Jede Lehrperson wäre vor Freude quer durchs Klassenzimmer gehüpft, hätte sie je eine so gut vorbereitete Schulklasse vor sich gehabt wie Sandro Brotz freitagabends im Studio 8 am Leutschenbach.
Zugegen waren die Präsidentinnen und Präsidenten der sechs grössten Parteien plus die Repräsentanten von EVP und EDU, die beiden Kleinparteien sind – wenn auch ohne Fraktionsstärke – ebenfalls im Parlament vertreten. Nachfolgend das Line-up:
Die versammelte Präsidentenrunde hatte sich für die erste von 11 «Arena»-Sendungen im Vorfeld der eidgenössischen Parlamentswahlen Ende Oktober artig in den Stoff eingelesen. Jede und jeder wollte die eigene Parteiparole ein erstes Mal in die Schweizer Stuben posaunen, daneben blieb kaum noch Zeit für die sonst üblichen Zankereien. So kam es, dass anstelle von Moderator Brotz auch ein Anfangzwanziger frisch ab der Pädagogischen Hochschule durch die Sendung hätte geleiten können, ein Massstab zwecks Bestrafung sich nicht ziemender Ausfälligkeiten brauchte es für einmal nicht.
Und so dauerte es denn auch fast bis zum Ende der «Arena» – genauer bis zu Lektion 3 und dem Thema Zuwanderung – ehe sich das erste und auch einzige Kuriosum festmachen liess. SVP-Präsident Marco Chiesa hatte bereits rund 85 Sendeminuten auf jeden angesprochenen Inhalt von Moderator Brotz fast ausschliesslich eine Antwort bereit: zu viel Migration.
Atomkraftwerke abschalten? Geht nicht, zu viel Migration. Sinkende Kaufkraft? Ja, zu viel Migration. Krankenkassenprämien könnten 2024 um 10 Prozent steigen? Ja, zu viel Migration.
Brotz nutzte also den Moment in den Schlussminuten, um vom SVP-Präsidenten im Einzelverhör in Erfahrung zu bringen, ob es denn auch ein Problem in der Schweiz gebe, an dem nicht die Ausländer Schuld seien. Und was machte Chiesa? Er umschiffte die Frage gekonnt und platzierte seine Botschaft ein weiteres Mal. Ob dies polit-taktische Absicht oder der Verständigung geschuldet war, wurde auch nach mehrmaligem Nachhaken nicht klar.
Marco Chiesa hatte bereits einige Minuten zuvor für Schmunzler gesorgt, als er betonte, in der Zeit als er Leiter eines Altersheimes war, keinen einzigen Ausländer und Grenzgänger beschäftigt zu haben.
Nebst dem Thema Zuwanderung standen auch die Klima- und Energiepolitik auf dem «Arena»-Lehrplan. Grünen-Präsident Balthasar Glättli bediente sich dem rhetorischen Stilmittel der Antithese («Heisser Sommer, kalter Schauer den Rücken runter»), um auf klimatische Kipppunkte wie die Oberflächentemperatur des Atlantiks (zu hoch) und den Umfang an Neu-Eis in der Antarktis (zu niedrig) hinzuweisen. Die Lösung, damit es in der Schweiz klimapolitisch vorwärts geht: Grüne wählen. Brotz' vergnügte Antwort: «Da wär ich jetzt fast nicht draufgekommen.»
GLP-Präsident Jürg Grossen dozierte derweil im Stile des Klassenstrebers etwas von der Power-to-X-Strategie (Umwandlung von überschüssigem Strom in synthetische Gase/Treibstoffe) und liess es sich nicht nehmen, Parlamentskollege Glättli kurz in die Schranken zu weisen. Grossen appellierte an die Vernunft und replizierte Glättlis zuvor feurig-emotional artikulierten Monolog (Grüne wählen!) kurz und knapp mit den Worten:
Nebst den inhaltlichen Schwerpunkten gab es zum Wahlkampfauftakt in der «Arena» auch den einen oder anderen thematischen Exkurs. Gleich zu Beginn der Sendung wurde einmal mehr auf den Vorgang der Listenverbindungen eingegangen – obwohl medial schon mehr durchgekaut als jeden von Alex Fergusons Kaugummis.
Kurios dabei: Selbst wenn Andreas Glarner nicht Teil einer TV-Debatte ist, kommt der SVP-Nationalrat zur Sprache. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer nahm Glarner zum Anlass, FDP-Präsident Thierry Burkart zu kritisieren – der Freisinn paktiert in einigen Kantonen, darunter im Kanton Aargau, mit der SVP.
Doch auch dieser Dialog zwischen Mattea Meyer und Thierry Burkart blieb wie alle anderen im gesitteten Rahmen. Der «Arena»-Aufgalopp zum Wahlherbst hatte – vom Zeitpunkt her ziemlich passend – etwas von einem ersten Schultag nach den Sommerferien. Man trifft sich nach längerer Zeit wieder an gewohntem Ort, schaut zurück aber vor allem vorwärts auf das kommende Semester.
Ein Semester mit den eidgenössischen Parlamentswahlen als absoluter Höhepunkt. Ein Semester geprägt von Themen, welche die Schweizer Bevölkerung beschäftigen. Ob Versorgungssicherheit, Krankenkassenprämien, Migration oder Klimawandel – die kommenden «Arena»-Sendungen dürften bezogen auf die Intensität der Debatte einer Pausenplatz-Keilerei näher stehen als dem Malkurs.