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Hacker stehlen 900'000 E-Mails russischer Staatsmedien – das steht darin

Wenn du merkst, dass pro-ukrainische Hacker fast eine Million E-Mail-Nachrichten deiner Staatsmedien veröffentlicht haben.
Wenn du merkst, dass pro-ukrainische Hacker fast eine Million E-Mail-Nachrichten deiner Staatsmedien veröffentlicht haben.bildmontage: shutterstock/watson

Putins Propaganda-Maschine vorgeführt: Hacker stehlen 900'000 E-Mails – das steht darin

Eine pro-ukrainische Hackergruppe hat vor einem Monat Russlands grösstes staatliches Medienunternehmen gehackt und fast eine Million E-Mails veröffentlicht. Erste Analysen des Datenlecks geben einen kleinen Einblick in den russischen Propaganda-Apparat.
21.04.2022, 09:0925.04.2022, 08:43
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Im März hat die pro-ukrainische Hackergruppe Network Battalion 65' die staatliche russische Fernseh- und Radiogesellschaft (WGTRK) gehackt und beinahe eine Million E-Mails erbeutet. Anfang April wurden die Daten, welche die Korrespondenz der letzten 20 Jahre umfassen, auf der Enthüllungs-Plattform Distributed Denial of Secrets (DDoSecrets) publik gemacht.

Aric Toler, ein Journalist des internationalen Recherchenetzwerks Bellingcat, hat sich inzwischen durch einen kleinen Teil des gigantischen Datenbergs gewühlt und einige Perlen zutage gefördert. Wie er schreibt, dürfte es «sehr, sehr lange dauern», sämtliche Daten zu sichten. Nichtsdestotrotz hat er bereits ein paar Kostproben auf Twitter veröffentlicht. Es handelt sich bislang nicht um brisante Staatsgeheimnisse, aber das umfassende Datenleck bei Russlands grösstem staatlichen Medienkonzern – dem Propaganda-Arm des Kreml – erlaubt unter anderem einen ungewohnten Einblick in die Kommunikation zwischen Putins Machtzirkel und Kreml-treuen Medien.

Das Leak umfasst 252 E-Mail-Konten mit rund 900'000 E-Mails russischer Staatsmedien. Darunter die 4,7 GB grosse Mailbox von Oleg Dobrodeev, Direktor der staatlichen Fernseh- und Radiogesellschaft (WGTRK).

Auszug aus der Liste der gehackten E-Mail-Postfächer.
Auszug aus der Liste der gehackten E-Mail-Postfächer.alle screenshots: @AricToler

Die veröffentlichten E-Mails zeigen, wie russische Staatsmedien Fake News zum Ukraine-Krieg praktisch eins zu eins aus Telegram-Kanälen kopieren und weiterverbreiten.

Eine interne Liste mit Links zu pro-russischen Telegram-Kanälen, die Falschmeldungen über die Bombardierung des Theaters in Mariupol veröffentlichten.
Eine interne Liste mit Links zu pro-russischen Telegram-Kanälen, die Falschmeldungen über die Bombardierung des Theaters in Mariupol veröffentlichten.

Die E-Mails zeigen: Russische Staatsmedien versuchen, Nachrichten westlicher Medien als Lügen zu brandmarken, indem sie Falschmeldungen aus zwielichtigen Telegram-Kanälen zitieren, die selbst nichts anderes tun, als am Laufband Fake News zu produzieren.

Eine kleine Perle im Datenberg: Die Wahlkommission bittet 2020 um kostenlose Werbespots im staatlichen Fernsehen und Radio für das Verfassungsreferendum, das Putin eine weitere Amtszeit als Präsident ermöglicht.

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Mitte 2020 stimmten angeblich 78 Prozent der Russen für die Verfassungsreform. Putin könnte nun – zwei Wahlsiege vorausgesetzt – bis zum Jahr 2036 regieren.

Im Heuhaufen finden sich auch PDF-Dateien mit den Kontakten der russischen Prominenz.

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Auszug aus der Promi-Liste: Zum Bürgermeister von Moskau ist vermerkt, dass er keine Geschenke annimmt (Dokument übersetzt mit Google Lens).

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Ebenfalls spannend: eine über 250 Megabyte grosse Kontakt-Datei (CSV) mit offenbar über 1 Million Zeilen ...

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Die VIP-Liste für einen Event des Staatsfernsehens: darunter Armeegeneral Sergei Shoigu, der offenbar in Begleitung eines kleinen Konvois angereist ist.

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In den Dokumenten findet sich viel Korrespondenz: beispielsweise Dmitri Kisseljow, Generaldirektor der staatlichen Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja und eine Hauptperson der russischen Propaganda, wie er Dmitri Medwedew um eine Mietzinserleichterung für die Geschäftsbüros bittet.

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Oder: Putin gratuliert zum 30-Jahr-Jubiläum der «Allrussischen staatlichen Fernseh- und Radiogesellschaft» und lobt die «zuverlässige» und «kreative Berichterstattung».

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Als Reaktion auf Putins Angriffskrieg schloss Google russische Staatsmedien von der Monetarisierung ihrer Inhalte aus. Diese befürchten, wie man in den erbeuteten E-Mails nachlesen kann, dass sie deswegen 2022 mindestens acht Millionen US-Dollar weniger einnehmen.

