Als ich die Zero SR/S abholte, fielen bereits die ersten Tropfen. Der Himmel war schwarz und es konnte sich nur um Minuten handeln, bis er die Schleusen so richtig öffnete. Aber wen kümmert's? Mich nicht. Ich wohne einen Fahrkilometer oder fünf Kurven vom Händler entfernt. Easy. Schnell den Töff in Empfang nehmen, in die Garage stellen, gut ist.
30 Minuten und 30 Kilometer später stehe ich völlig durchnässt wieder beim Händler, um ihm meine Liebe zu gestehen.
So gut ist die SR/S.
So viel Spass macht die SR/S.
Es ist ein Ding wie aus einer anderen Zeit.
Aber nun zum eigentlichen Auftrag.
Wir suchen das perfekte Pendlerfahrzeug. Möglichst umweltschonend muss es sein – deshalb kommen eigentlich nur Elektrofahrzeuge in Frage. Möglichst platz- und ressourcensparend muss es sein – deshalb kommen eigentlich nur Motorräder in Frage. Und es muss halt auch ein My Spass machen, bisschen sexy sein. Sonst holen wir die V8-Jünger, die R1-, CBR und GSX-Hoschis sowieso nie ins Boot.
Als erstes testeten wir die Kalk& von Cake. Dabei handelt es sich um ein leichtgewichtiges Offroad-Motorrad aus Schweden, das strassentauglich gemacht wurde. Ein wunderbares Maschinchen.
Die SR/S von Zero steht in Sachen Motorrad am anderen Ende des Spektrums.
Ich stelle das Elektromotorrad an die Langstrasse in Zürich und beobachte von der Burgerbude vis à vis, wie die Leute auf die Zero reagieren. Einen ersten verächtlichen Blick habe ich bereits kassiert. Von der jungen Frau, die auf einer Ducati davonkracht. Als Ducati-Fahrerin darf man verachtend dreinschauen. Auf alles. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sie realisiert hat, was da so urplötzlich und vor allem beinahe geräuschlos neben ihr parkierte.
Die Zero schreit optisch nicht nach Zukunftsvision. Wegen der Verschalung werden nur Kenner das Elektrogefährt als solches erkennen. Ihnen muss auffallen, dass der Auspuff fehlt. Im Gegensatz zur Kalk& kann die SR/S nicht mit einem meterlangen Palmares an Designpreisen angeben. Egal. Der kalifornische Hersteller schreibt sich Pragmatismus auf die Fahne. Mir ist das lieber.
Nach einer halben Stunde umringen ein paar Cornerboys die Zero und begutachten sie gelangweilt. Danach schlendern sie weiter. Die Szene beschreibt ziemlich genau, wie aufregend die SR/S wirkt: so ein bisschen. Doch der Schein trügt.
Die SR/S ist aufregend. Es ist der aufregendste Töff, auf dem ich je sass. Kein Wunder mit 190 Newtonmeter Drehmoment – das ist absurd. Absurd und brutal. Und brutal viel mehr als zum Beispiel die 2020er MV Agusta Brutale. Die hat gerade mal 116 Newtonmeter in der Spitze und gilt als Postergirl der Kraftmonster. Eine Hayabusa schafft knapp 140.
Und so beschleunigt die SR/S von 0 auf 100 in etwa 3,3 Sekunden (Sportmodus) und von 60 auf 100 km/h in etwa ... einer Sekunde. Da zieht es dir die Lefzen in den Hals, das Herz in die Hose und die Drüsen fluten den Körper mit Adrenalin und Endorphin. Gefühlschaos. Bin ich noch auf der Flucht oder bereits im siebten Himmel?
Nun muss ich gestehen: Ich bin kein Valentino Rossi. Ich bin eher so der James-May-Typ. Zwar ohne Blockflöte und leider nur mit einem Bruchteil seines Fachwissens, definitiv aber Captain Slow. Ich fahre schon seit Jahren Motorrad, bei jedem Wetter und jeder Witterung, und trotzdem bleibt meine grösste Qualität beim Motorradfahren, dass ich weiss, was ich alles nicht kann. Und so ein Motorrad während eines kurzen Tests über drei Tage ans Limit bringen – das kann ich nicht. Auch der Händler, ein Ex-Amateur-Fahrer mit umfangreicher Rennerfahrung, rät mir zur Vorsicht: «Bis man diese Maschine richtig beherrscht, vergehen Jahre.»
