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Bundesrat gerät wegen zögerlicher Haltung zu KI-Regulierung unter Druck

Software-Entwickler bei der Arbeit (Symbolbild).
Software-Entwickler bei der Arbeit: Der Digitalfirmen-Verband Swico kritisiert eine politische Orientierungslosigkeit im Umgang mit künstlicher Intelligenz.Bild: Shutterstock

Bundesrat verschläft die KI-Regulierung und gerät zunehmend unter Druck

Misstrauen in der Bevölkerung und drohende Rechtskonflikte mit der EU: Beim Umgang mit KI liegt vieles im Argen. Doch der Bundesrat verharre in einer Verweigerungshaltung, kritisiert Nationalrätin Judith Bellaiche.
21.04.2023, 18:55
Ann-Kathrin Amstutz / ch media
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Stell dir vor: Du bewirbst dich auf eine offene Stelle. Deine Bewerbung gelangt jedoch nicht direkt zu einem Rekrutierer, sondern wird von einer künstlichen Intelligenz (KI) vorgeprüft.

Dies ist in naher Zukunft ein realistisches Szenario, und es wirft viele Fragen auf: In welchen Fällen darf eine KI eingesetzt werden? Wie verändern sich dadurch Prozesse wie eine Personalrekrutierung? Und vor allem: Nach welchen Kriterien entscheidet der Algorithmus?

Wo ist das Problem?

Die oben geschilderten Fragen zu zukünftigen Stellenbewerbungen könnten in einer gesetzlichen Regulierung angegangen werden. Doch in der Schweiz gibt es keine spezifische Rechtsgrundlage, wie mit KI umzugehen ist.

Laut dem Wirtschaftsverband Swico, der die Interessen von Firmen der ICT- und Online-Branche vertritt, liegt dies daran, dass sinnvolle Anknüpfungspunkte fehlen.

Es herrsche eine «politische Orientierungslosigkeit», die Verunsicherung stifte und das Vertrauen in die Digitalisierung untergrabe. Angesichts der «Hilflosigkeit der staatlichen Akteure» appelliert Swico daher an die Eigenverantwortung der Digitalindustrie.

Der Verband, dem über 700 Firmen wie etwa Swisscom oder Google Schweiz angehören, hat eine Anleitung zur «Nachvollziehbarkeit von Algorithmen» erstellt. Damit sollen die Digitalfirmen selbst transparent machen, wo und wie sie künstliche Intelligenz einsetzen. «Transparenz ist die Grundlage für Vertrauen», erklärt Swico-Geschäftsführerin und Nationalrätin Judith Bellaiche (GLP/ZH) gegenüber CH Media.

Was soll sich ändern?

Konkret empfiehlt Swico folgende Schritte, um den Einsatz von Algorithmen transparenter zu machen:

  • Adressaten definieren: Wer ist von einem Algorithmus betroffen? Beim obigen Beispiel aus der Personalsuche wären das nicht nur die Bewerbenden, sondern auch Technikerinnen und Personalsucher.
  • Deklarieren: Bereits beim Absenden der Bewerbung sollten Bewerber wissen, dass im Prozess eine KI zum Einsatz kommt, beziehungsweise dass ein Entscheid auf einem Algorithmus beruht.
  • Begründen: Es braucht eine Erklärung, weshalb der Algorithmus eingesetzt wird, wozu er dient und worin sein Nutzen besteht.
  • Funktionsweise erklären: Auf welcher Grundlage fällt der Algorithmus Entscheidungen und wie funktioniert er?
  • Korrektur ermöglichen: Eine Bewerberin sollte die Möglichkeit haben, die Firma beispielsweise auf einen diskriminierenden Entscheid des Algorithmus hinzuweisen. Es braucht Massnahmen, um fehlerhafte Entscheide zu korrigieren.
  • Ethische Grundsätze: Offenlegen, an welchen Werten sich der KI-Einsatz orientiert.

