Es braucht einiges, damit eine Volksinitiative angenommen wird. Sie muss einen klaren Missstand oder ein starkes Unbehagen in der Bevölkerung aufgreifen. Bei der Pflegeinitiative war beides der Fall. Der Arbeitsdruck in der Pflege war schon vor Corona enorm. Die schwerste Gesundheitskrise in der jüngeren Geschichte hat ihn verschärft.
Das ist der Bevölkerung nicht verborgen geblieben. Ihr war auch klar, dass es mit Applaus allein nicht getan ist. Das deutliche Ja ist deshalb keine Überraschung. Auch viele Impf- und Massnahmengegner dürften die Initiative befürwortet haben, in einem Akt von pervertierter Solidarität. Sie sind mit ihrer Impfverweigerung wesentlich für die Misere verantwortlich.
Die Politik hat das «Unheil» kommen sehen. Der Bundesrat wollte die Pflegeinitiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfehlen. Das Parlament machte nicht mit. Es erarbeitete nicht nur einen Gegenentwurf, sondern stockte ihn nach Ausbruch der Krise auf. Bund und Kantone wollten knapp eine Milliarde Franken in eine Ausbildungsoffensive investieren.
Das war sehr grosszügig und zielte doch am Problem vorbei. Die Ausbildung von mehr Personal allein wird nicht verhindern, «dass weiterhin unzählige Pflegeprofis den Beruf verlassen», wie die WoZ treffend schrieb. Bis 40 Prozent geben früher oder später auf. Oder polemisch formuliert: Wollen wir eine Milliarde in Berufsaussteiger investieren?
Man kann und soll mehr Leute ausbilden, auch weil die ethisch heikle Rekrutierung im Ausland schwieriger wird. Man muss sie aber im Beruf halten. Dafür braucht es bessere Arbeitsbedingungen, das haben die Initiantinnen betont. Zu viel Stress, schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie und ungenügende Löhne laugen das Personal aus.
Das Pflegepersonal zahlt letztlich den Preis für unsere dysfunktionale Gesundheitspolitik. Weil es keine starke Lobby hat, wird praktisch der ganze Spardruck auf seinen Schultern abgeladen. Die Politik aber kann das Signal dieses Volksentscheids nicht ignorieren. Sie muss generell mehr Geld für die Pflege locker machen, nicht nur in der Ausbildung.
Dabei hat der Bund direkt wenig Einfluss. Er betreibt keine Spitäler, Heime oder Spitex-Dienste. Gefordert sind in erster Linie die Kantone und die Sozialpartner. Auch ist darauf zu achten, dass eine Lösung möglichst nicht auf die Krankenkassenprämien durchschlägt. Es wird deshalb nicht ohne zusätzliches Steuergeld gehen.
Die neue deutsche Regierung will eine Milliarde Euro für einen erneuten Pflegebonus freimachen. Ein solches Signal wäre auch bei uns ein erster Schritt. Weitere werden folgen müssen, denn im Endeffekt geht es um unsere Gesundheit.