Als er noch Josef Blatter hiess, war er ein leidlich begabter Fussballer. Heute nennt er sich Joseph S. Blatter und erweist sich als begnadeter Schachspieler. Als der interne Untersuchungsbericht der FIFA im letzten November aufzeigte, dass es bei der Vergabe der WM-Endrunden 2018 und 2022 an Russland und Katar zu Ungereimtheiten gekommen war, reichte der Weltfussballverband selbst bei der Bundesanwaltschaft in Bern Strafanzeige ein – gegen unbekannt.
Der ehemalige FIFA-Funktionär und heutige Blatter-Kritiker Guido Tognoni sprach schon damals von einem «cleveren Schachzug». Nun kann er sich bestätigt fühlen, da die Bundesanwaltschaft offiziell Ermittlungen aufgenommen hat und die US-Justiz parallel dazu mehrere Funktionäre wegen Korruptionsverdachts verhaften liess. «Heute ist kein schöner Tag, aber irgendwie ein guter Tag», sagte FIFA-Kommunikationschef Walter De Gregorio an der Medienkonferenz in Zürich.
Für das Image seien die Ermittlungen nicht gut, räumte er ein. Doch die FIFA sei in diesem Verfahren die geschädigte Partei. Präsident Sepp Blatter sei «recht entspannt», er wisse, dass er nicht involviert sei. Mit seiner Anzeige hat es Blatter geschafft, den Spiess umzudrehen: Die FIFA ist im grössten Skandal ihrer Geschichte nicht die Täterin, sondern das Opfer.
Fragt sich nur, wer ihm das abkauft. Die FIFA ist in keinster Weise das Opfer. Korruption ist ein immanenter Teil des Systems, das Blatter erschaffen hat.
Seit 1981 sitzt der Walliser an den Schalthebeln der Macht, erst als Generalsekretär, seit 1998 als Präsident. Er hat sich einige Verdienste erworben. So hat er aus einem grossen, aber auch relativ armen Verband, der die Fernsehrechte am Premiumprodukt Fussball-WM fast verschenkt hatte, einen milliardenschweren Konzern gemacht.
Damit schuf er aber auch ein Monster, denn auf dem Geld basiert die Macht des Sepp Blatter. Er verteilt es grosszügig an die Landesverbände, die ihm aus Dankbarkeit ihre Stimme bei der Präsidentenwahl geben. Und er drückt beide Augen zu und dreht den Kopf weg, wenn ein Teil dieses Geldes in den Taschen korrupter Funktionäre versickert.
«Auf Dauer geht so etwas nicht gut. Immer wieder fliegen Korruptionsaffären auf und Blatter um die Ohren», heisst es im Blatter-Porträt, das watson am Wochenende veröffentlicht hat. Nun hat sich dies einmal mehr bewahrheitet, und das auf einem ganz neuen Level. Machtsysteme, die auf Korruption basieren, sind anfällig. Man macht sich erpressbar oder läuft Gefahr, dass jemand auspackt. Wie im konkreten Fall der gierige US-Funktionär Chuck Blazer.
«Das ist ein grosser Sumpf. Das Problem ist nicht damit erledigt, dass man Sepp Blatter als Präsident verhindert. Der Fehler liegt im System der FIFA. Es können sich zu viele bedienen», sagte Theo Zwanziger, abtretendes FIFA-Exekutivmitglied und ehemaliger Präsident des Deutschen Fussballbundes (DFB), zum neusten Skandal. In der Tat könnte man sich fragen, ob die FIFA mit einem anderen Präsidenten ein besserer Verband wäre.
Die Frage aber ist müssig, denn für die heutigen Zustände ist allein Sepp Blatter verantwortlich. Er hat einige Reformen angekündigt und auf dem Papier auch umgesetzt. Wirklich wirksam aber wäre nur ein scharfes Controlling der FIFA-Geldflüsse, doch davor schreckt Blatter zurück. Als Präsident kann man sich mit solchen Massnahmen nur unbeliebt machen. Und Blatter will bleiben. Seine Wiederwahl am Freitag ist nicht gefährdet. In Zeiten der Not schliesst die «Familie», wie der Präsident die FIFA gerne bezeichnet, ihre Reihen.
Die nächsten Jahre aber dürften schwierig werden, denn die US-Justiz ist unerbittlich. Die Schweizer Banken können ganze Choräle davon singen. Und für Justizministerin Loretta Lynch, die gerade erst ihr Amt angetreten hat, ist die ungeliebte FIFA ein ideales Vehikel zur Profilierung.
Es könnte einsam werden um Joseph S. Blatter. Die fünfte Amtszeit, die er aus Machtgier angestrebt hat, könnte sich als die eine zu viel erweisen.