Wäre es nicht praktisch, wenn man das Smartphone mit einem Wisch vergrössern und wieder verkleinern könnte? Was nach Zukunftsmusik tönt, konnte ich für kurze Zeit bereits ausprobieren. Smartphone-Hersteller Oppo überspringt Falt-Geräte und experimentiert stattdessen mit ausrollbaren Displays. Statt den Bildschirm aufzufalten, wird er zu einem Mini-Tablet ausgerollt.
Ich konnte den funktionstüchtigen Prototyp «Oppo X 2021» rund eine Stunde testen. Und so sieht er aus:
Ein Wisch über die Ein-/Aus-Taste aktiviert zwei Motörchen, die den flexiblen OLED-Screen ausrollen. Mit einem deutlich hörbaren Surren fährt das Display in zwei, drei Sekunden horizontal aus. Was eben noch ein 6,7 Zoll grosses Smartphone war, ist nun ein kleines Tablet mit einer 7,4 Zoll grossen Diagonale. Was nach wenig klingt, ist in der Praxis ein merklich grösseres Gerät, das nur noch zweihändig bedient werden kann.
Das Oppo X 2021 ist etwas dicker und schwerer als konventionelle Smartphones, aber merklich dünner als die klobigen Falt-Geräte von Samsung. Oppos Rollable hat gegenüber Falt-Smartphones den Vorteil, dass das Display keinen sichtbaren Falz hat und mutmasslich weniger belastet wird.
Wer lieber auf einem etwas grösseren Display liest, kommt hier voll auf seine Kosten.
Während meines kurzen Tests hatte ich das Gefühl, dass der Bildschirm, ähnlich wie bei Falt-Geräten, relativ stark spiegelt. Aber die Möglichkeit kurz mal eben das Handy-Display zu vergrössern, um ein YouTube-Video oder eine Netflix-Serie auf einem kleinen Tablet zu schauen, hat schon was. Wer oft unterwegs Dokumente liest und kleine Änderungen daran macht, könnte ebenfalls vom grösseren Display profitieren.
Oppos Konzept-Phone sieht wie ein ganz normales, etwas zu dick geratenes Handy aus. Zusammengerollt hat es das für moderne Smartphones typische Seitenverhältnis von 20:9. Ausgerollt zum Mini-Tablet erstreckt sich das Display im gängigen 3:2-Format. Videos oder Spiele profitieren so tatsächlich von der zusätzlichen Displayfläche.
Das von Oppo gewählte Seitenverhältnis ist zweifellos sinnvoll. Falt-Handys hingegen haben aufgeklappt oft ein quadratisches Display, was nun mal nicht sehr praktisch ist und bei Fotos und Videos zu dicken schwarzen Balken führt. Laut Oppo soll das Display zudem flexibel in jeder Grösse zwischen 6,7 und 7,4 Zoll genutzt werden können.
Oppo hat die eigene Android-Benutzeroberfläche ColorOS für die Nutzung auf dem grösseren Screen optimiert.
Die Darstellung passt sich der Grösse des Displays an. Auch Google ist schon seit längerem daran, Android und System-Apps wie Gmail für neuartige Geräte mit flexibler Display-Grösse zu optimieren. Das alles bringt dem User aber wenig, wenn andere App-Entwickler nicht mitziehen.
Oppos Roll-Display soll 100'000 Mal aus- und wieder eingefahren werden können, was je nach Nutzungsintensität einer Lebensdauer von 2 bis 5,5 Jahren entspreche. Unter der Annahme, dass das Display pro Tag im Schnitt 50 Mal aus- und wieder einfährt, geht Oppo aufgrund von Labortests von einer Lebensdauer von 5,5 Jahren aus.
Der Hersteller sagt, man habe während der Entwicklung des Prototyps 122 Patente angemeldet; zwölf davon für den Rollmechanismus. Das Display-Panel soll dank der sogenannten Warp-Track-Laminierung flexibel, gleichzeitig aber auch stabil sein. Dafür wird ein spezieller Stahl als Hochleistungsmaterial verwendet, in dessen Oberfläche ein streifenförmiges Muster eingeätzt ist.
Wie beständig ein rollbares Display ist, wird sich zeigen müssen. Eine potenzielle Schwachstelle sind zudem die beiden Motörchen, die den Rollmechanismus in Gang setzen.