Massive Regulierung in der EU, Nichtstun in der Schweiz

In der EU versucht die Politik teils fast schon alarmistisch, die künstliche Intelligenz wo immer möglich zu regulieren. Italien etwa hat die Anwendung ChatGPT wegen mangelhaften Datenschutzes blockiert. Mit dem sogenannten AI Act will die EU besonders KI-Anwendungen regulieren, die als «risikoreich» eingestuft werden.

Im krassen Gegensatz dazu steht die Haltung der Schweiz. Der Bundesrat sieht aktuell «keinen unmittelbaren Handlungsbedarf» in Bezug auf die EU-Digitalstrategie und eigene Regulierungen, wie er in einer kürzlich veröffentlichten Analyse schreibt.

WAHLEN 2019 - NATIONALRAT - KANTON ZUERICH - Judith Bellaiche (neu), GLP. (KEYSTONE/Parteien/Handout) === HANDOUT, NO SALES ===
Judith Bellaiche, Nationalrätin (GLP/ZH) und Geschäftsführerin des Verbandes Swico.Bild: PARTEI

Aktivismus in der EU, Nichtstun in der Schweiz? Die unterschiedlichen Strategien beissen sich. Denn die EU-Massnahmen werden auch Auswirkungen auf die Schweiz haben. Der digitale Raum kennt keine Landesgrenzen. Schweizer Digitalfirmen, die in der EU tätig sind, müssen sich konform zu den EU-Gesetzen verhalten, unterstehen zugleich aber auch dem Schweizer Recht.

Warum ist das gefährlich?

Diese Situation führe in eine «totale Rechtsunsicherheit», kritisiert Judith Bellaiche: «Doch der Bundesrat weigert sich, dies anzuerkennen.»

Sich abzeichnende Rechtskonflikte müssten nun dringend angeschaut und bereinigt werden, fordert die GLP-Nationalrätin, «sonst läuft es auf ein Desaster heraus».

Während Bellaiche die «Verweigerungshaltung» des Bundesrats für schädlich hält, findet sie auch den Weg der EU nicht optimal. Deren Regulierungsansätze zur künstlichen Intelligenz seien «unpraktikabel und schwerfällig», da sie technologiespezifisch seien.

Zudem müsse jede KI-Anwendung einzeln und auf ihr potenzielles Risiko beurteilt werden, obwohl dies davon abhängt, wie und wofür die Anwendung konkret eingesetzt wird.

Eine sinnvolle Regulierung wäre laut Bellaiche technologieneutral, würde auf mehr Transparenz abzielen und ethische Grundsätze einbeziehen.

Quellen

(aargauerzeitung.ch)

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69 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Darkside
22.04.2023 00:20registriert April 2014
Der Bundesrat hat etwas verschlafen? Vor lauter Beobachten wohl müde geworden.
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Kafeetrinker
21.04.2023 22:38registriert Januar 2023
Es stimmt sicher nicht, dass unsere Bundesrat etwas verschlafen hat. Sondern die handeln nach genauer Zeitplan.
In erste Phase , bis 2035, werden ganz genau die Entwicklung von KI beobachten.
In zweite Phase, zwischen 2035 bis 2043, folgt dann genaue Lage Analyse.
Nachher, zwischen 2043 bis 2052, kommt Auftrag zum Vorschlage und Masnahme erarbeiten.
Ab 2052 bis 2060 werde über die Masnahmen öffentliche Diskussion geführt.
2061 werde ein Auftrag für sofortige Umsetzung von Masnahmen, bis spätestens 2090, erteilt.
Also ist unsere Bundesrat doch nicht untätig.
Die sind voll dabei. 🤣🤣
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N. Y. P.
21.04.2023 23:55registriert August 2018
@watsonmenschen

Ihr braucht 4 1/2 h um die Kommentare aufzuschalten? Das liest doch niemand mehr. Der Erste kam um 19 Uhr rein und ihr schaltet unmotiviert noch schnell vor Feierabend die Kommentare auf?

Kann man machen.

Durchaus.

;-)
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