International
Ägypten

Ägyptens neue Hauptstadt (für Reiche)

Ägyptens neue Hauptstadt (für Reiche)

Kairo war gestern: Ägyptens Regierung zieht im neuen Jahr in eine neu erbaute Stadt. Die hat noch keinen Namen, aber viele Projekte der Superlative: Höchstes Gebäude der Welt, null Kriminalität, grüne Energie. Doch ein tiefgreifendes Problem wird auch die neue Smart City nicht lösen – im Gegenteil.
25.12.2022, 19:1725.12.2022, 20:15
Mehr «International»

Kairo platzt aus allen Nähten.

Die Megastadt am Nil zählt mit einer Bevölkerungsdichte von 15'000 Menschen pro Quadratkilometer zu den am dichtesten besiedelten Städten der Welt.

Alleine im Stadtzentrum wohnen mehr Menschen als in der Schweiz – 9,5 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 606 Quadratkilometern.

Im gesamten Ballungsgebiet sind rund ein Fünftel der ägyptischen Bevölkerung untergebracht – insgesamt rund 19,3 Millionen Menschen.

This photo was taken from the Cairo Citadel during daytime. The visibility is not clear due to humidity and polution. The pyramids of Giza can be seen far away across the town.
Ägyptens Hauptstadt gehört zu den am dichtesten besiedelten Städten der Welt.Bild: Moment RF
Autos und Menschen drängen durch die überfüllten Strassen der Stadt.
Autos und Menschen drängen durch die überfüllten Strassen der Stadt. Bild: Shutterstock

Das Leben in Kairo bringt die Menschen an die Grenzen der nervlichen Belastung. Autos und Menschen drängen sich täglich durch die Strassen, die am Verkehr erstickt. Lärm dröhnt bis in die verwinkelten Gassen, in denen sich Abfall und Müll zu Pyramiden stapeln. Es mangelt an einem effizienten Müllsammelsystem und die Feinstaubbelastung überschreitet jährlich den kritischen Schwellenwert. Die Liste an Problemen reicht bis zu Nut – der ägyptischen Göttin des Himmels.

Seit den 60er Jahren ist die Bevölkerung in Kairo überproportional gewachsen. Damals waren es noch 3,5 Millionen Menschen, bis 2050 sollen es 24 Millionen sein.

Und trotz dieser Kalamität breitet sich die Krake von Stadt immer weiter aus.

Leben auf Kairos Dächern

Zahlreiche Stadtgebiete wachsen schon jetzt täglich weiter, aber nicht nur in die Breite, sondern auch in die Höhe. In den Armenvierteln richten sich Familien ihr Zuhause auf den Dächern ein, da es an bezahlbaren Wohnungen fehlt. Oder weil die zahlreichen verwahrlosten Siedlungen der Stadt, die unweit des Nils im sumpfigen Uferland liegen, in sich zusammensacken.

Es entsteht eine Art Stadt über der Stadt.

epa03584511 A woman looks from her balcony in the slum residents Ramlet Bulaq's in Cairo, Egypt, 14 February 2013. Ramlet Bulaq's residents live in run-down shacks and lack basic facilities, ...
Die Bewohner des Slum-Viertels Ramlet Bulaq leben in heruntergekommenen Hütten und verfügen nicht über grundlegende Einrichtungen wie fliessendes Wasser.
Bild: EPA
epa04678847 A general view showing the Bulaq slum in Cairo, Egypt, 25 March 2015. According to estimates, about 16 million Egyptians live in slum neighborhoods lacking basic facilities and even at ris ...
Bulaq – Kairos Armenviertel am Ostufer des Nils.Bild: EPA
epa04678846 An Egyptian boy plays on the roof of a home at the Bulaq slum in Cairo, Egypt, 25 March 2015. According to estimates, about 16 million Egyptians live in slum neighborhoods lacking basic fa ...
Schätzungen zufolge leben etwa 16 Millionen Ägypter in Slumvierteln.Bild: EPA
epa05507594 A picture made available on 23 August 2016 showing Egyptians sitting outside their houses at a slum near the Nile City Towers in Ramlet Bulaq neighborhood, Cairo, Egypt, 21 August 2016. Ra ...
Der Stadtteil Ramlet Bulaq liegt unweit entfernt der ikonischen Türme «Nile City Towers», die durch ein luxuriöses Hotel verbunden sind.Bild: EPA

Zu viele Menschen, zu wenig Platz – Kairo hat als Hauptstadt ausgedient.

