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GNU-Taler: Bundesrat soll Einführung von digitalem Bargeld prüfen

GNU-Taler (Screenshot) und Schweizer Franken (Banknoten).
Die Schweizer Nationalbank könnte eine sichere Alternative zu klassischen Kryptowährungen einführen. Ein auf freier Software basierendes Projekt ist bereits weit fortgeschritten.Bild: Shutterstock / watson
Interview

«Taler» statt Kreditkarte – Bundesrat soll Einführung von digitalem Bargeld prüfen

Nationalrat Jörg Mäder verlangt vom Bundesrat, die gesetzlichen Grundlagen für ein sicheres digitales Bezahlsystem zu prüfen. watson hat mit ihm über die Vor- und Nachteile einer solchen Bargeld-Alternative gesprochen.
30.09.2022, 10:5730.09.2022, 16:02
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An diesem Freitag reicht Nationalrat Jörg Mäder ein aussergewöhnliches Postulat ein. Der grünliberale Politiker spricht von einer grossen Chance für die Schweiz. Tatsächlich geht es um nicht weniger als das Bargeld der Zukunft.

watson liegt das Postulat vor, das der 47-jährige Zürcher in Bundesbern einreicht. Darin schreibt er:

«Der Bundesrat wird gebeten aufzuzeigen, welche gesetzlichen Grundlagen nötig sind, um ein anonymes elektronisches Bezahlsystem in der Schweiz durch die Nationalbank einzuführen und in welchem Zeitraum dies möglich wäre. Dabei sollen insbesondere den Bedenken bezüglich Sicherheit, Zuverlässigkeit, Skalierbarkeit, aber auch Diebstahl und (Steuer-)Betrug Rechnung getragen werden.»

Tatsächlich existiert ein solches Bezahlsystem bereits, es wurde an der Fachhochschule Bern entwickelt und die technische Machbarkeit wurde von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in einem «Working Paper» aufgezeigt.

Der Name: GNU-Taler.

Bevor wir auf die Funktionsweise des Bezahlsystems eingehen, erklärt Jörg Mäder, warum er diesen Vorstoss macht und was er sich für die Schweiz erhofft.

Jörg Mäder, Nationalrat, Grünliberale Kanton Zürich.
Jörg Mäder.Bild: PD

Das Interview

Herr Mäder, was ist der aktuelle Anlass, bzw. Grund, für Ihren parlamentarischen Vorstoss?
Jörg Mäder: Bargeldloses Bezahlen wird immer populärer. Leider ist das in einer anonymen Form nicht möglich. Jede Transaktion, zum Beispiel mit Twint oder Kreditkarte, ist vollständig aufgezeichnet. Wenn ich hingegen mit Bargeld bezahle, geniesse ich Anonymität. Ich möchte die beiden Vorteile kombinieren.

Während der Pandemie sind die digitalen Versäumnisse des Staates schonungslos offengelegt worden. Ist die Schweiz reif für den GNU-Taler?
Die Bevölkerung ist reif für eine moderne, digitale Schweiz. Dass es beim Staat noch grossen Lernbedarf gibt, ist unbestritten. Aber ich möchte die Digitalisierung weiterbringen und den Staat aktiv auffordern, in die Gänge zu kommen. Das Potenzial ist da, die Chancen warten auf uns.

Was ist ein Postulat?
Ein Postulat ist ein parlamentarischer Vorstoss, der sich an die Landesregierung richtet: Er kann von einem Mitglied des eidgenössischen Parlaments (National- oder Ständerat), einer Fraktion oder einer Kommissionsmehrheit eingereicht werden. Der Bundesrat muss das schriftlich formulierte Anliegen prüfen und innert einer gewissen Frist in einem Bericht erklären, was er davon hält. Anschliessend entscheidet der Rat, in dem das Postulat ursprünglich eingereicht wurde, ob es angenommen oder abgeschrieben wird. Bei der Annahme des Vorstosses wird daraus ein konkreter Auftrag an die Zuständigen in Bundesbern.
Quelle: parlament.ch

Möchten Sie das Bargeld abschaffen?
Nein, überhaupt nicht. Alle sollen zahlen, wie sie wollen. Mit meinem Vorstoss möchte ich die Vorteile des Bargeldes ins elektronische Bezahlen überführen. Die Menschen sollen künftig zwei gleichwertige Systeme – Bargeld oder GNU-Taler – zur Auswahl haben. Allfällige Einschränkungen sollten wohlüberlegt und gut begründet sein.

Aber Sie möchten den Bitcoin abschaffen oder Kryptowährungen stärker regulieren?
Bitcoins und Co. haben mit meinem Vorstoss nichts zu tun. Der GNU-Taler wäre keine eigene (Krypto-)Währung, sondern eine elektronische Variante des Schweizer Bargelds. Kryptowährungen als solche möchte ich möglichst wenig regulieren. Sie haben ihre Anwendungsbereiche und ihre Berechtigung, auch wenn sie momentan von den einen gehypt und den anderen verteufelt werden. Natürlich bereitet mir der Stromverbrauch bei den Varianten mit «Proof-of-work», zum Beispiel Bitcoin, Sorge. Zum Glück wollen einige auf umweltverträglichere Konzepte wechseln.

