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Corona-Strategie: Wie sich die USA vom Schandfleck zum Vorbild mausern

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Impfung von Pflegekräften in einer Stadt in Südkalifornien. Ihr Name: Corona.Bild: keystone

Die USA werden vom Corona-Schandfleck zum Vorbild

In keinem Land hat die Corona-Pandemie so viele Opfer gefordert wie in den Vereinigten Staaten. Nun zünden sie den Turbo: Bis im Spätsommer könnte das ganze Land geimpft sein.
28.01.2021, 06:0129.01.2021, 06:07
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Die Zahlen sind düster. Mehr als 25 Millionen Corona-Infektionen und mehr als 425'000 Covid-19-Todesfälle wurden in den USA bislang registriert. Das sind unrühmliche Spitzenwerte, selbst wenn man die Grösse des Landes berücksichtigt. Der neue Präsident Joe Biden warnt, bis zum Ende der Pandemie könnte es mehr als 600'000 Tote geben.

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Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt sein Vorgänger. Donald Trump behauptete, das Coronavirus werde von selbst verschwinden. Dann wieder regte er an, man könne Desinfektionsmittel in den Körper spritzen. Seine Anhänger wiegelte der Ex-Präsident zu Protesten gegen die Corona-Restriktionen in demokratisch regierten Bundesstaaten auf.

Video: watson

Unter Trump wurden die Vereinigten Staaten zum Corona-Schandfleck. Jetzt sieht auf einmal alles anders aus. Die USA dürften «als eines der ersten westlichen Länder ‹Zero Covid› erreichen», schrieb der in Hamburg lebende Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar in der Zeitung «Die Welt». Und dies nicht wegen Lockdowns, sondern dank den Impfungen.

Zwei Millionen Impfungen pro Tag

Präsident Biden versprach am letzten Donnerstag an seinem ersten vollen Arbeitstag 100 Millionen Impfungen in 100 Tagen. Für Aussenstehende mag sich die Idee, eine Million Spritzen pro Tag zu verabreichen, gewagt anhören. Doch Biden hat tiefgestapelt. Schon in der Endphase der Ära Trump wurde diese Zahl zeitweise erreicht.

Der demokratische Präsident korrigierte seine Erwartungen bei einem Auftritt am Montag gleich selber nach oben. 1,5 Millionen Impfungen pro Tag seien möglich, sagte Biden. Und das ist vermutlich nicht das Ende der Fahnenstange. Experten halten gemäss der «New York Times» sogar zwei Millionen Impfdosen pro Tag für realisierbar.

Heimvorteil macht's möglich

Es wäre ein Prestige-Erfolg für die neue Regierung. Möglich ist er, weil die USA schamlos vom «Heimvorteil» Gebrauch machen. Der US-Pharmakonzern Pfizer produziert das von Biontech in Deutschland entwickelte Vakzin. Der Impfstoff von Moderna wird ebenfalls in den USA hergestellt, in einem eigenen Werk und einem des Schweizer Partners Lonza.

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Der Moderna-Impfstoff wird in einem eigenen Werk produziert.Bild: keystone

Joe Biden jedenfalls lässt nichts anbrennen. Er kündigte am Dienstag den Kauf von weiteren 200 Millionen Impfdosen an – jeweils 100 Millionen von Moderna und Pfizer. Zusammen mit den bereits bestellten 400 Millionen Injektionen könnten gemäss Biden bis zum Spätsommer oder Frühherbst 300 Millionen Amerikaner geimpft werden, also fast das ganze Land mit 330 Millionen Einwohnern.

Weltweit auf Platz 5

Die USA belegen beim Tempo der Corona-Impfungen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl schon heute im globalen Vergleich den fünften Platz – nach Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Grossbritannien und Bahrain. Weder die EU noch die Schweiz können mithalten. Allerdings gibt es drei Punkte, die Joe Bidens Impferfolg erschweren könnten.

Verteilung

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Joe Biden präsentierte am letzten Donnerstag seine Strategie zur Pandemiebekämpfung.Bild: keystone

Das Problem ist in den USA und bei uns identisch: Wie bringt man die Vakzine in die Arme der Menschen? Für die Regierung Biden besteht ein zentrales Problem darin, dass unter Vorgänger Trump die Behörden in Washington sich darum gekümmert hatten, die Impfstoffe im Land zu verteilen – den Rest aber den Bundesstaaten überliessen.

