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KI-gesteuerte Sessellifte lernen dazu und sollen sicherer sein

Gründungs-Team des Schweizer Start-ups Mantis, das KI-Steuerung für Sesselbahnen entwickelt.
Sie haben Mantis gegründet: die ETH-Ingenieure Kevin Anschau, Carl Biagosch, Joël Bachmann und Tobias Stegemann (von links).Bild: Mantis

KI-gesteuerte Sessellifte halten bei uns Einzug – die wichtigsten Fragen und Antworten

Vier ETH-Absolventen haben ihre eigene Techfirma gegründet und sich mit dem Seilbahnhersteller Doppelmayr zusammengetan. Das Resultat sind automatisierte Bergbahnen, die stets dazulernen.
19.01.2024, 17:2819.01.2024, 17:42
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Das Zürcher Start-up Mantis hat in der Schweiz und in Österreich die Betriebsbewilligungen für die weltweit ersten autonomen Sesselbahnen erhalten, wie aus einer aktuellen Medienmitteilung hervorgeht. Dieser Beitrag beantwortet die wichtigsten Fragen zur Schneesport-Innovation.

Können Sessellifte intelligent sein?

Schneesportfans kennen die Situation: Man kommt mit dem Sessellift bei der Bergstation an und soll auf Skiern oder Snowboard relativ rasch aussteigen und sich entfernen, aber dann passiert das Missgeschick. Jemand stürzt und bleibt direkt in der Gefahrenzone im Schnee liegen.

Bis anhin ist es in den meisten Skigebieten so, dass Betroffene auf das Bergbahnen-Personal vor Ort hoffen müssen. Die Aufsichtsperson drückt geistesgegenwärtig den Not-Stopp, sofern sie nicht gerade abgelenkt oder völlig übermüdet ist.

«Die Überwachung von aussteigenden Fahrgästen ist eine monotone und repetitive Aufgabe, bei der schon kurze Ablenkungen zu Unfällen führen können. Sie ist jedoch perfekt für einen Computer geeignet, der ununterbrochen läuft, ohne die Konzentration zu verlieren.»
quelle: mantis-website

Neu überwacht Künstliche Intelligenz das Aussteigen. KI ist immer aufmerksam und reagiert schneller als jeder Mensch.

Das KI-System erkennt Gefahrensituationen beim Ausstieg an der Bergstation in Sekundenbruchteilen und entscheidet, ob die Anlage weiterfahren, verlangsamen oder stoppen soll.

Ermöglicht wird dies durch intelligente Bilderkennung, Computer Vision genannt. Die Mantis-Ingenieure haben ihrem KI-System beigebracht, mithilfe von Kameras zu sehen – fast wie ein Mensch. Dann erkennen die Algorithmen anhand von Live-Videobildern Stürze und andere Probleme im Ausstiegsbereich und lösen in Echtzeit die passende Reaktion aus, wie einen Nothalt oder eine Verlangsamung des Lifts.

Das System soll aber auch aus unterschiedlichen Situationen lernen und sich fortlaufend verbessern – wobei dies natürlich unter menschlicher Aufsicht erfolgt.

Das Erklärvideo
(bei YouTube):

Die Mantis-Software übernimmt mithilfe von Kameras und weiteren Sensoren, wie im Boden versenkten Druckplatten, die automatische Steuerung der Bergstation.

Wo kann man es ausprobieren?

Im Toggenburg, konkret in Wildhaus SG, sowie im Vorarlberger Skigebiet Silvretta-Montafon.

Bereits zum diesjährigen Saisonstart hatten das Bundesamt für Verkehr (BAV) sowie das österreichische Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) die Bewilligungen für den offiziellen Betrieb mit der Mantis-Technik erteilt.

Für welche Sessellifte gibt's das?

Mantis arbeitet seit Jahren eng mit dem österreichischen Seilbahnhersteller Doppelmayr/Garaventa zusammen – der Marktführer aus dem Vorarlberg hat sich finanziell am Start-up beteiligt. Erklärtes Ziel ist es, das «AURO»-System (Autonomous Ropeway Operation) weiter auszubauen.

