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Tierwohl vs. Billigfleisch in der «Arena» zur Massentierhaltung

Die Abstimmungs-«Arena» zur Massentierhaltungsinitiative.
Die Abstimmungs-«Arena» zur Massentierhaltungsinitiative.screenshot: Srf
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Tierwohl vs. Billigfleisch: Eine Bäuerin bringt es in der «Arena» auf den Punkt

In der Abstimmungs-«Arena» zur Massentierhaltungsinitiative taten sich die Befürworter schwer. Der Trumpf der Gegenseite war das widersprüchliche Verhalten der Konsumenten.
10.09.2022, 06:1411.09.2022, 12:19
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Alle wollen eine tiergerechte Haltung, doch niemand will dafür zahlen. Auf diesen etwas simplen Nenner lässt sich das Verhalten der Kundschaft bringen, wenn es um den Kauf und Konsum von Fleisch geht. Dieser ist tendenziell rückläufig, beträgt aber immer noch rund 50 Kilogramm pro Jahr und Kopf der Schweizer Bevölkerung.

Die Massentierhaltungsinitiative, über die am 25. September abgestimmt wird, hat deshalb auch das Ziel, den Fleischkonsum weiter zu senken, wie der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch in der Abstimmungs-«Arena» vom Freitag einräumte: «Aber vor allem wollen wir das Tierwohl schützen.» Das Ziel sei «eine würdevolle Tierproduktion in der Schweiz».

Video: watson/Peter Blunschi

Auf die Frage von Moderator Sandro Brotz nach seinem persönlichen Fleischkonsum reagierte Jositsch eher ungehalten: «Bei mir kommt sehr wenig Fleisch auf den Teller.» Überhaupt fiel der Sozialdemokrat in der angesichts des emotionalen Themas eigentlich recht gesitteten Sendung mit teilweise aggressiven Wortmeldungen auf.

«Etwas mehr bezahlen»

Um Mässigung bemühte sich dafür Grünen-Nationalrätin Meret Schneider. Die Veganerin ist das «Aushängeschild» der Initiative, doch wie in der Tier-«Arena» vor drei Monaten gab sie sich pragmatisch. Sie räumte ein, dass die Preise für Fleisch nach einer Annahme steigen würden. Es sei jedoch richtig, für ein qualitativ gutes Produkt «etwas mehr zu bezahlen».

Das führte zu einem Konter der früheren FDP-Chefin Petra Gössi, die als Präsidenten der Föderation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien auf der Gegenseite vertreten war. «Mich erstaunt diese Nonchalance. Wir laufen in eine Inflation hinein, die lange nicht gesehen wurde, und machen Fleisch teurer», sagte die Schwyzerin.

«Schon heute hoher Standard»

«Angstmacherei ist ein verzweifeltes Argument», erwiderte Daniel Jositsch und forderte Gössi auf, «sachlich» zu bleiben. Es gehe um eine industrielle Produktion, «bei der das Tierwohl systematisch verletzt wird». Allerdings bestreiten die Gegner der Initiative, dass es in der Schweiz überhaupt so etwas wie eine Massentierhaltung gibt.

Video: watson/Peter Blunschi

«Wir haben eines der strengsten Tierschutzgesetze der Welt», sagte Markus Ritter, Biobauer, Präsident des Bauernverbands, St.Galler Mitte-Nationalrat und der cleverste Lobbyist in Bundesbern. Man habe schon heute einen hohen Standard in der Nutztierhaltung. «Die Initiative aber fordert Bio-Standard, damit nimmt man den Konsumenten die Wahlfreiheit.»

Es geht um die Existenz

Seine Argumentation stiess auf Widerspruch von Philipp Ryf, Co-Präsident des Vereins Sentience Politics, der sich für die Interessen «nicht-menschlicher Tiere» einsetzt. «Leider haben wir Massentierhaltung in der Schweiz», meldete er sich aus der zweiten Reihe. Ein Mastpoulet habe nur eine A4-Seite Platz zum Leben. Das sei industrielle Tierproduktion.

«Ich komme mir wie ein Verbrecher vor, wenn ich Herrn Ryf zuhöre», beklagte sich darauf die Landwirtin Tanja Müller, die auf ihrem Hof in Ebersecken (LU) unter anderem 800 Schweine hält. Für sie geht es um die Existenz, denn «nach Annahme der Initiative ist unser Betrieb weniger wert». Die vorgesehene Übergangsfrist von 25 Jahren nütze nichts.

Die Nachfrage fehlt

Selbst der Demeter-Bauer Alfred Schädeli räumte ein, dass die im Video gezeigten Tiere von Tanja Müller ein gutes Leben hätten. «Den Tieren, die man in der Landschaft sieht, geht es gut.» Das Problem seien die Tiere, die man nicht sehe. Und das sind offenbar viele. Laut Meret Schneider haben nur sechs Prozent der 74 Millionen Masthühner in der Schweiz regelmässig Auslauf.