Zurück zum GNU-Taler: Was wären aus Ihrer Sicht die zwei grössten Vorteile eines solchen «E-Franken»?
Beim GNU-Taler muss man kein Münz herumtragen und kann trotzdem sicher und datensparsam einkaufen.

Wo sehen Sie den grössten Nachteil?
Eigentlich keine grossen. Es wird Aufwand bei der Implementierung geben und eine Eingewöhnungszeit. Mein «Traum» wäre, dass auch Apps wie Twint einfach eine zusätzliche Option anbieten: anonymes Bezahlen. Gerne aber auch als eigenständige Apps, die nur den GNU-Taler nutzen. So können die Nutzerinnen und Nutzer selber entscheiden.

Die meisten Leute heutzutage kaufen online mit ihrer Kreditkarte ein, andere mit Twint oder Apple Pay. Was stört sie daran?
An dieser Art der Zahlung stört mich sehr wenig, ich nutze sie selber auch häufig. Der Aspekt, der noch fehlt, ist die Anonymität. Klar, wenn ich etwas im Internet bestelle, das nach Hause geliefert wird, geht das nicht anonym. Der Paketbote muss ja wissen, wohin er liefern soll. Und dass ein Webshop seine (Stamm-) Kundschaft kennen möchte, stört mich auch nicht.

Aber?
Wenn ich beispielsweise im Internet einen einzelnen Medienbericht hinter einer Paywall lesen möchte, muss ich bei den meisten heutigen Bezahlvarianten meine Anonymität opfern. Das ist nicht verhältnismässig. Ein GNU-Taler würde das ändern. Das wäre ein typischer Anwendungsfall.

Ein anderes Beispiel ist der Kauf eines Getränks am Kiosk. Ich zahle meist mit der Karte, womit meine Bank weiss, dass ich am Kiosk war. Obwohl sie das gar nichts angeht. Hier wäre der GNU-Taler die ideale Lösung.

Warum ist das wichtig?

Staatliche Zentralbanken sind daran interessiert, digitales Bargeld zu lancieren – als sichere Alternative zu Kryptowährungen privater Anbieter und zu anderen Bezahlsystemen.

Ziel ist es, Internet-Nutzerinnen und -Nutzern einen datenschutzfreundlichen digitalen Bargeld-Ersatz zu bieten. Wer mit GNU-Talern bezahlt, hinterlässt keine Datenspuren. Verkäufer und Händler sind unabhängig von technischen, finanzwirtschaftlichen und (patent-)rechtlichen Monopolen.

Wichtig: Der GNU-Taler ist keine klassische Kryptowährung und basiert nicht auf der Blockchain-Technologie.

Die Taler sind keine eigenständige Währung, sondern ein elektronisches Abbild von nationalem Fiatgeld, wie dem Schweizer Franken, dem Euro oder US-Dollar.

Bei einer Bezahlung mit Bitcoin und Co. bleiben Käufer und Verkäufer (vordergründig) anonym. Steuerfahnder können Geldströme schwer verfolgen. Beim GNU-Taler sind nur die User – die Käuferinnen und Käufer – anonym.

Weitere Vorteile:

  • Das Erstellen von Talern benötigt wenig Strom und auch bei Transaktionen ist der Energieverbrauch tief.
  • Es gibt keine Wertschwankungen, da der Taler keine eigene Währung ist. Spekulation ist ausgeschlossen.
  • Geldwäsche und Steuerhinterziehung lassen sich durch die Sichtbarkeit des Verkäufers verhindern.
  • Durch die (geplante) Einbindung einer Zentralbank sei eine hohe Datensicherheit gewährleistet.
  • Das digitale Geld kann sowohl von kommerziellen Banken als auch direkt von einer Zentralbank herausgegeben werden.

Wer hat's erfunden?

Das Taler-Bezahlsystem wurde massgeblich an der Berner Fachhochschule in Biel (BFH) entwickelt. Als Vater des Projekts gilt Christian Grothoff, Professor für Informatik. Er hat die Unterstützung von Studenten und Doktoranden.

Im ursprünglichen Projektteam engagieren sich auch Thomas Moser, ein Vorstandsmitglied der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und der Kryptologe David Chaum.

Wie unterscheidet sich das von Twint?

  • Bei Twint hat man nicht den gleichen Schutz der Privatsphäre. Das Twint-Geschäftsmodell sieht vor, dass die beteiligten Unternehmen gewisse Daten – mit Zustimmung der Kundinnen und Kunden – verwerten können.
  • Der Programmcode ist bei Twint proprietär und nicht frei verfügbar. Hingegen wird GNU Taler unter einer entsprechenden Software-Linzenz frei angeboten.
  • Die Gebühren sind bei Twint höher.

GNU-Taler – warum dieser Name?

