«7 vs. Wild» ist eine extrem erfolgreiche YouTube-Serie. Jede Folge erreicht ein Millionenpublikum und die Fan-Community besteht vor allem aus mitfiebernden jungen Männern.
Das grosse Problem (aus Sicht des hier kommentierenden Journalisten): Die Realityshow ist zwar unterhaltsam, doch der Informationswert gefährlich tief.
In den bisherigen Folgen (Stand: 22. Dezember) gab es für die Zuschauerinnen und Zuschauer kaum brauchbares Survival-Wissen. Schlimmer noch: Selbst grobe Verstösse gegen grundlegende Survival-Regeln wurden nicht korrigiert.
Aus kritischer Distanz muss gesagt werden: Wenn einem in Survival-Fragen unbedarften Publikum falsche Verhaltensweisen vermittelt werden, ist das brandgefährlich.
Es mangelt nicht nur an redaktionellen Einblendungen, sondern vor allem am Können der Beteiligten. Statt zu jagen und zu sammeln, hungern sie, liegen herum und beklagen sich über Wehwehchen und das schlechte Wetter.
Bei Reddit brachte es jemand auf den Punkt:
Was hätte die Survival-Legende Ed Stafford anders gemacht? watson begibt sich auf die Spuren des erfahrenen Abenteurers – und liefert (hoffentlich) lehrreiche Antworten.
Ed Stafford (Jahrgang 1975) ist eine lebende Legende. Einer der wenigen wirklich ernst zu nehmenden Survival-Experten (nach dem Ableben von Rüdiger Nehberg).
Der britische Abenteurer war der erste Mensch, der den Amazonas – von der Quelle bis zur Mündung – zu Fuss absolvierte. Und er überlebte 60 Tage auf einer einsamen Insel. Ohne Messer oder andere Hilfsgegenstände, ohne mitgebrachte Nahrung und Trinkwasser. Und ohne Kleidung.
Ed ist nicht nur ein Überlebenskünstler, sondern auch ein begnadeter Show-Man und Kommunikator. Und zum Start von «7 vs. Wild: Panama» wird er zugeschaltet, um den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Mut zuzusprechen.
In einer aufgezeichneten Begrüssung sagt er:
Was Ed nicht explizit erwähnt, hatte er zuvor in einer Kolumne für einen Reiseanbieter beschrieben:
Vor genau zehn Jahren liess sich Ed Stafford freiwillig 60 Tage lang auf der unbewohnten tropischen Insel Olorua aussetzen. Ohne mitgebrachte Nahrung, Zelt oder auch nur Kleidung überlebte der damals 40-jährige ehemalige Armeeoffizier zwei Monate lang in seinem Exil im Pazifik, ohne Hilfe von aussen – und dokumentierte alles mit einem Camcorder.
Der grösste Fehler in einer Survival-Situation sei es, den eigenen Ängsten und Befürchtungen freien Lauf zu lassen, erklärt der Abenteurer, der schon verschiedentlich in Lebensgefahr geriet, als er ganz auf sich allein gestellt war.
Es gelte, präsent sein, sagt Ed, «von einem tieferen instinktiven Ort aus zentriert sein und im Moment leben, anstatt sich zu erlauben, zu viel in die Zukunft zu projizieren».
Ed tut es vor jedem Abenteuer, doch bei den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern von 7 vs. Wild ging es offenbar komplett vergessen: die bei der Vorbereitung gewonnenen Informationen in sinnvolle Handlungen umsetzen. Dabei verrät schon eine kurze Online-Suche das Hauptproblem:
Antwort: Die Regenzeit dauert von Mai bis November. Der meiste Regen fällt im September und Oktober (also genau während der Austragung von «7 vs. Wild: Panama»). Der Regen fällt in der Regel in Form von kurzen, heftigen Schauern, meistens nachmittags, abends oder nachts.
