Du trinkst deinen Kaffee immer ohne Zucker? Du verzichtest auf Schokolade? Du siehst generell davon ab, den Lebensmitteln Zucker beizugeben? Wer denkt, dadurch den eigenen Zuckerkonsum im Griff zu haben, irrt gewaltig. Denn ein Grossteil des Zuckers, den wir zu uns nehmen, ist für uns nicht sichtbar; er steckt in verarbeiteten Lebensmitteln. Zum Beispiel im Müesli, in der Salatsauce, im Fruchtjogurt, in Convenience Food. Zu den grössten Zuckerfallen gehören Softdrinks.
Laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV stammen fast 40 Prozent des zugesetzten Zuckers in unserer Ernährung aus Getränken. Der obere Grenzwert ist bereits mit einem 5dl-Süssgetrank (z.B. Limonaden, koffeinhaltige Energiedrinks) erreicht, wie die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung berechnet hat.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, nicht mehr als 10 Prozent der gesamten Kalorienzufuhr aus zugesetztem Zucker einzunehmen. Bei 2000 Kilokalorien pro Tag entspricht dies maximal 50 Gramm Zucker. Die Bevölkerung in der Schweiz konsumiert gemäss BLV allerdings doppelt so viel Zucker, nämlich durchschnittlich rund 100 Gramm pro Person und Tag. Obwohl doch mittlerweile jeder weiss: Wer zu viel Zucker konsumiert, lebt ungesund. Aber Zucker ist nun mal verführerisch, er liefert rasch Energie, verstärkt den Geschmack und macht durchaus süchtig. Gerade Süssgetränke sättigen zudem kaum und verleiten zu einem noch höheren Konsum. Darum fällt es vielen Menschen schwer, den Zuckerkonsum freiwillig zu reduzieren – obwohl sie genau wissen, welch schwerwiegende Folgen ein Übermass an Zucker im eigenen Ernährungsverhalten hat: Er begünstigt Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen.
Vor diesem Hintergrund ist die hohe Zustimmung für staatliche Eingriffe zu sehen: Laut der aktuellen CSS Gesundheitsstudie würden 72 Prozent eine Regulierung des gesundheitsschädlichen Konsums befürworten – zum Beispiel, indem Hersteller den Zuckergehalt in ihren Produkten reduzieren. Das überrascht insofern eben doch, als sich Prämienzahlende ungern vorschreiben lassen, wie sie sich zu verhalten haben. Und erst recht wollen sie sich nichts verbieten lassen. Die Befragung zu präventiven Massnahmen im Rahmen der Studie förderte nämlich auch zu Tage, dass Vorschriften und Verbote nur von 26 respektive 17 Prozent in Erwägung gezogen werden.
Mit den steigenden Gesundheitskosten wird die Frage nach sinnvollen Präventionsmassnahmen immer dringlicher. Die CSS Gesundheitsstudie zeigt: Konsum- statt Verhaltensregulierung scheint der vielversprechendere Weg zu sein.
Die Schweiz setzt heute auf Freiwilligkeit: 2015 verpflichteten sich im Rahmen der «Erklärung von Mailand» 14 Schweizer Firmen, den Zuckergehalt in bestimmten Produkten wie Jogurts und Frühstückscerealien um 10 Prozent zu senken – darunter Migros, Coop, Kellogg’s oder Nestlé. Im Februar 2023 schlossen sich zehn weitere Schweizer Lebensmittelkonzerne, Detailhändler und Getränkehersteller der Mailänder Erklärung an.
Die WHO allerdings empfiehlt, stärker und verpflichtender gegen den überhöhten Zuckerkonsum vorzugehen, konkret mittels einer Sondersteuer von mindestens 20 Prozent auf zuckerhaltige Getränke. Oft ist diese Steuer abgestuft: Je höher der Zuckeranteil pro Liter, desto mehr Steuern zahlt der Hersteller pro verkaufter Flasche. Bis Ende Februar dieses Jahres kamen bereits 115 Länder dieser Aufforderung nach. Neben den meisten Staaten in Mittel- und Südamerika und einigen afrikanischen Ländern haben auch Grossbritannien, Frankreich, Italien und Portugal eine Abgabe auf Süssgetränke eingeführt – nicht aber die Schweiz; erst in der Frühjahrssession 2023 lehnte das Parlament eine Standesinitiative aus Genf ab, die den Einsatz von zugesetztem Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln und Industriegetränken restriktiv regulieren wollte.
In Grossbritannien liegen erste Resultate dieser regulatorischen Massnahme vor: Unternehmen, die ihre Rezepturen ändern und den Getränken weniger Zucker beimischen, bezahlen weniger Steuern. Interessanterweise gibt kaum ein Unternehmen die Mehrkosten über Preiserhöhungen an die Konsumentinnen und Konsumenten weiter. Stattdessen senkten sie den Zuckergehalt in den Getränken, um ihn unter die Grenze für die Abgabe zu drücken.
In der Folge ist der Anteil der Drinks, die zu viel Zucker enthalten, von 50 auf 15 Prozent gesunken. Das ist vor allem im Sinn von Kindern und Jugendlichen; die britische Regierung verfolgt mit der Steuer in erster Linie das Ziel, Fettleibigkeit, Diabetes und Karies unter Kindern zu bekämpfen. Laut einer Studie, die im «Journal of Epidemiology and Community Health» veröffentlicht wurde, hat sich die Zuckermenge, die Kinder konsumieren, fast halbiert. Bei Erwachsenen ging der Zuckerkonsum um einen Drittel zurück.
Avenir Suisse, der liberale Schweizer Think Tank, steht einer Zuckersteuer allerdings skeptisch gegenüber: Er befürchtet ein «Bürokratie-Monster», und dass der Einkaufstourismus gefördert werde. Zudem würden Konsumentinnen und Konsumenten auf Ersatzprodukte wie Fruchtsäfte und Milchshakes ausweichen, die vom Zuckergehalt her ebenso ungesund seien, aber nicht besteuert würden.
Klar ist auch für die WHO: Eine einzelne Massnahme wie eine Zuckersteuer oder Zuckerreduktion in der Herstellung kann keine allzu grossen Effekte erzielen. Die Steuer- und Preispolitik müsse daher ein Teil eines umfassenden Massnahmenpakets sein. Führende Fachgesellschaften zu Adipositas, Diabetes und Ernährung empfehlen einen ganzheitlichen Ansatz, um dem multikausalen Problem von Übergewicht bzw. Adipositas und generell Erkrankungen, die von der Ernährung mitbedingt sind, gerecht zu werden. Konkret favorisieren sie eine Kombination aus Verhaltensprävention und einer Prävention, die darauf zielt, die Lebensbedingungen positiv zu beeinflussen (Arbeit, Familie, Freizeit, Umwelt).
Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist es elementar, den Zuckeranteil in der Energiezufuhr zu reduzieren. Eltern achten sich am besten bereits in frühen Jahren darauf, da der Nachwuchs in der Regel per se eine Vorliebe für Süsses hat. Wer schon in jungen Jahren zu viel Zucker zu sich nimmt, gewöhnt sich schnell daran und kommt im Erwachsenenalter schwerer davon los.