Herr Mayor, Sie haben diese Woche den Physik-Nobelpreis erhalten - herzliche Gratulation. Für wie viele Selfies mussten Sie schon posiert?
Michel Mayor: Sehr viele! Ich habe sie nicht gezählt. Am so genannten «Dies Academicus» am Freitag an der Universität Genf, wo ich einen Auftritt hatte, waren es aber bestimmt 100.
Was bedeutet Ihre Auszeichnung für die Hochschullandschaft Schweiz?
Sie zeigt, dass wir in der Schweiz sehr gute Bedingungen haben für eine hochwertige, wissenschaftliche Forschung. Der Preis ist auch Ausdruck unserer Stabilität, die wir hier seit 1952 dank dem Nationalfonds haben, der unsere Forschung finanziell ermöglicht. Zudem gibt so ein Preis natürlich Zuversicht und Vertrauen, dass wir in der Schweiz für grosse Entdeckungen fähig sind. Ich bin dem Schweizer System enorm dankbar. Der Nationalfonds ist zwar vom Staat finanziert, die Regierung hat aber keinen Einfluss auf die Verteilung. Das Parlament spricht das Geld aus und hat Vertrauen in den Nationalfonds, dass dieser das Geld richtig verteilt.
Und die Studiengebühren sind im Vergleich zum Ausland noch immer tief.
Genau, unser System funktioniert wirklich sehr, sehr gut.
Es ist der dritte Nobelpreis in den letzten zwei Jahren für die Romandie. 2017 gewann Jacques Dubochet von der ETH Lausanne den Preis für Chemie. Die Deutschschweiz wartet hingegen seit 17 Jahren auf einen Nobelpreis. Sind die Welschen Hochschulen einfach besser?
Nein, das sind statistische Fluktuationen. Langfristig wird sich das wieder einpendeln. Die ETH Zürich und die Chemiker in Basel haben insgesamt mehr Nobelpreise gewonnen als die Romands. Das Mikroskop wurde in Zürich entwickelt, und so weiter. Die Deutschschweizer müssen sich keine Sorgen machen.
Jacques Dubochet sagte zuletzt an einer Tagung in Lausanne mit der Klima-Aktivistin Greta Thunberg, die Öffentlichkeit würde ihm seit dem Gewinn des Nobelpreises mehr Gehör schenken. Dies wolle er ausnutzen, um sich für politische Themen einzusetzen, insbesondere die Klimaerwärmung. Sie auch?
Jacques Dubochet war schon früher politisch aktiv. Aber jetzt noch mehr, das stimmt. Ich will aufpassen, dass ich nicht in Kämpfe verwickelt werde, mit denen ich nichts zu tun habe. Ich werde mich also nicht zu jedem Thema äussern. Was die Klimadebatte anbelangt sehe ich aber durchaus Parallelen zu meiner Forschung, da fühle ich mich kompetent. Und dieses Thema beschäftigt mich sehr. Ich will die stupide Idee aus der Welt schaffen, dass wir irgendwann auf einen anderen Planeten auswandern können.
Aber genau solche erdähnlichen Planeten suchen Sie doch mit Ihrer Forschung, und die Wissenschaftler haben schon über 4000 Exoplaneten gefunden!
Ja, aber die potenziell bewohnbaren Exoplaneten sind für uns viel zu weit entfernt. Mit dem «Apollo 11»-Raumschiff würde die Reise zu einem Exoplaneten mindestens eine Milliarde Tage dauern. Es gibt Optimisten, die bei solchen Einwänden sagen, man könne den Antrieb beschleunigen. Ok, dann beschleunigen wir halt doppelt so schnell, und dann? Auch dann dauert die Reise noch viel zu lange. Es gibt keinen Plan B, wir haben nur diesen einen Planeten! Diese Botschaft ist mir wichtig. Alles andere ist Science-Fiction.
Inwiefern hilft dann Ihre Forschung der Menschheit heute mit ihren aktuellen Problemen wie der Klimaerwärmung?
Auch wir erforschen die Zerbrechlichkeit und die Evolution des Klimas, aber halt etwas weiter entfernt als in unserem Sonnensystem. Aber wenn Sie nach dem direkten Nutzen fragen, dann ist es im Prinzip die Befriedigung eines Traumes der Menschheit. Unsere Forschung stimuliert die Neugier in uns.
Zuletzt wurde vermehrt Kritik laut gegenüber der Nobelpreis-Vergabe. Rund 90 Prozent aller bisherigen Gewinner waren weisse Männer. Verstehen Sie die Kritiker?
Wenn Sie schauen, wo heute die grossen Forschungszentren sind, dann ist es nun mal nicht Afrika. Sie sind im Norden, vor allem in Europa und in den USA. Bis zu einem gewissen Grad ist dieses Resultat also normal. Und was den Abstand zu den Frauen anbelangt, so hoffe ich sehr, dass sich die Situation bald verbessern wird. Denn es gibt immer mehr Frauen in den Labors.
Also finden Sie, die Kritiker haben nicht Recht?
Nein, ich finde nicht. Aber man muss die Leute auf diese Themen durchaus aufmerksam machen. Und man muss den Frauen erlauben, sich in die Forschung einzubringen. Und das passiert momentan auch. Deshalb bin ich sicher, dass es in einigen Jahren mehr weibliche Preisträger geben wird. International ist es schwierig vorauszusehen, wie sich die Forschung entwickeln wird. China wird garantiert wichtiger werden. China hat heute schon einige Nobelpreisträger. Aber heute findet die Forschung nun mal vorwiegend in den USA und Europa statt.
Mit seinem Kollegen Didier Queloz habe er diese Woche nur via E-Mail Kontakt gehabt, sagt Mayor. Denn der 77-Jährige besitzt selber kein Handy. «Ich mag die Dinger nicht.» Lieber telefoniere er via Computer, wo man die Leute auch sehen könne. Den Anruf aus Schweden nahm denn auch seine Frau entgegen, die sich darüber genervt habe, dass das Nobel-Komitee ihre Handynummer habe, sagt Mayor schmunzelnd.
Sie haben die höchste wissenschaftliche Auszeichnung erhalten, die es gibt. Welche Ziele haben Sie noch?
Ich würde gerne alt genug werden, um zu erfahren, ob wir ausserirdisches Leben im Universum finden werden.
E.T.?
Nein. Das Leben im Universum beginnt für mich bei kleinen Bakterien. Zuerst werden wir einfache Organismen finden. Und danach – wer weiss. (aargauerzeitung.ch)