Dies muss sich wohl Präsident Abdel Fattah al-Sisi gedacht haben, als er 2015 verkündete, dass er eine neue Verwaltungsstadt aus dem Boden stampfen wolle. Eine Stadt der Superlative sollte es werden – mit den höchsten Wolkenkratzern des Landes und einer der grössten Moscheen der Welt. Ganz nach den Vorbildern am persischen Golf.

Al-Sisi begründete sein Vorhaben im Staatsfernsehen:

«Das Bevölkerungswachstum ist eines unserer grössten Probleme, nicht geringer als der Terrorismus. Denn grosse Armut ist eine Quelle des Terrorismus. Sie treibt die Menschen in den Extremismus.»

Seit der Ankündigung befindet sich inmitten der Wüste, 35 Kilometer östlich von Kairo, eine gigantische Baustelle.

epa09078297 General view of the construction site of the central business district of the new administrative capital, 45 kilometers east of Cairo, Egypt, 16 March 2021. Egypt started the construction  ...
Ein Blick auf die Baustelle der neuen Verwaltungshauptstadt Ägyptens, am 16. März 2021.Bild: EPA

Stadt der Superlative

In Kairos künftiger Hauptstadt sollen einmal 6,5 Millionen Menschen leben, sie soll flächenmässig etwa so gross werden wie Singapur. 50'000 neue Arbeitsplätze sollen dort geschaffen werden.

Geplant sind 1,1 Millionen (Luxus-)Wohnungen, 2000 Schulen, 600 Spitäler, 1200 Moscheen, sechs Universitäten, ein künstlich angelegter Fluss sowie ein internationaler Flughafen. Dazu ein Freizeitpark, der viermal so gross werden soll wie das Disneyland, eine Parkanlage, die doppelt so gross werden soll wie der Central Park in New York und ein Turm (Iconic Tower), der Dubais Wolkenkratzer Burj Khalifa um mehr als 120 Meter übertreffen und zum höchsten Gebäude der Welt aufsteigen soll.

220823 -- CAIRO, Aug. 23, 2022 -- Aerial photo taken on July 19, 2022 shows the Central Business District CBD project in Egypt s new administrative capital in east of Cairo, Egypt. The construction of ...
Die Stadtmitte der künftigen Hauptstadt Ägyptens mit dem noch nicht fertig gebautem Iconic Tower.Bild: imago

Damit nicht genug.

Weiter aus dem Boden gestampft wird eine Kristallpyramide (Diamond Tower), die nicht ganz so hoch werden soll wie der Iconic Tower, aber immerhin das höchste Gebäude Afrikas. Auch al-Sisi höchstpersönlich wird einst in die Hauptstadt ziehen, für ihn wird ein Palast errichtet.

Er soll der zweitgrösste Wolkenkratzer Ägyptens werden: der Diamond Tower.
Er soll der zweitgrösste Wolkenkratzer Ägyptens werden: der Diamond Tower.bild: acud

Soweit der Plan. Fertig gebaut sind bislang einige Wohnhäuser – so auch das Regierungsgebäude. 500 Regierungsmitarbeitende werden ab Januar in den Hochhauskomplex einziehen, der mit seiner Grösse mit keinem anderen Regierungsgebäude in der Region verglichen werden kann.

Auch eine der weltweit grössten Moscheen, die Al-Fattah Al-Aleem Moschee, ist nicht bloss eine Fata Morgana geblieben. 2019 hat der Präsident die grösste Moschee des Landes mit einer Fläche von 450'000 Quadratmeter eingeweiht.

Für alle anderen werden die Tore vor den Toren Kairos ab 2023 schrittweise geöffnet.

