Mitte Jahr waren sie auf TikTok und Co. besonders verbreitet: Syrische Kinder, die in Lagern mit schmutzigen Gesichtern und zerlumpten Kleidern in die Kamera betteln, überfluteten so manchen Feed. Wie die BBC nun herausgefunden hat, funktionieren diese Streams mit System. Das sind die Akteure:
Es sind meist Mütter, die mit ihren Kindern zu sehen sind. Sie klatschen, winken, weinen in die Kamera: «Bitte liken, bitte teilen, bitte spenden.» Mona Ali Al-Karim und ihre sechs Töchter sitzen täglich stundenlang auf dem Boden ihres Zeltes vor dem Stativ mit dem Smartphone.
Ihr Mann kam bei einem Raketenangriff ums Leben. Mit den TikTok-Spenden sammelt sie Geld, um die Augenoperation ihrer blinden Tochter bezahlen zu können. Über TikTok kann man sogenannte «gifts» spenden. Diese sind rein virtuell, haben aber einen gewissen Wert, den Mona dann beim lokalen Geldwechsler in Bargeld umtauschen kann.
Hinter der Kamera stehen die Mittelmänner. Sie sind meist selbst Bewohner dieser Lager und besitzen die Smartphones, mit denen die Bettelstreams erstellt werden.
So auch Hamid. Er hat all seine Herdentiere verkauft, um sich Handy, SIM-Karte und Internetempfang zu kaufen. Nun setzt er für 12 Familien Livestreams auf, verwaltet ihre Accounts und ihre Einnahmen (dazu später mehr). Unterstützt wird er dabei von sogenannten Live-Agenturen.
Diese Agenturen kommen meist aus China oder dem Nahen Osten und arbeiten direkt mit TikTok zusammen. Sie erhalten einen gewissen Anteil an den Spendeneinnahmen, abhängig von der Dauer der Streams. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Agenturen ein Interesse daran haben, dass die Streams so lange wie möglich dauern.
Für Hamid sind die Agenturen Ansprechpartner bei Problemen: «Sie helfen uns, wenn wir Probleme mit der App haben. Sie entsperren gesperrte Accounts. Wir geben ihnen den Profilnamen und das Profilbild, und sie erstellen für uns den Account.»
TikTok selber stellt eigentlich «nur» die Plattform zum Streamen und die Infrastruktur zum Spenden bereit. Dafür ziehen sie einen gewissen, offiziell nicht genannten Betrag von den Spenden ab. BBC hat dazu den Test gemacht: Mohammed, ein Reporter, meldet sich aus einem Lager in Syrien bei einer Agentur. Er wolle gerne einen Spendenstream starten – kurz darauf hat er einen funktionierenden Account. Während des Streams spenden seine britischen Kollegen ein «gift» im Wert von gut 100 Schweizer Franken.
Auf sein Konto erhält Mohammed aber nur etwa 32 Franken – fast 70 Prozent weniger. Nachdem sich TikTok also den grössten Teil der Spende abgezwackt hat, bekommen der Mittelmann und der Geldwechsler auch noch ihre Anteile. Am Schluss bleiben für Mohammed gerade einmal gut 18 Franken übrig.
Gemäss den TikTok-Regeln ist Betteln verboten. Als die BBC 30 solcher Accounts über das App-interne Report-System gemeldet hat, wurden jedoch «keine Verstösse gegen die Richtlinien» festgestellt.
Aber hey, wenn jemand den ich nicht kenne und wo ich nichts überprüfen kann auf TikTok um Geld bittet, dann muss es gut sein. Weil digital und App und Social Media Firlefanz und so.
Hauptsache nur nicht das Gehirn einschalten.