Die Ozeane sind die grösste Mülldeponie der Welt. Jedes Jahr gelangen über 6,4 Millionen Tonnen Abfall in die See. Ob Plastikbeutel, Badelatschen, Fischernetze oder PET-Flaschen – rund 80 Prozent des Mülls bestehen aus Plastik. Der tatsächliche Umfang des Müllteppichs ist nur schwer abzuschätzen, weil er ständig in Bewegung und daher kaum fassbar ist.
Andere, neuere Schätzungen gehen davon aus, dass fast zehn Prozent des weltweit produzierten Plastiks in die Meere gelangt. Das entspricht nicht weniger als 25 Millionen Tonnen. Dabei handelt es sich um langlebigen Müll: Bis zur völligen Zersetzung von Plastik können 350 bis 450 Jahre vergehen.
Der Plastikmüll gelangt vornehmlich aus küstennahen Deponien oder Touristenresorts ins Meer. Zusätzlich tragen Flüsse Abfall aus dem Landesinneren an die Küsten – ein berüchtigtes Beispiel ist der enorm verschmutzte Ganges, der eine der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt entwässert. Insgesamt wird der Anteil des Plastikmülls, der aus landgestützten Quellen stammt, auf etwa vier Fünftel geschätzt. Das restliche Fünftel geht auf das Konto der Schifffahrt.
Von der riesigen Müllmenge, die schliesslich den Ozean erreicht, sinken früher oder später geschätzte 70 Prozent auf den Meeresboden. Zu den davon besonders betroffenen Gebieten zählen die Küstengewässer dicht besiedelter oder touristisch stark frequentierter Regionen wie Europa, die USA, die Karibik oder Indonesien.
Die übrigen 30 Prozent des Plastikmülls (Plastikbeutel und -flaschen, Flaschendeckel und Styropor) schwimmen indes an der Oberfläche oder in den obersten zehn Meter der Wassersäule und treiben mit den Meeresströmungen mit. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass die Müllmenge in verschiedenen Gebieten unterschiedlich gross ist.
In vielen Bereichen der Weltmeere zählten die Forscher zwischen 0 und 10 von blossem Auge sichtbare Plastikteile pro Quadratkilometer. Im Ärmelkanal waren es zwischen 10 und 100 Teilen. In den Küstengewässern Indonesiens schliesslich wurden auf jedem Quadratmeter vier Müllteile gemessen – ein Vielfaches des Durchschnittswerts.
Bereits 1997 entdeckten Forscher, dass sich der auf den Ozeanen treibende Plastikmüll in einigen der gigantischen Strömungswirbel sammelt, von denen es auf den Weltmeeren insgesamt fünf gibt – zwei im Pazifik, zwei im Atlantik und einen im Indischen Ozean. Bei diesen mehrere Hundert Kilometer breiten Wirbeln handelt es sich um permanent rotierende, gewaltige Wassermengen, die durch gleichmässige Winde angetrieben werden.
Den Müllteppich, der sich innerhalb des nordpazifischen Wirbels angesammelt hat, tauften die Wissenschaftler «Great Pacific Garbage Patch». Seine Grösse kann nicht genau bestimmt werden; Schätzungen gehen bis zur doppelten Grösse des US-Bundesstaats Texas, der knapp 700'000 Quadratkilometer gross ist.
Auf einem Quadratkilometer des «Great Pacific Garbage Patch» konnten Wissenschaftler fast eine Million Plastikteile nachweisen. Der weltweite Durchschnitt liegt laut Schätzungen des United Nations Environment Program (UNEP) bei 13'000 bis 18'000 Teilchen pro Quadratkilometer. Gemäss WWF sind es sogar 46'000.
Diese Schätzungen sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen, da die Weltmeere immens gross und vielgestaltig sind. Nur wenige der Plastikteilchen sind für das blosse Auge sichtbar, denn Wellen, Salzwasser und UV-Strahlung zersetzen die Kunststoffe in immer kleinere Teilchen.
61 Prozent der Plastikteilchen im Meer sind nur 1 Millimeter gross oder kleiner. Am Ende des Fragmentierungsprozesses stehen extrem kleine Partikel im Mikrometer- oder teilweise sogar Nanometerbereich, das sogenannte Mikroplastik. Dazu gehören auch Mikroteilchen aus menschlicher Produktion, die Peeling-Produkten oder der Zahnpasta beigemischt werden, oder winzige Fasern aus Fleece-Kleidern, die mit dem Abwasser von Waschmaschinen ausgeschwemmt werden.
Seit einigen Jahren konzentriert sich die Wissenschaft zunehmend auf dieses Mikroplastik. Eine einzige PET-Flasche kann im Laufe der Zeit in derart viele Fragmente pulverisiert werden, dass rein rechnerisch ein Teilchen auf jede einzelne Meile (ca. 1,6 km) Strand weltweit käme. «Diese kleinen Plastikteile stellen eine erhöhte Gefahr für Meeresorganismen dar, da sie in grossen Mengen aufgenommen werden», sagt Sylvia Frey im Gespräch mit watson. Die wissenschaftliche Leiterin von Ocean Care, einer Schweizer Naturschutzorganisation, die sich für Ozeane und Meeressäuger engagiert, hat erschütternde Zahlen parat.