Video: watson/Peter Blunschi

In der Halle hätten die Hühner viel Platz, erwiderte Markus Ritter. «Es geht ihnen sehr gut, sie werden sehr gut betreut.» Er legte den Finger auf einen wunden Punkt: «Die Realität ist, dass wir die Hälfte des Labelfleischs von Schweinen nicht verkaufen können, weil die Nachfrage fehlt.» Gerade bei Schweinefleisch wäre es wichtig, dass mehr gekauft würde.

«Lebensmittel sind uns zu wenig wert»

Hier hakte Sandro Brotz ein, indem er Meret Schneider unter die Nase rieb, dass der Bio-Anteil in der Schweiz nur 10,9 Prozent betrage. Die Zürcher Grüne antwortete ausweichend, indem sie darauf verwies, dass die Schweizer Bevölkerung nur acht Prozent des Einkommens für Nahrung ausgebe: «Lebensmittel sind uns zu wenig wert.»

Dabei gelang Schneider, die im Juni mit dem Begriff «Back to Sonntagsbraten» aufhorchen liess, ihr bestes Quote: «Es ist in der Schweiz leider oft so, dass wir lieber ein billiges Entrecôte auf den Highend-Smoker werfen als ein Weiderind in die Ikea-Pfanne.» Womit sie gleich selber auf das oft widersprüchliche Verhalten der Konsumenten hinwies.

Gleich lange Spiesse

Die Gegner nahmen diese Vorlage auf. Sie befürchten, dass es bei einer Annahme zu mehr Einkaufstourismus und Importen kommt. Dies will die Massentierhaltungsinitiative verhindern. Sie fordert, dass nur Fleisch eingeführt werden darf, das nach den verschärften Schweizer Standards produziert wird. «Wir wollen gleich lange Spiesse», sagte Schneider.

Video: watson/Peter Blunschi

«Sollen wir Bundesbeamte als Kontrolleure in die ganze Welt entsenden?», fragte darauf der St.Galler SVP-Nationalrat und gelernte Fleischfachmann Mike Egger. Selbst wenn die verschärften Vorschriften mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO kompatibel seien, bringe das nichts: «Die Schweiz wird als Nischenmarkt einfach nicht mehr beliefert.»

Die Bauern wollen, aber ...

Kritisch beurteilt wird die Initiative auch von der Stiftung für Konsumentenschutz. Sie hat Stimmfreigabe beschlossen. «Das Tierwohl liegt den Konsumenten am Herzen, aber heute herrscht keine Transparenz», meinte Schneider dazu und verwies auf die Werbespots des Verbands Proviande, in denen nur glückliche Kühe auf der Weide zu sehen sind.

Fragt sich nur, ob die Konsumenten das so genau wissen wollen. Zum Beispiel, wenn es um Videos geht, die kürzlich von Tierschutzorganisationen veröffentlicht wurden und üble Zustände bei Tiertransporten zeigen. Mike Egger betonte, er müsse dies «ganz klar kritisieren». Aber gerade hier greife die Initiative nicht: «Sie hält nicht, was sie verspricht.»

Video: watson/Peter Blunschi

«Mich stösst der Spiessrutenlauf gegen die beste Landwirtschaft der Welt», klagte der SVP-Politiker und sprach Bäuerin Tanja Müller aus der Seele. «Die Wertschätzung geht in dieser Diskussion verloren», sagte sie zum Abschluss. Die Bauern wollten das Tierwohl erhöhen. Es gebe sogar eine Warteliste, «aber der Konsument will es nicht kaufen».

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Die Massentierhaltungsinitiative erklärt in 110 Sekunden
Video: watson
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441 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pachyderm
10.09.2022 06:32registriert Dezember 2015
Also es gibt in der Schweiz keine Massentierhaltung, aber wenn man Massentierhaltung einschränkt haben die fleischproduzierenden Betriebe der Schweiz ein Problem.

Und falls die Initiative angenommen wird, wird einfach mehr Fleisch importiert, aber das Ausland wird die Schweiz als Nischenmarkt nicht mehr bedienen.

Bei den Argumenten der Initiativgegner fällt mir auch nicht mehr ein als: 🧐.
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Chnebeler
10.09.2022 06:55registriert Dezember 2016
Es fehlt noch zu erwähnen, dass die 800 Schweine von der Bäuerin Müller ebenfalls nicht zu sehenmwaren, sondern nur die Kühe! Zudem hat sie praktisch zugegeben, dass sie unter permanentem Druck stehe weil es unangemeldete Kontrollen geben kann. Für mich klang das so, als wäre ihr bewusst, dass ihr Hof den heutigen minimal Ansprüchen nicht immer gerecht wird.
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Schneider Alex
10.09.2022 06:20registriert Februar 2014
Gegenüber dem Leiden, das plausiblerweise mit der heutigen Nutztierhaltung einhergeht, scheint es nicht übertrieben vorsichtig, wenn die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger an der Urne entscheiden, das öffentliche Gut der Tierwohlfahrt auf ein wenigstens ein bisschen artgerechteres Niveau zu heben. Schon wenn man agnostisch die Wahrscheinlichkeit von relevantem Tierempfinden bei nur fünfzig Prozent ansetzt, lässt sich in Anbetracht des enormen Tierelends, das wir im schlimmsten Fall verantworten, aber auch ohne besonderen Glauben oder Ideologie ein erheblicher Tierschutz begründen.
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