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Jetzt wollen die Ukrainer die ATACMS-Rakete – so reagieren die Russen

Eine ATACMS-Rakete abgefeuert von einem HIMARS.
Eine ATACMS-Rakete abgefeuert von einem HIMARS.bild: lockheed martin

Jetzt wollen die Ukrainer die ATACMS-Rakete – und so reagieren die Russen

Die Ukrainer feiern mit den HIMARS erste Erfolge. Doch das Waffensystem hätte noch viel mehr Potenzial.
19.07.2022, 09:1019.07.2022, 12:55
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Die Ukrainer können im Krieg gegen Russland neu auf den Raketenwerfer HIMARS zählen. Damit sollen sie bereits erhebliche Erfolge gefeiert haben, wie die Nachrichtenagentur AFP schreibt. Seit Mitte Juni seien 20 grössere russische Munitionsdepots und Kommandoposten zerstört worden, die ohne HIMARS nicht erreichbar gewesen wären.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigt sich über die Effektivität der HIMARS höchst erfreut: «Die Besatzer haben bereits sehr gut zu spüren bekommen, was moderne Artillerie ist. Sie werden nirgendwo auf unserem Land einen sicheren Rückzugsort haben.» Bisher ist die Lieferung von insgesamt zwölf HIMARS bestätigt.

So bedrohlich sind die HIMARS für Russland

Das neue Waffensystem, das von den USA geliefert wird, stellt Russland tatsächlich vor grössere Probleme. Die HIMARS hätten «zu einer erheblichen Störung der russischen Logistik geführt», stellt der ehemalige australische General und Militärexperte Mick Ryan auf Twitter fest.

Die Raketen würden russische Artillerie-Munitionslager sowie taktische Hauptquartiere zerstören, so Ryan. Selbst die russischen Luftabwehrsysteme hätten sich als anfällig erwiesen. Gemäss Ryan sind die Aussichten für die Russen nicht gut. Nicht nur seien jetzt Angriffe der ukrainischen Luftwaffe wahrscheinlicher. Auch die Moral der russischen Truppen sei durch die HIMARS-Schläge beschädigt worden, so Ryan.

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HIMARS können mit sechs Boden-Boden-Raketen (GMLRS) bestückt werden. Es kann jedoch auch eine ATACM-Rakete abgefeuert werden.Bild: keystone

Da die Ukrainer die HIMARS mit Lenkraketen bestücken, die bis zu 80 Kilometer weit fliegen können, müssen die Russen ihre Munitionslager weiter hinter die Front verlegen. Der Nachschub wird so bedeutend schwieriger. Vor allem, wenn man bedenkt, wie viel Artillerie-Munition die Russen jeden Tag verbrauchen. «Gestern haben die Russen 20'000 Munitionsladungen verschossen», rechnete Militär-Experte Sean Bell am Sonntag bei Sky News vor. «Im Durchschnitt wiegt eine Ladung 50 Kilogramm. Das ist also eine Million Kilogramm pro Tag.»

Wie einschneidend die Bedrohung durch HIMARS für die Russen ist, zeigt die Karte von Twitter-User «Def Mon». Falls die Invasoren immer noch in gleicher Menge Artillerie verschiessen wollen, müssen sie doppelt so viele Fahrten mit Lastwagen machen wie bisher, da die Munitionslager weiter entfernt sind. Der Benzinverbrauch wird sich dadurch ebenfalls merklich erhöhen. Zudem sind wichtige russische Nachschubwege per Zug nun ebenfalls in Reichweite der HIMARS.

Nun wollen die Ukrainer die «ATACMS»-Rakete

Das Kräftegleichgewicht hat sich durch die HIMARS also wesentlich verändert. Die Ukraine kann dank des modernen Waffensystems ihre Unterlegenheit bei der Artillerie etwas wettmachen. Nun könnte es für die Russen noch bitterer kommen. Denn die Ukrainer haben noch nicht einmal das ganze Potenzial der HIMARS ausgeschöpft.

Denn die HIMARS – und übrigens auch das kürzlich in der Ukraine eingetroffene Raketenwerfersystem M270 – können theoretisch mit sogenannten ATACMS (MGM-140 Army Tactical Missile System) bestückt werden.

ATACMS-Raketen fliegen mit einer Reichweite von 300 Kilometern nochmals deutlich weiter als die bisher eingesetzten Raketen. Damit könnten die Ukrainer die ganze Krim, die Krim-Brücke, das ganze besetzte Gebiet und Teile Russlands ins Visier nehmen. Zudem würde es für die Russen schwieriger, die Schwarzmeerblockade aufrechtzuerhalten.

