Meine Güte sieht das alles wunderschön aus! Mit gezücktem Schwert renne ich über ein malerisches Blumenfeld, das meine Augen verzückt. Ein kräftiger Wind weht um meine Spielfigur und bringt die komplette Natur um mich arg ins Schwanken. Langsam einsetzender Regen und Blitze in der Ferne geben der Szenerie ein schauriges Kleid. Bevor es wie aus Kübeln giesst und die Weitsicht getrübt wird, bearbeitet meine Klinge die herumlungernden Banditen, die den Hinterhalt nicht kommen sahen. Beinahe tanzend entledige ich mich des Gesindels und setze anschliessend meine Reise in dieser fantastischen Spielwelt fort.
Die Spielreihe «Assassin’s Creed» muss sich seit Jahren stets mit Kritik auseinandersetzen. Viele haben dem Ubisoft-Kind längstens den Rücken zugekehrt. Zu gross und zu umfangreich wurden die Spielwelten, zu viele Rollenspielelemente drückten sich in den Vordergrund und zu weit entfernten sich die Nachfolger vom Geiste des Originals. Eine oft unsaubere Technik, eindimensionale Figuren von der Game-Stange und eine mittlerweile schwierig überschaubare Hintergrundgeschichte machten viele über die Jahre müde.
Und dennoch ist die Faszination dieser Spielreihe immer noch da, und wenn sich ein neues Abenteuer mit Ach und Krach auf den Markt drückt, sind alle Augen darauf gerichtet. Doch trotz aller Kritik und hoher Erwartungshaltung bei der Fan-Gemeinschaft weiss Ubisoft stets, wie eine bestimmte Zeitepoche optisch und auch inhaltlich in Szene gesetzt werden muss. Historiker müssen zwar immer wieder beide Augen zudrücken, doch eine inbrünstige Atmosphäre können sie immer noch ohne Probleme auf den Bildschirm zaubern.
Im feudalen Japan 1579 herrschen Intrigen, Machtkämpfe und Chaos. Blutige Auseinandersetzungen, Kriminalität und Kriegsfürsten dominieren in einer Zeit, wo sich verschiedene Clans bekämpfen und eine einheitliche Gesellschaft weit entfernt ist. In diesen verwirrenden Zeiten erheben sich zwei besondere Menschen aus ihrer sozialen Asche, die vorerst noch nichts voneinander wissen, jedoch bald eine gemeinsame Herausforderung teilen werden.
Naoe ist eine Shinobi-Attentäterin, die nach dem tragischen Verlust eines Familienmitglieds fest entschlossen nach Rache dürstet und jedes einzelne Mitglied einer mysteriösen Gruppierung bluten lassen will. Parallel begleiten wir Yasuke, einen mächtigen afrikanischen Samurai, der seinem Herrn treu ergeben ist und zu einer lebenden Legende in Japan wurde.
Die «Assassin’s Creed»-Reihe besitzt mittlerweile weit über zehn Spiele und diverse Ableger, die stets ein Oberthema besitzen: Wir erleben immer die Erinnerungen von verstorbenen Assassinen, die sich mit dem Tempelritter-Orden einen jahrzehnte-, ja jahrtausendelangen Kampf um die Vorherrschaft und die Freiheit liefern. Oder anders ausgedrückt: Im Hintergrund der gesamten Menschheitsgeschichte tragen zwei grosse Parteien ihren Konflikt aus, der stets Auswirkungen auf die Geschichtsschreibung innehat.
Und ganz nüchtern betrachtet sind wir stets an einer Maschine angeschlossen, welche die Erinnerungen unserer Vorfahren in Echtzeit erlebbar macht. Diese SciFi-Prämisse ist zwar immer noch in jedem Spiel in irgendeiner Form Gegenstand der Dramaturgie, wurde aber in den Jahren immer unbedeutender, da die Epochen und die darin agierenden Protagonisten mehr und mehr ins Zentrum rückten. Veteranen kommen damit klar und haben sich mit dieser Tatsache längst abgefunden, während Neulinge stets mit ganz vielen Stirnfalten durch die Welt wandern und sich wundern, wenn Zukunfts-Technologie plötzlich eine Rolle spielt.
