Besucht man die Webseite optigal.ch erscheint das Video eines Landwirtschaftsbetriebs im zürcherischen Mettmenstetten. Ein Landwirt erzählt aus seinem Alltag in der Hühnermast – er produziert Fleisch für Migros’ Tochterunternehmen Micarna. Vier bis fünf Mal täglich laufe er durch den Stall und schaue, wie es den Küken gehe, erzählt er.
Die Tiere, welche im Video zu sehen sind, leben in gut beleuchteten Hallen und haben Auslauf in einem Wintergarten. Der Hygienestandard wirkt hoch und die Hühner gesund. «Das ist ein gutes Produkt. Die Hühner haben es gut bei uns», freut sich der Landwirt.
Im starken Kontrast dazu stehen Videos, die in den vergangenen Tagen im Vorfeld der Massentierhaltungsinitiative von Tierschutzvereinen veröffentlicht wurden. Anfang September zeigte etwa die Tierrechtsorganisation Tier im Fokus (Tif) Bilder von gestressten Hähnen, die Hennen picken. Am Boden des Stalls liegen regungslose Tiere. Die Zucht der Hühner in der Schweizer Massentierhaltung sei «grausam», sagte Tif-Präsident Tobias Sennhauser in einer Mitteilung.
Ähnlich sind die Aufnahmen, welche Greenpeace vergangene Woche publiziert hat. Dicht gedrängt stehen tausende Hühner Seite an Seite. Einige können aufgrund ihres Gewichts nicht mehr gehen, andere liegen tot auf dem Stallboden. Die Situation sei repräsentativ für die konventionelle Tierhaltung, schreibt die Nichtregierungsorganisation. 92 Prozent der Masthühner hätten keinen Zugang ins Freie und pro Huhn würde lediglich die Fläche eines DIN-A4-Blattes zur Verfügung stehen.
Auch die Organisation «Pour l'Égalité Animale» (PEA) prangert die Massentierhaltung in der Schweiz an. Sie hat ebenfalls Bilder ins Netz gestellt, in denen Hühner auf Kadavern herumtreten.
Alle drei Organisationen behaupten, die Aufnahmen seien unter anderem in Micarna-Betrieben gemacht worden. Am konkretesten ist Tier im Fokus. Die Bilder würden aus dem Elterntierpark Vernayaz im Kanton Wallis stammen, heisst es seitens der Tierschützer. Veröffentlicht wurden auch Drohnen-Aufnahmen des Betriebs.
Rund zehn Tage vor der Abstimmung zur Massentierhaltung muss sich die Stimmbevölkerung also fragen: Wie werden die Hühner in der Schweiz wirklich gezüchtet? So wie auf dem Bauernhof in Mettmenstetten, wie es uns die Migros weismachen will? Oder wie in den Videos von den Tierschützern?
watson wollte sich selber ein Bild verschaffen und fragte deshalb die Migros für einen Besuch im Stall von Vernayaz an. Mediensprecher Marcel Schlatter antwortete, bis heute lägen keine überprüfbaren Belege vor, dass die Aufnahmen tatsächlich aus Vernayaz stammten.
Der Mediensprecher fügte an: «Ein kürzlicher Besuch des zuständigen Veterinäramtes hat denn auch keinerlei Beanstandungen zutage gebracht.» Dass watson sich die Lage vor Ort anschaut, will die Migros nicht. Schlatter: «Da vor Ort strenge Hygienevorschriften gelten, sind Besuche leider nicht möglich.»
watson hakte nach und versprach, sich an die strengen Hygienemassnahmen zu halten, und fragte, ob Migros in Kontakt mit den Tierschützern stehe, um die Situation in den Ställen zu verbessern.
Migros antwortete: «Um diesen Tieren zu helfen, ist es wichtig, dass die Urheber die mutmasslichen Verstösse den zuständigen Behörden melden. Nur so kann den Tieren geholfen werden. Ein Besuch in Vernayaz ist nicht möglich, die dortigen Kontrollen erfolgen durch die Behörden – der letzte Besuch förderte keinerlei Beanstandungen zutage.»
Für ein Nein bei der Massentierhaltungsinitiative setzt sich Mike Egger ein. Der SVP-Nationalrat stellt sich auf den Standpunkt, dass es in der Schweiz gar keine Massentierhaltung gibt. In einem Porträt des Tages Anzeigers sagte der Metzger, all jene, die am Tierwohl in der Schweiz zweifelten, sollten sich mal vor Ort ein Bild der Lage machen. «Besuchen Sie einen landwirtschaftlichen Betrieb, egal welchen – sie werden staunen.»
watson stellte Egger, der bei Micarna für die Unternehmensentwicklung zuständig ist, folgende Fragen:
Der SVP-Nationalrat reagierte trotz mehrfachen Nachhakens nicht auf unsere Fragen.
Für Meret Schneider ist klar: «Die Migros will nicht, dass die Bilder aus den Mastbetrieben an die Öffentlichkeit gelangen.» Die Grünen-Nationalrätin kämpft an vorderster Front für ein Ja bei der Massentierhaltungsinitiative. «In der Pouletmast stehen viele Tiere auf einem Haufen. Vier Prozent stirbt bereits vor dem Schlachttermin», so Schneider. Das seien unschöne Bilder, welche die Migros seinen Konsumentinnen nicht zeigen wolle.
«Dass Medienschaffende keinen Einblick erhalten sollen, wie die Nahrungsmittelbeschaffung in der Schweiz vonstattengeht, ist skandalös», sagt Schneider. Die Migros stelle sich immer auf den Standpunkt, dass der Konsument selber entscheiden solle, welches Fleisch er kaufe. «Aber gleichzeitig will sie keine Transparenz zu den Zuständen in den Ställen schaffen. Das ist doppelzüngig.»
«Da vor Ort strenge Hygienevorschriften gelten, sind Besuche leider nicht möglich.»
"Understandable have a nice day"