Und deshalb bin ich froh, hat die SR/S diverse Fahrmodi und Fahrhilfen, eine Traktionskontrolle zum Beispiel, die im Regen-Modus besonders sensibel reagiert. So fahre ich sauber und ohne Schwierigkeiten durch den Monsun, hinter die Welt, ans Ende der Zeit, bis kein Regen mehr fällt. Die 230 Kilo bewegen sich leicht und locker, Das Fahrwerk ist wunderbar, die Bremsen (mit ABS) greifen flott.
Auch wenn die Beschleunigung die herausragendste von sehr vielen guten Eigenschaften dieses Elektromotorrades ist, gibt es aber eine weitere Eigenheit, die vor lauter Warp-Beschleunigung fast untergeht – für mich aber mindestens so charakterbildend ist: Auch bei hohen Geschwindigkeiten fehlt jegliche Vibration. Da ist einfach nichts, zero. In der Kurve auf einem sauberen Autobahnabschnitt fühlt sich die SR/S an, als würde sie schweben. Da kann man noch so lange Motorrad gefahren sein: Das ist ein komplett neues Gefühl. Eine ganz andere Liga.
Dazu pfeift der Wind in den Helm, als müsste er Ivan Rebroff die Lungen füllen. Das kleine bisschen Motorengeräusch wird komplett übertönt. Kein Summen, kein Knarren, kein Stampfen. Das irritiert. Denn Motorengeräusche und Vibrationen sind Signale. Sie übermitteln Informationen. Das fehlt nun komplett. Und so ist die SR/S mehr fliegender Teppich als Motorrad, statt geritten wird gegondelt. Ein Gefühl, als sei man von der Zukunft geküsst worden. Es ist der absolute Wahnsinn. Und ehrlich gesagt genau das, was wir gesucht haben.
Ja und jein. Ich bin hin- und hergerissen.
Mir persönlich ist die SR/S zu extrem. Es ist im wahrsten Sinn overkill. Wir suchen das perfekte Pendlerfahrzeug und finden den fliegenden Teppich auf Steroiden. Das muss man erst mal verdauen.
Natürlich steige ich mit dem breitesten Grinsen vom Motorrad. Aber der nicht ganz so kleine Hosenscheisser (und Realist) in mir ist auch froh, dass er den Schlüssel wieder abgeben darf. Auf dass sich ein anderer damit in 1001 Nacht verbremst. Andererseits findet man bei keinem anderen Elektromotorrad eine derartige Reichweite. Schnell ins Bündnerland – ist damit möglich.
Das ist extrem verlockend. Man muss den Hahn ja nicht immer gleich voll aufdrehen. Aber kann man überhaupt anders? Fast nicht. Kaum war der Regen vorbei, fuhr ich nur noch im Max-Modus: maximale Power, maximale Rekuperation. Aber seien wir ehrlich: Bereits im Eco-Modus gewinnt man an der Kreuzung.
Dass die SR/S, oder ohne Verschalung die SR/F, die Schweizer Strassen erobern wird, steht ausser Frage. Es ist nur noch eine Frage der Zeit – und eine Frage davon, ob man bereit ist, alte Zöpfe abzuschneiden. Wer auch nur ein paar Minuten damit fährt, kann sich der Faszination kaum mehr entziehen. Ich für meinen Teil habe Blut geleckt und ich denke, eine etwas schmächtigere Zero könnte perfekt sein für unsere Ansprüche.
Wir melden uns.
Das Schlechte daran ist der Preis. Für den Preis einer Zero kriegt man einen neuen Kleinwagen... Daran ist es bei mir dann letztendlich gescheitert. Aber vielleicht wirds ja doch noch was!
Wäre ich noch 20, würde ich das Teil mindestens einmal fahren wollen, aber ich bin froh muss es mit 60 nicht mehr so schnell sein.
Der Stuhl scheint mir ganz geil😎