Selbstverständlich bedient sich auch «Shadows» der gewohnten Spielmechanik, wo wir als Assassine durch die Weltgeschichte schleichen und immer wieder templerische Verschwörungen aufdecken müssen. Zwar gibt es hie und da ein paar klitzekleine Änderungen und kosmetische Schmankerl, aber die Grundformel ist und bleibt in Stein gemeisselt.
Will heissen, dass ihr stets den vorgegebenen Story-Zielen nachgeht, die mal total klar und manchmal verwirrend unklar sind, und dann dem Drama folgt. Die Spielwelt jenseits der Hauptgeschichte lockt wieder mit zahlreichen Nebenaufgaben, die das Spielzeitkonto weiter füllen werden. Doch auch im jüngsten Ableger ist die Spielwiese wieder fakultativ und hat auf den stringenten Storyverlauf kaum Einflüsse.
So begibt man sich denn auf die Reise durch grosszügige Gebiete, die sich naturtechnisch stets in unterschiedlichen Kleidern zeigen. Wir klettern auf hohe Bäume, Tempel, Burgen und andere Gebäude, um die Karte ein bisschen aufzudecken, damit wir nicht komplett in der Spielwelt untergehen. Wir markieren Schreine, Orte mit einem Fragezeichen und sonstige Plätze, die uns interessieren, um uns in einem Nebenschauplatz komplett zu verlieren.
Wir sammeln Rohstoffe, plündern Schätze, verbessern unsere Fähigkeiten, besorgen neue Waffen, rekrutieren Verbündete für unseren Kampf und unser Versteck, das wir ausbauen können, und sorgen dafür, dass wir stets genügend Späher um uns haben, die uns bei der nächsten Mission an den richtigen Ort geleiten. Und ganz wichtig: Hin und wieder streicheln wir einen Hund oder eine Katze, um unser Gemüt zu erfreuen.
Auch wenn wir im Prolog die Bekanntschaft mit beiden Figuren machen dürfen, erstaunt es, dass man sich in den kommenden ca. zehn Stunden nur mit Naoe auseinandersetzen, sprich in ihre Haut schlüpfen kann. Denn Yasuke ist für mehrere Stunden kein Thema mehr, gesellt sich erst danach dazu und darf dann erst als Spielfigur ausgewählt werden. An sich nicht so schlimm, da das Spiel alleine für die Hauptgeschichte weit über dreissig Stunden frisst, aber dem Spielgefühl kommt das nicht entgegen.
Wenn man sich nämlich mehrere Stunden intensiv mit der Shinobi-Technik auseinandergesetzt hat und nun die junge Schleichkünstlerin beinahe blind durch die Levels dirigiert, wird es schwer, ihren Stil nicht auch für den Rest des Spiels zu übernehmen. Zwar kann fast jederzeit zwischen den beiden Figuren frei gewechselt werden, doch Yasuke wird leider viel zu schnell uninteressant.
Auch wenn der Hüne in den Kämpfen viel stärker zulangt, ist er beispielsweise für Kletterpassagen kaum geeignet. Auch wenn man durchs Unterholz schleichen möchte, macht er keine so gute Figur wie Naoe. Kommt dazu, dass man mit wenig Aufwand auch die Shinobi mit Schwerttricks, Waffen und sonstigen Kampftaktiken aufleveln kann, sodass die grosse Samurai-Spielfigur fast schon obsolet wird. So verkommt Yasuk leider immer mehr zu einem Notnagel, den man nur dann einsetzt, wenn eine grosse Gruppe aufs Maul haben möchte.