Als US-Präsident Joe Biden Anfang Juni die Lieferung der HIMARS bekannt gab, stellte er jedoch auch klar, dass keine ATACMS-Raketen in die Ukraine mitgeliefert würden. Der US-Präsident befürchtete eine Ausweitung des Krieges. «Wir wollen keinen Krieg zwischen der Nato und Russland», so Biden damals.

epa09909468 Ukrainian Defense Minister Oleksii Reznikov during a meeting of Ministers of Defense at the US Air Base in Ramstein, Germany, 26 April 2022. The U.S. Secretary of Defense Austin has invite ...
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow ist zuversichtlich, dass die Ukraine Raketen mit grösserer Reichweite bekommt.Bild: keystone

Doch nun, da die Ukrainer beweisen konnten, dass sie die HIMARS effektiv einsetzen können, wollen sie von Biden, dass er seinen Entscheid überdenkt. «Unsere Regierung spricht mit Vertretern der USA auf allen Ebenen über die Notwendigkeit, uns mit HIMARS-Raketen mit grösserer Reichweite zu versorgen», sagte das ukrainische Parlamentsmitglied Fedir Wenislawsky vergangene Woche. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Ukraine die ATACMS-Raketen bekommen würde.

Ähnlich äusserte sich der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow in einem Interview mit der Financial Times. Er glaube, dass die USA weitere HIMARS und Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern schicken würden. «Ich denke, das passiert Schritt für Schritt. Wir liefern ihnen den Beweis, dass wir sie mit Präzision und Raffinesse einsetzen können, und wir bekommen mehr und eine grössere Reichweite.»

Die ATACMS-Rakete kann vom HIMARS (im Bild) oder dem Raketenwerfersystem M270 abgefeuert werden.
Die ATACMS-Rakete kann vom HIMARS (im Bild) oder dem Raketenwerfersystem M270 abgefeuert werden. bild: lockheed martin

So reagieren die Russen

Bisher hat sich die Haltung der USA offiziell nicht geändert. Doch in Russland wird man zunehmend nervös. Am Sonntag verkündete Serhii Bratchuk, ein Sprecher von Odessas Militärverwaltung, dass Russland eine «bedeutende Anzahl» Schiffe von Sewastopol nach Noworossijsk verlegt habe. Diverse Beobachter vermuten nun, dass die Schiffe damit aus der Reichweite der ATACMS-Raketen gebracht wurden. Was an diesen Spekulationen dran ist, lässt sich momentan nicht sagen.

Klar ist, dass sich die Russen durchaus vor den ATACMS-Raketen fürchten. Die Zerstörung der westlichen Waffensysteme hat im Kreml höchste Priorität. So erteilte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu seinen Truppen bei einem Frontbesuch den Befehl, die Raketensysteme zu zerstören, wie der russische Kriegsreporter Alexander Sladkov auf Telegram mitteilte.

Im russischen Staatsfernsehen sprechen sie über den Krieg. Ab 1:10 äussert Skabejewa ihre Drohung.

Video: twitter/JuliaDavisNews

Auch im russischen Staatsfernsehen waren die ATACMS-Raketen Thema. Moderatorin Olga Skabejewa tat, was die Putin-Propagandisten immer tun, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen, und reagierte mit einer Drohung. Skabejewa wetterte: «Wenn die Amerikaner Raketen liefern, die 300 Kilometer weit fliegen können, dann können wir nicht mehr stoppen und gehen bis nach Warschau.»

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167 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hänsel Thunberg
19.07.2022 09:32registriert August 2021
Nach Warschau? Die ruSSen werden 5km nach der Grenze vernichtet. Spätestens...
21422
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Liebu
19.07.2022 10:03registriert Oktober 2020
«Wenn die Amerikaner Raketen liefern, die 300 Kilometer weit fliegen können, dann können wir nicht mehr stoppen und gehen bis nach Warschau.»

Es wäre an der Zeit, dass sie den Wahnsinn stoppen.
Falls sie nach Warschau wollen, würden sie gestoppt und zwar ziemlich schnell.
Eigentlich könnte man einmal zurückdrohen mit noch mehr Artillerie und Raketenlieferungen für die Ukraine, falls Russland weiter vorrückt.
Man kann auch anfügen die NATO sehe sich bedroht von Russlands Expansion Richtung Westen.
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mMn
19.07.2022 10:44registriert September 2020
Wenn Russland beginnt zu drohen, hat der Westen alles richtig gemacht.
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