Da die Testphase nun offiziell abgeschlossen sei, konzentriert sich das Jungunternehmen gemäss eigenen Angaben auf die Vermarktung des eigenen Systems in der DACH-Region, sprich Deutschland, Österreich und die Schweiz.

«Aktuell arbeiten wir daran, unsere Lösung für möglichst viele Sesselbahn-Typen nutzbar zu machen.»
Carl Biagosch, Co-Gründer

Ist das wirklich neu?

Ja.

Autonome Seilbahnen sind keine Neuheit, seit 2021 steht in Zermatt die erste autonome Gondelbahn der Schweiz. Doch neu kommen die Sesselbahnen zum Zug, die in den meisten Skigebieten in grösserer Zahl vorhanden sind.

Wie steht es um die IT-Sicherheit?

Die sei gewährleistet, erklärt Christian Limburg, Business Development Director bei Mantis, gegenüber watson.

Das System werde jeweils an einer Anlage installiert und könne ganz einfach ein- und ausgeschaltet werden. Und es sei nicht von Hackern über das Internet angreifbar.

Das KI-Bildverarbeitungssystem habe über die letzten drei Jahre «aus vielen Millionen Situationen gelernt» und sei jetzt in der Lage, automatisiert Entscheidungen zu treffen, versicherte ein Verantwortlicher des Bergbahnen-Herstellers Doppelmayr dem Österreichischen Rundfunk (ORF).

Wie viele Arbeitsplätze gehen durch KI bei den Bergbahnen verloren?

Das ist nicht bekannt.

So werde der Personalaufwand um rund ein Drittel gesenkt, heisst es, und man könne dadurch auch «dem akuten Fachkräftemangel in der Branche» entgegenwirken.

Ganz ohne Personal werden Sesselbahnen weiterhin nicht betrieben. KI-gesteuerte Anlagen werden aber nur noch aus der jeweiligen Talstation betreut. Wobei ein «Operator» am Bildschirm mehrere Anlagen überwachen kann.

Ein weiterer Mitarbeiter sei «auf Abruf» schnell an der Bergstation verfügbar und übernehme regelmässig kleinere Wartungsarbeiten an der Sesselbahn, dazu gehört unter anderem auch das Reinigen der Kameralinsen.

Videokameras einer KI-gesteuerten Sesselbahn in Österreich.
Videokameras an einer Notrufsäule.Bild: Doppelmayr

In der Talstation braucht es aber auch weiterhin menschliches Personal, um den Fahrgästen umgehend zu helfen, falls sie nicht korrekt Platz nehmen auf dem Sessellift.

Was ist bei schlechten Sichtverhältnissen?

Das KI-System wurde bei winterlichen Verhältnissen während mehreren Jahren getestet und verfeinert. Es soll auch bei Schneetreiben und Eisregen funktionieren.

«Derzeit sind die Mantis-Systeme für den Winterbetrieb bei Tag konzipiert. Wir arbeiten an Produkten für den Nachtskilauf und/oder Sommerbetrieb, diese sind jedoch noch nicht verfügbar.»
quelle: faq von mantis

PS: Apropos Sessellift 😱

Vielleicht erinnerst du dich an die Videos vom «Skilift-Horrorunfall» in Georgien, die 2018 um die Welt gingen.

Nichts für schwache Nerven:

Inzwischen ist geklärt, wie es zu der fatalen Rückwärtsfahrt kommen konnte, bei der zehn Schneesportlerinnen und Schneesportler, die nicht rechtzeitig absprangen, herausgeschleudert und verletzt wurden.

Technische Probleme waren gemäss einem Expertenbericht auszuschliessen. Der 2007 gebaute Sessellift der Vorarlberger Firma Doppelmayr sei in einem perfekten Zustand gewesen, wie eine Inspektion der Anlage kurz vorher ergab.

Menschliches Versagen führt zum Unglück: Ein Mitarbeiter habe nach einem Stromausfall nicht richtig reagiert. Er hätte den 4er-Sessellift mit einem Dieselaggregat wieder zum Laufen bringen müssen. Weil er dies nicht tat, wurde der Lift wegen der Schwerkraft immer schneller.

Quellen

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So sind Skiferien wirklich
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So sind Skiferien wirklich
quelle: watson
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Deine Horrorvorstellung – Sessellift fährt plötzlich rückwärts
Video: watson
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