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Eine Liste mit Massnahmen, wie man finanzielle und personelle Probleme im Zusammenhang mit dem Krieg und den Sanktionen mindern könnte: Die Staatsmedien wünschen beispielsweise die Aussetzung der Wehrpflicht für ihre Mitarbeiter.

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Ein Bettelbrief von TV-Direktor Dobrodeev an Putin: 2019 steckten die Staatsmedien tief in den roten Zahlen und Dobrodeev bat um zusätzliche 4 Milliarden Rubel (heute rund 46 Millionen Franken).

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Der Covid-19-Impfstatus der Mitarbeitenden: Beim Sender Radio Russland waren demnach im Januar 2022 von rund 400 Angestellten nur sieben ungeimpft.

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Die russischen Staatsmedien achten offenbar darauf, dass ihre Mitarbeitenden geimpft sind, während ihre Propagandamedien RT DE und Sputnik im Westen im grossen Stil Corona-Verschwörungserzählungen verbreiten.

Als das Staatsfernsehen Ende Februar erfuhr, dass es vom Eurovision Song Contest ausgeschlossen wird.

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Mehrere europäische Länder wollten Russland unmittelbar vom ESC 2022 ausschliessen. Laut E-Mail soll die Schweizer Vertretung als Kompromiss einen freiwilligen Verzicht Russlands vorgeschlagen haben. Die Russen gingen nicht darauf ein.

Die Hacker erbeuteten auch Tausende Videodateien. Hier zu sehen eine 39 GB grosse Kopie des russischen Kult-Films «Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf».

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Übrigens: Zwei Wochen bevor sie gehackt und ihre E-Mails veröffentlicht wurden, erhielt das Staatsfernsehen eine PDF-Datei mit dem Dateinamen «Empfehlungen zur Vorbereitung auf Computerangriffe».

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Putins Propaganda-Arm blossgestellt

Für Putins Propagandasystem ist die staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft WGTRK von zentraler Bedeutung. Insofern ist der WGTRK-Hack zweifellos eine kolossale Blossstellung der staatlichen Medien und der russischen Propaganda. Hier wurde nicht einfach ein einzelnes Medium gehackt, sondern die Propaganda-Maschine des Kremls vorgeführt.

Ob sich in den 900'000 E-Mails indes brisante Informationen verbergen, die Putin, Kreml-Apparatschiks und russische Oligarchen in Schwierigkeiten bringen könnten, bleibt abzuwarten. Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen und es dürfte Monate dauern, alles zu sichten.

Das Datenleck beim staatlichen Medienkonzern WGTRK ist aber nicht nur für russischsprachige Journalisten eine potenzielle Goldgrube. Kontaktdaten wie persönliche Handy-Nummern russischer Eliten könnten auch von ausländischen Geheimdiensten genutzt werden, um beispielsweise Spähsoftware auf Smartphones wichtiger russischer Politiker, Militärs oder Wirtschaftsführer einzuschleusen. Davon könnte auch der ukrainische Geheimdienst profitieren.

«Jetzt bist du dran mit Lügen»

Ehemaligen WGTRK-Angestellten zufolge diktieren Kreml-Beamte den Redaktionen, wie über den Krieg berichtet werden soll und liefern aufrührerische Formulierungen mit, die die Ukraine in Misskredit bringen sollen. TV-Sender hätten Experten, die nicht der Parteilinie entsprechen, auf die schwarze Liste gesetzt. Laut einem früheren TV-Kameramann ist der Lieblingswitz von Nachrichtensprechern vor Live-Schaltungen mit Korrespondenten, zu sagen: «Jetzt bist du dran mit Lügen.»

Zum Medienkonzern WGTRK gehören unter anderem die grössten landesweiten Fernseh- und Radiosender sowie mehr als 80 regionale Fernseh- und Radiokanäle. WGTRK erreicht laut Eigenaussage 98,5 Prozent der russischen Bevölkerung mit seinen diversen Medien. Auch bei uns sind vorab der umstrittene TV-Sender RT DE und das «alternative Nachrichtenportal» Sputnik in Verschwörungs- und «Querdenker»-Kreisen beliebt.

Die für das WGTRK-Leak verantwortliche Hackergruppe Network Battalion 65' nennt Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine als Motiv für den Datendiebstahl. NB65 und weitere pro-ukrainische Hackergruppen haben zuletzt fast täglich Kreml-nahe Unternehmen und russische Behörden gehackt.

Die erbeuteten Daten werden der Öffentlichkeit auf der Online-Plattform DDoSecrets an einem zentralen Ort zugänglich gemacht. Hinter DDoSecrets stehen Transparenz-Aktivistinnen und -Aktivisten wie die US-Journalistin Emma Best, die mit ihrer Arbeit für Wikileaks und dessen Gründer Julian Assange weltweit für Aufsehen sorgte.

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49 Kommentare
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Stargoli
21.04.2022 09:38registriert Januar 2015
Putin gratuliert zum 30-Jahr-Jubiläum der «Allrussischen staatlichen Fernseh- und Radiogesellschaft» und lobt die «zuverlässige» und «kreative Berichterstattung».

Kreativ stimmt irgendwie schon aber nicht auf die gute Art.
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Herbibi
21.04.2022 09:34registriert Oktober 2019
Diejenigen, die es wissen müssten, d.h. das Volk, werden es nicht erfahren.
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Heini Hemmi
21.04.2022 09:42registriert November 2017
Was für ein primitives System.
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