Die neue Hauptstadt entsteht 35 Kilometer östlich von Kairo auf einer Gesamtfläche von 725 Quadratkilometern.
Die neue Hauptstadt entsteht 35 Kilometer östlich von Kairo auf einer Gesamtfläche von 725 Quadratkilometern.bild: acud
epa09078531 A view a construction site of the New Administrative Capital, 45 kilometers east of Cairo, Egypt, 16 March 2021. Egypt started the construction of the new administrative and financial capi ...
Die Wohnhäuser der Retortenstadt.Bild: EPA

Was der Stadt bislang noch fehlt: ein Name.

2019 konnte die Bevölkerung Vorschläge einreichen. Unter drei Bedienungen: Der Name muss die ägyptische Identität ausdrücken, aus nur zwei Wörtern bestehen und darf sich nicht auf Politik oder Religion beziehen. Bislang hat die Regierung noch keinen Namen bekannt gegeben.

Ausgetrockneter Nil soll die Stadt mit Wasser versorgen

Auf der Agenda des Bauprojekts steht auch das Thema Nachhaltigkeit und Sicherheit. Die Gebäude sollen künftig nur die Energie verbrauchen, welche sie selbst durch Photovoltaik und Windräder produziert. Zudem soll die Stadt frei von Kriminalität sein – dafür soll ein stadtweites Überwachungssystem sorgen.

Doch die Realität sieht bezüglich Nachhaltigkeit etwas anders aus.

Ägypten leidet bereits jetzt unter Wasserarmut. Das Land ist komplett vom Wasser des Nils abhängig. Das Gewässer deckt 97 Prozent des ägyptischen Wasserverbrauches. Durch den steigenden Bedarf der stark wachsenden Bevölkerung, den Klimawandel und die Inbetriebnahme des äthiopischen GERD Staudammes verschärft sich die Situation weiter. Auch für das Mega-Projekt wird Wasser aus dem bereits erschöpften Nil gepumpt. Durch einen neu errichteten Fluss soll das Wasser in die Stadt gelangen.

Neue Stadt – nicht ohne Hintergedanken

Genauso wie andere Megastädte, die aus dem Nichts entstanden sind, will Ägyptens Regierung ... Überraschung ... unter anderem einen grossen Sportevent ins Land – respektive in die neue Hauptstadt – holen. Als erstes afrikanisches Land möchte das Land der Pharaonen die Olympischen Spiele 2036 ausrichten.

Geplant sind entsprechende Stadien, olympische Schwimmhallen, Tennisplätze und weitere Sportstätten.

epa10180140 Workers at a construction site of the New Administrative Capital (NAC), some 45km east of Cairo, Egypt, 12 September 2022. The new city is located 45 kilometers east of Cairo, in an area h ...
Einiges muss in der neuen Stadt erst noch errichtet werden. Bild: EPA

Finanziert mithilfe von China

Doch mit der neuen Stadt will sich Ägypten nicht nur den Sportevent sichern. Die künftige Hauptstadt ist Teil des Projekts «Egypt Vision 2030», das die wirtschaftliche Entwicklung Ägyptens vorantreiben soll. Geschätzt werden die Kosten der neuen Hauptstadt auf 59 Milliarden US-Dollar. Finanziert wird das Projekt hauptsächlich aus Krediten, die Kritiker für eher undurchsichtig halten.

Eine der grössten Sponsoren ist China. Denn: Die geografische Lage der Hauptstadt ist für China nicht unbedeutend. Die Hauptstadt liegt unweit des Suezkanals, einer der wichtigsten Wasserstrassen der Welt, welche das Rote Meer mit dem Mittelmeer verbindet und den Schiffen zwischen Nordatlantik und Indischem Ozean den Weg um Afrika erspart.