Bisherige Falt-Geräte haben fragile Kunststoff-Displays, die nicht die gleiche Haptik wie Glas-Displays haben und leicht zerkratzen. Oppos Roll-Display fühlt sich zwar mehr wie ein normales Smartphone-Display an, man sollt sich aber keiner Illusion hingeben. Auch dieses flexible Display könnte im Alltag rasch kleine Kratzer aufweisen, wenn man nicht vorsichtig ist. Samsungs Falt-Handys haben hier den Vorteil, dass das Display zugeklappt vollständig geschützt ist.
Dass ich hier einen Prototyp und kein fertiges Gerät in der Hand halte, ist im Übrigen unübersehbar. Das Smartphone hat keine Frontkamera, die Software ist fehleranfällig und manchmal musste ich mehrmals über die Ein-/Aus-Taste wischen, bis sich das Display aus- oder wieder einrollte.
Da es sich beim Oppo X 2021 um kein serienreifes Modell handelt, das demnächst in den Läden stehen wird, kann man über diese Mankos grosszügig hinwegsehen. Das Konzeptgerät soll lediglich demonstrieren, was technisch möglich ist. Oppo möchte anhand der Reaktionen abschätzen, ob Rollables bei den Kunden auf mehr Interesse stossen als Foldables, sprich faltbare Geräte.
Das Konzeptgerät wird in dieser Form vielleicht nie erscheinen. Oppo nennt daher auch weder einen Preis noch einen angepeilten Veröffentlichungszeitraum. Persönlich würde es mich aber nicht erstaunen, wenn wir 2021 ein Rollable von Oppo in relativ kleinen Stückzahlen in den Läden sehen werden.
Zumindest in nächster Zeit kaum. Huawei und Samsung werfen zwar fleissig neue Falt-Geräte auf den Markt, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass sie sich nur schleppend verkaufen. Ausroll-Geräte könnten etwas mehr Potenzial haben, aber die Skepsis bleibt. Der Zusatznutzen (ein grösseres Display) wiegt die Nachteile (schwerer, dicker, fragiler, teurer) kaum auf.
Aber natürlich entwickelt sich die Technologie weiter, die Nachteile verschwinden nach und nach und irgendwann überwiegt vielleicht der Nutzen.
Irgendwo muss man beginnen und wir werden wohl eher früher als später Ausroll-Handys in den Läden sehen. Display-Hersteller LG hat Anfang Jahr ein sehr ähnliches Rollable enthüllt und auch Samsung, der zweite grosse Display-Produzent, arbeitet an Geräten mit ausrollbarem Display.
Falt-Geräte, Dual-Screen-Geräte und nun aufrollbare Displays: Aktuell sind sie nicht viel mehr als zaghafte Versuche der Smartphone-Hersteller, neue Impulse in einen gesättigten Markt zu bringen, da man mit schnelleren Prozessoren, mehr Speicher oder besseren Kameras kaum noch Kunden aus der Reserve lockt.
Die neuartigen Geräte haben Potenzial, sie sind aber auch komplexer, fragiler und wohl fehleranfälliger. Da Rollables, sofern sie es überhaupt auf den Markt schaffen, zunächst nur in kleinen Mengen produziert würden, wären auch die Preise entsprechend hoch.
Dazu kommt ein grundsätzliches Problem: Eigentlich sollten Smartphones langlebig und leicht reparierbar sein. Die Entwicklung geht seit Jahren in die andere Richtung. Akkus können nicht mehr selbst ersetzt werden, der Speicherplatz lässt sich nicht mehr erweitern und Glas-Rückseiten verdoppeln das Risiko eines Schadens.
Technisch aufwändige und mutmasslich schlecht reparierbare Falt- und Roll-Displays machen Smartphones kaum nachhaltiger. Es sei denn, man nutzt die teuren Geräte mindestens fünf Jahre und verzichtet auf den Kauf eines zusätzlichen Tablets.
Keine Frage: Technisch ist das Oppo X 2021 als Konzept-Phone beeindruckend und ich würde es den bisherigen Falt-Geräten wohl vorziehen, kaufen würde ich es dennoch (noch) nicht.
Ich freu mich darauf, so eines zu haben. Und so tollpatschig wie ich bin, schaff ich es, den "Ausfahr-Knopf" irgendwie versehentlich zu drücken, während sich das Gerät in meiner Hosentasche befindet. Da kriegt dann der Ausdruck "Da wächst etwas in deiner Hose" einen komplett neue Bedeutung.
btw, klugscheissmodus: die meisten apps sind schon auf "flexible" displaygrössen programmiert. schliesslich gibt es etliche displayvarianten mit verschiedenen seitenverhältnissen und auflösungen. neu ist lediglich, dass die app das während sie läuft dauernd überwachen und anpassen müsste.