Learning: Wenn du ankommst, baust du sofort einen Unterschlupf, auf Neudeutsch ein Shelter, das diesen Namen verdient. Du brauchst zwingend ein wasserdichtes Dach, um dich vor kräfte- und nervenzehrender Nässe zu schützen.
Die sieben Teilnehmerinnen und Teilnehmer brachten unterschiedlich viel Outdoor-Erfahrung mit, doch eines haben sie alle gemeinsam, wie das Publikum erstaunt feststellt:
Warum zum Geier richten zunächst alle Kandidatinnen und Kandidaten ihr Lager unmittelbar am Strand ein? So nah an der Wasserlinie, dass sie früher oder später unweigerlich von den Wellen erreicht werden. Ist es Unwissen über Ebbe und Flut, oder die Angst, in einem Shelter im Unterholz von Insekten oder anderen Tieren attackiert zu werden?
Nicht zu reden von der tödlichen Gefahr einer Monsterwelle, wie sie am Meer nicht auszuschliessen ist. Stell dir vor, du wirst im Schlafsack schlafend überrascht!
Otto hat praktische Survival-Erfahrung, baut aber keinen schützenden Unterschlupf, sondern errichtet sein Nachtlager direkt unter der Abbruchkante einer Lehmwand. Den gleichen Fehler machte auch Fritz, bevor beide wegen der steigenden Wasserlinie ihr Lager evakuieren müssen.
Nun müssen wir über Süsswasser sprechen. Trinkbares Wasser. Knossi hat bekanntlich mit einem Spruch zu den widrigen Wetterverhältnissen für Furore gesorgt. Er sagte:
Tatsächlich müsste man aber vor allem auch schlau sein, bevor der Dschungel erneut zu weinen beginnt. Wie wir oben gesehen haben, passiert dies während der Regenzeit praktisch täglich. Nun muss man nur noch einen Auffangmechanismus (aus Blättern) erstellen und hat nie mehr Durst!
Eine schlechte Idee ist es hingegen, Wasser ungefiltert zu trinken, das aus unbekannter Quelle stammt und an massiven Zivilisationsabfällen vorbei Richtung Meer strömt.
Fitness-YouTuber Sascha demonstrierte in Folge 2, wie man sich auf einer einsamen Inseln nicht verhalten sollte: Er trank aus dem erstbesten Tümpel, den er antraf. Bevor er niederkniete und mit der Hand Wasser schöpfte, hielt er eine längere Ansprache über die Gefährlichkeit von Krokodilen. Und sagte, er habe vorgängig im Internet recherchiert.
In einer echten Survival-Situation kann eine solch dumme Entscheidung zu Krankheit oder gar dem Tod führen. Leider erwiesen sich auch die deutlich erfahreneren Outdoor-Fans Fritz Meinecke und Otto Bulletproof als gleichermassen unvorsichtig. Auch sie tranken aus Rinnsalen, deren Verschmutzungsgrad und Ursprung sie nicht kannten.
Wie man es richtig macht, demonstrierte die Outdoor-Influencerin Sabrina: Sie kochte Wasser in einem Topf ab.
Die Trinkwasser-Problematik auf der «7 vs. Wild»-Insel San José hat einen speziellen Beigeschmack, weil dort vor vielen Jahren militärische Versuche mit Chemiewaffen durchgeführt worden waren. Angeblich besteht heute keine Gefahr mehr durch vergifteten Boden und vergiftetes Wasser.
In einer Welt, in der es keine anderen Menschen gebe, sei es wichtig, dass man Entscheidungen trifft, sagt Stafford. Die Dinge würden sich nur bessern, wenn man versuche, eine positive und entschlossene Haltung beizubehalten.
Er habe sich nach tagelanger Apathie «von seinem weissen Hintern losgerissen» und sei bei Ebbe im Inneren der Lagune herumgelaufen, erzählt Stafford. Seine Belohnung: Eine der wilden Ziegen, die die Insel bewohnten, hatte sich mit ihren Hörnern in den Ranken unter einem Baum verfangen – und wurde zur wertvollen Nahrungsquelle.
