Mit hoher Geschwindigkeit nähert sich ein Minibus der ukrainischen Strassensperre. Kurz vor der Stellung bremst der Fahrer scharf. Ein Soldat öffnet die Seitentür und nimmt schnell einen Karton mit Brotlaiben heraus. Hinter dem Steuer sitzt ein Uniformierter mit einem langen grauen Bart. Den Schnauz hat er sich abrasiert. Er sieht aus wie ein Islamist.
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Und tatsächlich: Vorne auf dem Minibus prangt die grüne Flagge Saudi-Arabiens mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Daneben die Fahne Tschetscheniens. Und ein weiteres Emblem, auf dem auf Russisch «Scheich-Mansur-Bataillon» zu lesen ist. Der Fahrer ist einer jener Tschetschenen, die mit den Ukrainern gegen die Russen und die mit ihnen verbündeten Söldner des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow kämpfen.
An der Strasse nach Cherson besteht der Kampf des bärtigen Tschetschenen darin, die Stellungen mit Essen zu versorgen. Cherson ist die einzige ukrainische Provinzhauptstadt, welche die Russen in dem nun schon fast fünf Monate dauernden Krieg erobern konnten. Die Stadt liegt am westlichen Ufer des Dnjepr und ist damit gefährlich exponiert. Eine Brücke und eine weiter nordöstlich gelegene Staumauer sind die einzigen Nachschubwege, die Cherson mit der seit 2014 von den Russen besetzten Halbinsel Krim verbinden.
Nach ihrem Erfolg in Cherson versuchten die Russen in den ersten Kriegswochen weiter nach Westen in die grosse Hafenstadt Odessa vorzurücken. Dort wollten sie sich mit den nur wenige Dutzend Kilometer entfernten russischen Truppen in der abtrünnigen moldawischen Region Transnistrien vereinigen. Doch der Vorstoss kam nicht weit. In der Schiffbaustadt Mikolajew am südlichen Bug wurden die Russen vernichtend geschlagen. Davon zeugen jetzt noch Überbleibsel von ausgebrannten Schützenpanzern und Lastwagen, die zwischen Sonnenblumen vor sich her rosten.
Der Kontrollposten, an dem der Tschetschene seine Nahrungsmittel abgeliefert hat, verfügt über ein weit verzweigtes System von Schützengräben und Bunkern. Die Gegend ist übersät von Granattrichtern, und die Bäume, die den Soldaten Schatten spenden, weisen Spuren von Beschuss auf. Geschlafen wird in Unterständen mit Kajütenbetten und einer Duschkabine.
Ein kleiner Generator versorgt eine Tiefkühltruhe und Ladestationen für Handys mit Strom. In einem Bunker steht eine Topfpflanze neben einem abgeschossenen grünen Sofa, auf dem die Soldaten mehrere Panzerabwehrraketen deponiert haben. Am Boden liegen drei Mörsergranaten mit eingeschraubten Aufschlagzündern.
Anders als in vielen Medien berichtet, ist für die Ukraine die Südfront bei Cherson von strategischer Bedeutung und nicht der östliche Donbass, in dem die Russen langsam vorrücken. Der Donbass steht im Fokus, weil Präsident Putin dessen Eroberung zum Kriegsziel erhoben hat.
Für die Ukraine ist aber der Süden und damit der Zugang zum Schwarzen Meer ungleich wichtiger. Darum konzentrieren sich die ukrainischen Streitkräfte stärker auf die geplante Rückeroberung von Cherson. Ziel ist es, blockierte Häfen wie jenen von Mikolajew mit seiner grossen Schiffswerft freizukämpfen.
Ohne Zugang zum Schwarzen Meer kann die Ukraine ihr Getreide nicht kostengünstig mit Hochseefrachtern exportieren. Im Süden geht es also auch darum, die Wirtschaftsblockade der russischen Truppen und Seestreitkräften zu sprengen. Im Donbass liefern sich die Ukrainer dagegen nur Rückzugsgefechte mit den vorrückenden Russen. Die dort an die Invasoren verlorenen Städte haben keinen strategischen Wert. Seit Beginn ihrer Offensive Mitte April haben die Russen im Donbass unter hohen Verlusten schätzungsweise 1600 Quadratkilometer erobert. Wenn sie im selben Tempo weitermachen, wird es rund 75 Jahre dauern, bis sie die gesamte Ukraine unter ihre Kontrolle bringen.
