«Oddio, che schifo!» Diesen Ausruf hört man derzeit oft in der Ewigen Stadt, und er bedeutet soviel wie «Oh Gott, wie eklig ist das denn!» Anlass der erschrockenen Schreie sind ungebetene Gäste, die sich in den letzten Tagen in etlichen Quartieren Roms ausgebreitet haben und vor allem abends und in der Nacht auf Strassen, Hauswänden, Balkonen, Terrassen und auf aufgehängter Wäsche herumkrabbeln.
Gelegentlich schwirren sie auch durch die Luft, wenn auch nie weit. Eigentlich fallen sie mehr herunter als dass sie richtig fliegen. Das macht die Sache aber nicht besser. Der Autor dieser Zeilen hat vor zwei Tagen ebenfalls ein Exemplar der «Amerikanischen Grossschabe» (Periplaneta americana) - so heissen die Tierchen - auf seinem Balkon entdeckt und kann den hohen Ekel-Faktor dieser rotbraunen Insekten bestätigen. Im Grunde sehen sie aus wie normale Küchenschaben, nur eben im XXL-Format.
Von einer Massenpsychose in Rom zu reden wäre im Moment sicherlich noch übertrieben, aber in den Lokalzeitungen und ganz besonders in den sozialen Medien kursieren unzählige Berichte und Videos von erschreckten Bewohnern, die den grossen Kakerlaken begegnet sind. Von einer regelrechten «Invasion» ist die Rede und von einer «explosionsartigen Vermehrung». Tatsächlich legen die Weibchen in ihrem ein bis zwei Jahre dauernden Leben bis zu 150 Eier ab - da ist die (Exponential-)Rechnung schnell gemacht.
Die Behörden warnen, dass die lichtscheuen Schaben, die tagsüber meist in der Kanalisation leben und sich mit Vorliebe von herumliegendem, angefaulten Müll ernähren, Krankheiten wie Ruhr oder auch Salmonellen übertragen können. Ausserdem könne ihr Kot allergische Reaktionen wie Asthma auslösen. Den Bürgerinnen und Bürgern wird geraten, am Abend die Fenster zu schliessen.
Für die Experten sind die Ursachen für die neue Plage klar: Einerseits begünstige die derzeitige, verhältnismässig frühe Hitzewelle die Ausbreitung der Kakerlaken, die die Wärme und die Feuchtigkeit lieben; andererseits hapere es in Rom nach wie vor an der städtischen Hygiene, sprich: Es liege zu viel Müll mit Essensresten auf den Strassen und in den Gassen.
Die seit Jahren schwelende Müllkrise - die Ewige Stadt mit ihren drei Millionen Einwohnern verfügt über keine einzige Verbrennungsanlage - hat in den letzten Jahren bereits andere Invasionen von Wildtieren zur Folge gehabt: Auch unzählige Möwen und Tausende von Wildschweinen werden von den offenen Mülltonnen angelockt, von den Ratten ganz zu schweigen. Unter dem sozialdemokratischen Stadtpräsidenten Roberto Gualtieri hat sich die Situation zwar gebessert, aber - wie die Ausbreitung der Grossschaben belegt - noch nicht genug.
Dennoch betonte der Biologe Andrea Lunerti in der Römer Zeitung «Il Messaggero», dass es «keinen Grund zur Panik» gebe: Die Amerikanische Grossschabe sei vor allem in Süditalien schon seit Jahrhunderten heimisch und sie sei auch schon vor Jahren in Rom festgestellt worden. Insofern könne man nicht von einer «Invasion» sprechen, denn das würde bedingen, dass die Spezies vorher noch nicht vorhanden gewesen sei.
Die Bezeichnung «Amerikanische Grossschabe» sei im Übrigen irreführend: Das Insekt stamme ursprünglich aus Asien und habe sich dann - in erster Linie mit Schiffen - über Afrika in den ganzen Mittelmeerraum ausgebreitet. In einigen Ländern Asiens gelte die Grossschabe übrigens als Delikatesse, verbreiteten einige italienische Medien.
Letztlich sei die Ausbreitung der Riesenkakerlake eine Folge der Globalisierung und der Klimaerwärmung, betont der Biologe Lunerti. Sie sei längst in allen Häfen des Mittelmeers präsent und wandere immer weiter nordwärts, weil sie auch dort zunehmend Temperaturen vorfinde, die ihr das Überleben auch im Winter ermögliche.
Die gegenwärtige Kakerlaken-Plage ist denn auch nicht auf Rom beschränkt, und es handelt sich auch keineswegs um die erste. Letztes Jahr war zum Beispiel der bei Römern und Neapolitanern sehr beliebte Badeort Gaeta rund 150 Kilometer südöstlich der italienischen Hauptstadt massiv betroffen gewesen - nur hatte damals kein nationales oder internationales Medium davon Notiz genommen. In diesem Jahr ist es in Gaeta an der Kakerlaken-Front wieder ruhig: Es wurden dem Vernehmen nach bisher keine Grossschaben gesichtet.