Spoiler: Der Name hat nichts mit Dagobert Duck zu tun, aber mit Afrika schon.

«GNU Taler» ist Teil des vom amerikanischen Informatiker Richard Stallman gegründeten GNU-Projektes. Dieses Software-Projekt stellt die Basis von vielen freien Betriebssystemen dar, zum Beispiel Debian-Linux oder Ubuntu.

«GNU wird genauso ausgesprochen wie die afrikanischen Antilopen, zu deren Gattung die Gnus gehören. Auch das Wappentier des GNU-Projekts ist eine Abbildung eines Gnus.»
quelle: token-infomation.com

Das Wort Taler soll an eine historische Silbermünze aus Mitteleuropa erinnern. Dahinter steckt jedoch die Abkürzung für den englischen Begriff «Taxable Anonymous Libre Economic Reserves». Die entsprechende Übersetzung lautet: Steuerpflichtige, anonyme und freie Wirtschaftsreserven.

Wie funktioniert das Bezahlsystem?

Um mit den Talern zu bezahlen, muss man zunächst eine digitale Geldbörse («Taler Wallet» genannt) auf dem Smartphone oder in einem geeigneten Web-Browser installieren.

Wenn die Geldbörse (mit dem gewünschten Betrag) aufgeladen ist, kann man auf Webseiten mit einem Klick zahlen, wie die Entwickler auf ihrer Website taler-systems.com schreiben. «Die Zahlungen werden von Betrugsprüfungsroutinen nie als unberechtigt abgelehnt. Die Nutzer tragen ebenfalls keinerlei Risiko für Phishing oder Identitätsdiebstahl.»

Die Nutzung der Taler-App sei ein Kinderspiel, schrieb SRF-Digital-Redaktor Peter Buchmann im vergangenen Jahr, als er das Bezahlsystem ausprobieren konnte. Von den komplexen kryptografischen Prozessen, die beim Aufladen des Wallets im Hintergrund ablaufen, bekomme man nichts mit.

«Die Taler-App generiert zuerst digitale Münzen, sogenannte Token. Dann schickt sie die zusammen mit den selbst generierten Seriennummern an die Bank. Sobald ich bezahlt habe, signiert die Bank meine Token digital, ohne dass sie dabei die Seriennummern zu sehen bekommt (‹Blind Signature›), und schickt die Münzen zurück auf mein Smartphone.»
quelle: srf.ch

Warum ist das viel effizienter als das Bezahlen mit Kreditkarte?

Bei Kreditkarten fallen vergleichsweise hohe Gebühren für die Nutzerinnen und Nutzer an. Die Herstellung der Plastikkarten verbraucht Energie und verschiedene Rohstoffe.

Die digitalen Taler hingegen werden online berechnet und erfordern wenig Ressourcen. «Inklusive Rechenzeit, Bandbreite und Speicherung fallen bei einer Transaktion in Talern lediglich Kosten in Höhe von 0,0001 US-Dollar an.»

Wo kann man heute schon mit Talern bezahlen?

Damit kommen wir zum Haken – und dem Grund, warum sich Jörg Mäder per Postulat an den Bundesrat wendet:

Das Bezahlsystem GNU-Taler hat sich bislang nicht durchgesetzt, noch fehlt der politische Wille und die praktische Umsetzung im grossen Stil. Mit dem digitalen Bargeld konnte man längere Zeit nur an einem Snack-Automaten an der Fachhochschule in Biel bezahlen. Inzwischen hat sich zwar einiges getan, doch der grosse Durchbruch steht noch aus.

Hat der Bundesrat den Mut, der digitalen Innovation «Made in Switzerland» den Weg zu bahnen?

Quellen

GNU-Taler-Vortrag bei YouTube:

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39 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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PorcoRosso
30.09.2022 14:36registriert Juni 2019
Bitte die Taler und gegebenenfalls Kreuzer auch noch einführen. Dann fühle ich mich wirklich wie in Entenhausen....

ich weiss, es hat nichts mit dem Thema zu tun. Man darf aber noch träumen dürfen.
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Rethinking
30.09.2022 15:40registriert Oktober 2018
Somit müsste man Twint umbauen, dann hätte man gleich ne grosse Benutzergruppe…

Nur verdient sich Twint aktuell eine goldene Nase mit überrissenen Gebühren. Dies werden sie nicht hergeben wollen….
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«Energiewende ja, aber nicht so!»: Naturfreunde gegen das Stromgesetz
Ein Naturkomitee mit illustren Namen bekämpft das Stromgesetz. Und malt den Teufel an die Wand: Bei einem Ja würden Landschaften durch Solarparks und Windräder zerstört.

Für die Befürworter ist das neue Stromgesetz ein ausgewogener Kompromiss. Im Parlament wurde die auch Mantelerlass genannte Monstervorlage mit grossem Mehr verabschiedet. Anfangs sah es so aus, als ob es kein Referendum geben würde. Dann bildete sich ein «Naturkomitee» und schaffte es, die nötigen Unterschriften aufzutreiben.

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