Die von den USA gelieferten Boden-Boden-Raketen vom Typ HIMARS und andere westliche Präzisionswaffen mit grosser Reichweite bereiten den Russen sowohl im Donbass als auch an der Front bei Cherson zunehmend Sorgen. Bisher haben die Invasoren kein Mittel gefunden, um ihre Munitionsdepots gegen solche Attacken zu schützen.
Bisher hatten die Russen bezüglich Granaten, Kanonen und Raketenwerfern einen riesigen numerischen Vorteil. Die wenigen bis jetzt gelieferten HIMARS-Systeme und westlichen Panzerhaubitzen oder Selbstfahrlafetten können diesen Rückstand höchstens durch ihre Präzision wettmachen. Sie sind im Vergleich mit den russischen System viel zielgenauer, weil sie mit Satellitennavigation gelenkte Geschosse abfeuern können. Damit benötigen sie weniger Munition, um ein einmal erkanntes Ziel zu zerstören. Wenn genügend dieser teuren westlichen Waffen ins Land kommen, könnte sich das Blatt zugunsten der Ukraine wenden.
Nachdem die ersten Munitionsdepots in der Region von Cherson in Feuerbällen aufgegangen waren, reagierten die russischen Truppen mit wütenden Gegenschlägen. In einer ersten Vergeltungsaktion feuerten sie rund 20 Raketen auf das wenige Dutzend Kilometer entfernte Mikolajew ab. Am Freitagmorgen folgten dann zehn Raketen, die zwei Universitäten trafen. Die Detonationen waren in der ganzen Stadt zu hören.
Meistens ist der Beschuss jedoch erratisch, mit Einschlägen hier und dort, ohne dass ein System erkennbar wäre. Es scheint den Russen mehr darum zu gehen, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Ob diese Rechnung aufgeht, bleibt abzuwarten. Es ist auch denkbar, dass in der Folge der Hass auf die Russen und damit die Wehrbereitschaft zunehmen. An neuen Rekruten mangelt es den Ukrainern nicht. Es wird geschätzt, dass inzwischen neben rund 200'000 professionellen Soldaten weitere 800'000 Mitglieder der Territorialverteidigung und der Nationalgarde unter Waffen stehen.
In Mikolajew ist gut zu beobachten, wie sich viele Zivilisten an den Beschuss gewöhnen. Weil die meisten Strände am Meer zur Abwehr russischer Landeoperationen vermint wurden, baden sie jetzt mitten in der Stadt im südlichen Bug.
Auch die Bauern in Frontnähe lassen sich durch die Attacken nicht beeinträchtigen, denn es ist Erntezeit. Unweit der Stellung mit dem grünen Sofa und der Tiefkühltruhe sind Kleinbauern damit beschäftigt, Zwiebeln in Säcke abzufüllen und zu verladen. Ein angeketteter Schäferhund bellt böse, während uns ein älterer Mann herumführt. Neben seinem Gemüseacker hat er hinter einem Verschlag Überreste russischer Fallschirmbomben abgelegt.
Ein paar Gehminuten entfernt rumpelt ein Mähdrescher über die Weizenfelder. Ein randvoll beladener Kipplaster fährt das frisch geerntete Getreide weg. Noch muss die Ukraine ihre Produkte auf dem Landweg ausführen. Doch es ist das erklärte Ziel Kiews, die blockierten Seehäfen im Süden mit einer Gegenoffensive zu öffnen. (aargauerzeitung.ch)
Das "Putin'sche System" (eine Art "Super-Mafia-Terrorstaat) kommt dank ihrem mutigen und beherzten Widerstand und Freiheitswillen an seine Grenzen.
Wenn Putin wirklich so schlau und vernünftig ist, wie die Putin-Versteher glauben, hört er jetzt auf und begnügt sich damit, dass er das grösste Land der Erde auf Lebenszeit regiert und der reichste Mann der Welt ist.
Wenn nicht, dann wird er so schmählich enden, wie vor ihm Tschautschesku, Milosewic, Hussein, Ghadaffi und wie sie alle hiessen.
Immerhin sind nun die wenigen Himars (etc.) sehr effektiv und stärken die Moral der Ukrainer, was sehr wichtig ist.
Experten hört u liest man viele. Hier habe ich keine Einschätzungen aus dem Büro, sondern Beschreibungen u Erklärungen mit direktem Bezug.
Es braucht viel Mut dahin zu reisen, wo es gefährlich ist. Das respektiere ich sehr!