Und die «7 vs. Wild»-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer?
Sie versuchen sich an Kokosnüssen. Damit hat es sich (abgesehen von Joris, der wenige Früchte probiert) aber auch schon. Was ist mit den vielen Napfschnecken, Krebsen, Muscheln und Fischen, die sich dort tummeln?
Wieso die jüngeren Teilnehmer kein tierisches Eiweiss zu sich nehmen, mag mit der (unbegründeten) Angst vor Vergiftungen zu tun haben, mit falscher Bequemlichkeit oder Übermüdung. Bei Otto hingegen hat das Versagen bei der Nahrungsbeschaffung psychologische Gründe: Der älteste Teilnehmer startet zunächst motiviert (mit Tarnbemalung im Gesicht) ins Abenteuer. Doch dann hat er angeblich wegen des zugemüllten Strandes keinen Bock mehr auf Survival.
Aus Protest – und um die Natur zu schonen – isst er nicht mal mehr Kokosnüsse. Das wirkt allerdings für viele wie eine faule Ausrede. Und damit sind wir beim nächsten Punkt.
In einer seiner Kolumnen schreibt Ed Stafford:
Und wenn die Angst zuschlägt, etwa wegen der Isolation, wie es bei «7 vs. Wild»-Teilnehmerin Nova zu beobachten war?
Auch das kennt Ed zur Genüge, er schildert:
Auch für solch kritische Situationen hat der britische Abenteurer einen praktischen, ziemlich ungewöhnlichen Ratschlag parat, den er von australischen Ureinwohnern, den Aborigines, bekommen habe.
Da er – allein auf der Insel – nichts zu verlieren hatte, befolgte er diese Anweisung, und als er sich hineinsetzte, habe er sofort gespürt, wie sich seine Schultern entspannten.
Die aufgereihten Steine seien natürlich nicht magisch gewesen, so Ed, sondern nur ein Trick, um ihm das Gefühl zu geben, in seinen eigenen Raum zurückzukehren.
Auch dies illustriert, wie wichtig ein wasserdichter Shelter ist, doch nun müssen wir über die Gesundheit reden.
Die zwei grössten Killer – bezüglich Stimmung und Gesundheit – sind nicht Giftschlangen und Krokodile – sondern ... Dummheit und Faulheit. Dies erklärt der deutsche Outdoor-Experte Ben Tüxen, ein Ökologe und Forstwissenschaftler, der bei YouTube den Kanal «Ein Mann im Wald» betreibt und sich auch kritisch zu «7 vs. Wild» geäussert hat.
Ben merkt an, dass selbst erfahrene Survival-Experten nicht vor entsprechendem Fehlverhalten gefeit sind. Zu erwähnen ist der unvorsichtige Umgang der «7 vs. Wild»-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer mit ihrem Werkzeug.
Macheten und Messer werden nach Gebrauch nicht sofort zurück in die Scheide gesteckt oder sicher weggelegt. Vielmehr läuft man damit über den holprige Steinstrand. Und beim Schneiden und Schnitzen werden Körperteile in fahrlässiger Weise durch die scharfen Klingen gefährdet.
Tatsächlich würde bei einer solch schweren Verletzung auch das Rettungsteam zu spät kommen, sofern die sprudelnde Blutung nicht sofort gestoppt werden könnte.
Potenziell verheerend ist auch ein anderes Fehlverhalten, das öfter zu beobachten ist: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben Schutzhandschuhe und robustes Schuhwerk dabei, laufen aber in (gefundenen) Flipflops herum und verrichten Holzarbeiten mit blosser Hand und ungeschützten Fingern.