Mehrere Gouverneure hatten sich beschwert, dass sie deutlich weniger Impfdosen bekommen hätten als zugesagt. Präsident Biden hat eine bessere Planung versprochen. Die Katastrophenschutzbehörde Fema soll beim Aufbau von Impfzentren helfen. Mit mobilen Stationen und dem Einbezug der Apotheken soll das Impftempo ebenfalls erhöht werden.

Impfskepsis

Auch in dieser Hinsicht unterscheiden sich die USA kaum von Europa. Hier wie dort besteht beim Gesundheitspersonal eine beträchtliche Abneigung gegen Impfungen. Weit verbreitet ist die Impfskepsis auch bei Republikanern und Angehörigen von Minderheiten. Sie vereint aus ganz unterschiedlichen Gründen ein Misstrauen gegenüber dem Staat.

Das wirkt im Fall der schwarzen Bevölkerung paradox. Sie ist stark von Covid-19 betroffen. Allerdings wurden Schwarze in der Vergangenheit als «Versuchskaninchen» für medizinische Experimente missbraucht. Besonders übel war die Tuskegee-Studie: Hunderte junge Männer wurden mit Syphilis infiziert und während Jahrzehnten absichtlich nicht behandelt.

Mutationen

Die mutierten Corona-Erreger sind in den USA angekommen. Ende Dezember wurde der erste Fall des britischen Typs B.1.1.7 registriert. Am Dienstag wurde bekannt, dass im Bundesstaat Minnesota erstmals eine Infektion mit der brasilianischen Mutation entdeckt wurde. Diese Mutanten könnten den Impf-Fahrplan durcheinander bringen.

Präsident Joe Biden hat deshalb am Montag den Einreisestopp für Ausländer aus Europa erneuert, den Donald Trump eine Woche zuvor als eine seiner letzten Amtshandlungen aufgehoben hatte. Gleichzeitig weitete er ihn auf Südafrika aus, wo eine weitere Mutation aufgetaucht ist. Wer in die USA reisen darf, muss einen negativen Corona-Test vorweisen.

Auf dem Weg zu Bidens ambitioniertem Impfziel lauern weitere Stolpersteine. So könnten Gouverneure in republikanisch dominierten Bundesstaaten bei sinkenden Fallzahlen zu früh Öffnungen anordnen, warnt etwa CNN. Dies könne eine neue Welle auslösen. Die Eindämmung der Krise werde Zeit brauchen, mahnte Biden am Dienstag.

Dennoch spricht einiges dafür, dass die USA vom Corona-Schandfleck zum Vorbild werden. So dürfte bald ein zusätzlicher Impfstoff verfügbar sein, hergestellt von Johnson & Johnson, einem weiteren amerikanischen Unternehmen. Er soll mit nur einer Dosis wirken und wurde teilweise von der Berner Tochterfirma Janssen Vaccines entwickelt.

Nicht unterschätzen darf man auch den Motivationsschub, den die neue Regierung in der Wissenschaft ausgelöst hat. Sinnbildlich dafür steht der Immunologe Anthony Fauci. Der 80-Jährige ist regelrecht aufgeblüht. Endlich hat er es mit einem Präsidenten zu tun, der sich auf die Wissenschaft verlässt statt auf «alternative Fakten».

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123 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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plaga versus
28.01.2021 06:37registriert November 2015
Perves, die USA zum Vorbild zu machen. Nur weil Geld und Macht nun richtig liegen, heisst das noch lange nicht, dass die USA moralisch und ethisch richtig handeln. Die Impfstoffe fehlen nun in anderen Ländern der Welt. Gerechte Verteilung sieht definitiv anders aus!
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bebby
28.01.2021 06:34registriert Februar 2014
Das erklärt auch teilweise, wieso es nun in Europa zu Lieferverzögerungen kommt.
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Barth Simpson
28.01.2021 06:54registriert August 2020
Warum geben die führenden Pharmafirmen ihre Rezepturen und Patente nicht frei? So wäre es möglich, dass nicht nur ärmere Länder den Impfstoff selber vor Ort produzieren könnten.

Dass eine solche Zusammenarbeit nicht mal jetzt möglich ist, spricht schin Bände. Ich finde solches Verhalten sehr fragwürdig und jenseits jeder Ethik!
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