhindern können. (aargauerzeitung.ch)
Aber ja, der Publikationsdruck ist echt nicht normal. Solange sich dieses System nicht wandelt, werden solche Sachen weiter passieren...