Der Suezkanal ist einer der wichtigsten Wasserstrassen der Welt. 12 Prozent des weltweiten Seehandels passieren den Suezkanal, davon stammen viele Containerschiffe aus China.
Der Suezkanal ist einer der wichtigsten Wasserstrassen der Welt. 12 Prozent des weltweiten Seehandels passieren den Suezkanal, davon stammen viele Containerschiffe aus China.bild: google maps

Das Reich der Mitte stellte dem Land einen Kredit in der Höhe von drei Milliarden US-Dollar bereit. Das grösste chinesische Bauunternehmen, China State Construction Engineering, übernahm die Bauarbeiten. Für weitere 1,2 Milliarden US-Dollar finanzierte China die Einschienenbahn, welche Kairo mit der neuen Verwaltungsstadt verbindet.

Die Zusammenarbeit fand im Rahmen der «Belt and Road» (Neue Seidenstrasse) Initiative statt, eine von China initiierte Strategie, die darauf abzielt, Asien mit Afrika und Europa über Land- und Seenetze zu verbinden. Auch der Suezkanal ist Teil der Seidenstrasse.

Gebaut auf Sand: Die künftige – noch namenlose – Hauptstadt Ägyptens.
Gebaut auf Sand: Die künftige – noch namenlose – Hauptstadt Ägyptens.bild: twitter

Stadt für Reiche

Und wer soll da bald wohnen? Das ist noch nicht kommuniziert worden. Fest steht: Die Wohnungen werden zu sehr hohen Preisen angeboten. Eine Zweizimmerwohnung kostet im Durchschnitt um die 50'000 Dollar – und dies in einem Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt.

Gegenüber der «New York Times» sagte der ägyptische Politologe Maged Mandour, welcher über Angelegenheiten der arabischen Welt, mit besonderem Schwerpunkt auf dem sozialen Wandel im Nahen Osten, schreibt:

«Der Präsident leiht sich Geld aus dem Ausland, um eine riesige Stadt für die Reichen zu bauen. Aber die armen und bürgerlichen Ägypter zahlen den Preis für das Megaprojekt durch Steuern und geringere Investitionen.»

Die neue Stadt soll dereinst ein Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs sein. Eine Stadt der Superlative. Gut möglich, dass sie auch zu einem weiteren Symbol für die Kluft zwischen Arm und Reich in Ägypten werden wird.

Wo eine utopische Wüstenstadt erst noch ein kühner Traum ist:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Skurrile Bilder aus dem Land der Pyramiden
1 / 28
Skurrile Bilder aus dem Land der Pyramiden
Katzen galten früher als heilig. Die Liebe scheint anzuhalten.
quelle: reddit
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Zweijähriges Mädchen beeindruckt mit ihren Lese-Skills die TikTok-Community
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
40 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
honesty_is_the_key
25.12.2022 20:02registriert Juli 2017
Aegypten hat schon so viele Probleme, da wäre so ein grössenwahnsinniges und absolult unnötiges Projekt echt nicht nötig gewesen. Leider wiedermal ein Zeichen wie ein machtgeiler Politiker und Diktator, seine Macht missbraucht, und nicht zum Wohl der Bevölkerung handelt.
1557
Melden
Zum Kommentar
avatar
Antinatalist
25.12.2022 19:35registriert September 2019
Die Influencer geifern jetzt schon...
14212
Melden
Zum Kommentar
avatar
dmark
25.12.2022 23:45registriert Juli 2016
Keine 5 Jahre und auch diese Stadt ist zugemüllt.
Desweiteren werden sich um diese Stadt auch wieder Siedlungen bilden und in nochmals 10 Jahren sieht diese Stadt genauso aus, wie heute Kairo... Wetten?
533
Melden
Zum Kommentar
40
Selbstbestimmungsgesetz: Kleine Fortschritte sind manchmal besser
Trans-Rechte, echte Doppelnamen, Cannabis: Gut, dass die Ampel endlich ein paar Gesellschaftsreformen anpackt! Doch dabei muss sie auf die Stimmung im Land achten.

Nach zweieinhalb Jahren Stillstand hat die Ampelregierung endlich doch noch einige ihrer versprochenen Gesellschaftsreformen verabschiedet: Schon seit Anfang des Monats sind Besitz und Anbau von kleinen Mengen Cannabis legal. Ab Juni haben Menschen, die den deutschen Pass beantragen, grundsätzlich die Option der doppelten Staatsbürgerschaft.

Zur Story