Egal mit welcher Spielfigur ihr euch in Japan bewegt, sobald es zu einem Kampf kommt, spritzt das Blut ordentlich. Die rote Sauce läuft nicht nur literweise, sondern wird auch zusätzlich von einer ordentlichen Portion Ruppigkeit begleitet. Wenn die Shinobi oder der Samurai mit ihren Schwertern und anderen Stichwaffen zulangen, wird es heftig. Da wird geschrien, Kehlen werden aufgeschlitzt und vielleicht auch mal das eine oder andere Körperteil abgetrennt.
Auch wenn das stellenweise zu überstilistisch daherkommt und historisch nicht so ganz akkurat sein mag, die wuchtigen Kämpfe sind stets eine willkommene Abwechslung, wenn man denn vom lautlosen Herumschleichen in den Gebüschen genug hat und nicht immer über die Dächer huschen möchte.
«Shadows» schafft es erstaunlich gut, den Spielenden die japanische Kultur und Traditionen näherzubringen. Wir bekommen hier nicht nur einen leicht kompakten Geschichtsunterricht einer bestimmten Epoche verpasst, sondern werden auch mit vielen kulturellen Phänomenen und auch Eigenheiten Japans konfrontiert.
Wir machen die Bekanntschaft mit der Gesellschaftsstruktur, lernen Tee-Zeremonien, lauschen alten Legenden, bekommen Modetipps, werden in die Architektur und Kunst eingeführt und mit vielen weiteren reichhaltigen Einblicken gesegnet, die in Erinnerung bleiben werden.
Wie eingangs schon erwähnt, überzeugt auch dieses Abenteuer mit einer wunderschön gestalteten Spielwelt, die uns immer wieder innehalten lässt, um sie auf uns wirken zu lassen. «Shadows» ist es dabei besonders gelungen, die Vielfalt der japanischen Flora und Faune gekonnt einzufangen und sie den Spielenden zu vermitteln. Egal in welchem Gebiet ihr euch aufhält, die Umgebung ist überwältigend. Die bis ins kleinste Detail erschaffenen Landschaften sind schlicht fantastisch und immer einladend.
Wilde Bachverläufe, unberührte Waldabschnitte, zerklüftete Felsen, wunderschöne Blumenwiesen und Kirschblüten-Areale zum Verlieben, das Staunen will gar nicht mehr aufhören. Dazu kommen dynamische Wettereffekte, welche die Landschaften jeweils in komplett andere Lichter tauchen. Kurz: So gut sah ein «Assassin’s Creed» schon lange nicht mehr aus.
Fazit: Ich war lange Zeit «Assassin’s Creed»-müde. Das letzte Spiel der Reihe hat mir aber dank seiner Kürze wieder Lust auf mehr gemacht. Und diese Lust wurde mit «Shadows» ordentlich befriedigt.
Auch wenn die Geschichte sehr lange braucht bis sie in Fahrt kommt und mit den üblichen Rache-Stereotypen zugeschüttet wird, habe ich den jüngsten Ableger sehr genossen. Dies alles ist jedoch vor allem dem japanischen Setting zu verdanken. Schon lange nicht mehr hat mich eine Epoche so sehr eingenommen wie diejenige in «Shadows». Wissbegierig tauchte ich ein und sog alles auf, was mir die japanische Kultur und die Vergangenheit dieses Landes beibringen wollte.
Doch «Shadows» ist auch eines dieser Spiele, das gerade in den ersten zehn Stunden viel Geduld braucht und das Gefühl der Gleichgültigkeit verleihen kann. Wer anfangs aber durchhält und sich auf den sehr blutigen Rachefeldzug begibt, bekommt nicht nur ein sauberes «Assassin’s Creed» spendiert, sondern auch ein Langzeitspiel, das man regelmässig sehr gerne aufsucht, um sich von seiner Schönheit einlullen zu lassen.
«Assassin’s Creed Shadows» ist erhältlich für Playstation 5, Xbox Series X/S und PC. Freigegeben ab 18 Jahren.
Btw. Ghost of tsushima ist das wesentlich bessere ac und du brauchst auch keine 70.-- für die standard version