Faulheit in einer Survival-Situation kann nicht nur dumme Verletzungen verursachen, sondern auch die Gesundheit massiv beeinträchtigen: Etwa dann, wenn man klatschnass ist und darum friert, sich aber nicht bewegen will. Trotz tropischer Verhältnisse droht dann eine Unterkühlung. Und damit sind wir beim letzten Punkt angelangt ...
Im wasserdichten Shelter (siehe oben) lässt sich Totholz und Zunder-Material trocknen und lagern, denn diese Ressourcen braucht es zwingend für das Feuermachen.
Treibholz wäre ein hervorragendes Brennmaterial! Und ein rauchendes Feuerchen hält sogar Stechmücken fern.
Kleiner Trost für die grosse Mehrheit der 7 vs. Wild-Teilnehmenden, die es nicht schafften, Feuer zu machen: Dies kann auch für einen Survival-Profi herausfordern sein.
Er habe die ersten Tage auf «seiner» einsamen Insel damit verbracht, in blinder Panik durch die Gegend zu rennen und zu versuchen, viele Dinge gleichzeitig zu erledigen, verriet Ed Stafford freimütig in einem Interview.
Nachdem er sich beruhigte und in seiner Höhle sass, habe er 20 Meter von seinem Schlafplatz entfernt einen Baum entdeckt, der sich perfekt zum Feuermachen eignete. Dieses Holz sei die ganze Zeit direkt vor seiner Nase gewesen.
Anzumerken ist, dass die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer von 7 vs. Wild einen «Fire Steel» dabei haben. Abgesehen davon liegen am Strand Flaschen herum, die man als improvisiertes Brennglas einsetzen könnte.
Oder zumindest hätte man das an den wenigen wirklich sonnigen Tagen tun können. Das wurde aber verpasst, womit wir wieder beim falschen Setzen von Prioritäten wären.
Die Darbietungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind bis auf wenige Ausnahmen ernüchternd schwach.
Niemand hat es geschafft, ein nur halbwegs vernünftiges Shelter zu bauen, das wirklich Schutz vor Regen bietet. Was die Nahrungsbeschaffung betrifft, haben die meisten kapituliert oder beschränken sich auf Kokosnüsse, was unerwünschte Nebenwirkungen wie Durchfall mit sich bringt.
Natürlich sollte man von jungen Leuten, denen es an Vorwissen und praktischer Erfahrung mangelt, keine Wunder erwarten. Aber eine derart passive Haltung? Come on!
Leider vermögen die vom Organisationsteam ausgedachten Tagesaufgaben («Challenges») kaum etwas zu retten. Dabei wäre genau dies eine Möglichkeit gewesen, die Teilnehmenden zu echten Survival-Tätigkeiten zu ermuntern.
Das Fazit des Redaktors:
Im folgenden Video erklärt der in die YouTube-Produktion eingebundene Survival-Experte Tom McElroy, wo beim Überleben auf einer solchen Insel die Prioritäten liegen sollten.
Empfehlenswert sind auch die Einschätzungen des schon oben erwähnten deutschen Ökologen Ben Tüxen. Er liefert in seinem YouTube-Kanal beeindruckend detaillierte Einschätzungen und Hintergrundinformationen zur Tropeninsel und allem, was darauf kreucht und fleucht. Aber auch zu praktischen Survival-Fähigkeiten hat er viel zu erzählen.
Schliesslich verweise ich noch auf den YouTube-Kanal des sehr erfahrenen Survivaltrainers Joe Vogel. Der nimmt sich in einer kürzlich gestarteten Video-Serie dem bei 7 vs. Wild gezeigten Survival-Fehlverhalten an und klärt auf.
Was hältst du von 7 vs. Wild bezüglich Survival-Verhalten? Schreib uns via Kommentarfunktion!
Ich will nicht sagen, dass ich das besser könnte. Aber die Entscheidungen sind häufig wirklich nicht nachvollziehbar.
Eigentlich schade, hätten ja mehr Gegenstände mitnehmen können.