«Eine Studie hat gezeigt, dass 9,2 Prozent der Fische, die in der Meereszone zwischen 200 und 1000 Metern leben, im Nordpazifischen Abfallstrudel Mikroplastik aufgenommen hatten», sagt Frey. Fische verwechseln winzige Plastikteilchen mit Plankton. Schätzungen zufolge nimmt die Fischpopulation pro Jahr zwischen 12'000 und 24'000 Tonnen Plastik auf. Dies führt zu reduziertem Appetit, Verstopfungen des Verdauungstraktes, inneren Verletzungen und schliesslich zum Tod der Meeresbewohner.
Jedes Jahr verenden so bis zu 135’000 Robben und Wale sowie Millionen von Seevögeln, Meeresschildkröten und Fische. Albatrosse oder Eissturmvögel picken Plastikteile von der Wasseroberfläche, verschlucken diese und verfüttern sie oftmals sogar an ihre Jungen. Nicht selten verhungern die Tiere, weil sich ihr Magen statt mit Nahrung mit Müll füllt. Untersuchungen des Mageninhalts von Seevögeln haben gezeigt, dass 111 von 312 Seevogelarten Plastikteile zu sich nehmen. Zum Teil hatten 80 Prozent aller Vögel einer Art Abfälle geschluckt.
Aber auch verloren gegangene oder absichtlich verklappte Fischernetze und Angelschnüre werden zu tödlichen Fallen für Meerestiere. Manche dieser «Geisternetze» fischen noch monatelang herrenlos weiter. Fische, Meeressäuger und Schildkröten verheddern sich in den Maschen und ersticken oder verhungern.
Sie verfangen sich zudem häufig in Korallenriffen und fügen den sensiblen Organismen beträchtlichen Schaden zu. Auch für die Schifffahrt stellen die oft zu gigantischen Klumpen verwickelten Netze eine Gefahr dar, da sie an der Wasseroberfläche nicht sichtbar sind. Durch Kollisionen oder verhedderte Schiffsschrauben entstehen der Transport- und Fischereiindustrie jährlich finanzielle Schäden in Millionenhöhe.
Der Plastikmüll im Meer hat auch negative Auswirkungen auf den Menschen. Insbesondere Mikroplastik hat die Eigenschaft, Schadstoffe, die sich im Wasser befinden, an seiner Oberfläche anzureichern. Es handelt sich dabei um Chemikalien aus der Landwirtschaft und der Industrie wie Insektizide – zum Beispiel DDT – und krebsauslösende organische Chlorverbindungen.
Weil diese mit Giftstoffen aufgeladenen Partikel von den Kleinstorganismen und dadurch auch von Speisefischen aufgenommen werden, landet der giftige Müll letztlich auf unserem Teller. Diese Giftstoffe werden mit gesundheitlichen Schäden und Fortpflanzungsstörungen bei Wildtieren, aber auch beim Menschen in Zusammenhang gebracht.
Es bestehe zwar eine Wissenslücke darüber, welchen Anteil die Aufnahme von Mikroplastik an der Gesamtbelastung der Organismen mit Schadstoffen hat, erklärt Frey von Ocean Care. «Trotzdem ist bereits jetzt klar, dass die grosse Masse an Mikroplastik und damit an konzentrierten Schadstoffen ein erhöhtes Gesundheitsrisiko für Mensch und Tier darstellt.»
Erst langsam setzt sich die Einsicht durch, dass all der Plastikmüll in den Meeren ein ernst zu nehmendes Problem darstellt. «Zwar wird die Plastikverschmutzung mittlerweile international auf der politischen Ebene wahrgenommen, allerdings gibt es noch viel Handlungsbedarf», sagt Frey. «Immerhin kennen bislang mindestens 37 Länder und hunderte von lokalen Gemeinden gesetzliche Vorschriften in Bezug auf Einweg-Plastiktaschen.»
Ebenso propagieren Nichtregierungsorganisationen und das Umweltprogramm der Uno (UNEP) die Einführung von Verfahren wie Mülltrennung, Recycling und Flaschenpfand. Das Bewusstsein für die Müllproblematik sollen medienwirksame Müllsammel-Aktionen schärfen, etwa das alljährliche International Coastal Cleanup (ICC), die Internationale Küstensäuberung.
Darüber hinaus sollen Internationale Vereinbarungen die nach wie vor steigende Müllflut eindämmen. So verbietet das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung (MARPOL) die Entsorgung von Speiseabfällen innerhalb der 12-Seemeilen-Zone.
Plastikabfälle dürfen überhaupt nicht über Bord geworfen werden, wie Stephan Lutter vom WWF Deutschland in Hamburg gegenüber watson betont. Dies geschehe aber trotzdem, «da Überwachung und das Angebot landseitiger Entsorgungsanlagen regional sehr unterschiedlich sind».
Trotz dieser und weiterer internationaler Übereinkünfte haben die Müllmengen zum Beispiel in der Nordsee noch nicht abgenommen. Langfristig, da sind sich die Experten einig, kann der Kampf gegen die Vermüllung der Meere ohnehin nur erfolgreich geführt werden, wenn der Müllstrom aus dem Landesinneren eingedämmt wird – eine wahrhaft herkulische Aufgabe, angesichts der gigantischen und immer weiter wachsenden Müllberge dieser Welt.