Stell dir vor: Gemeinsam mit fünf Millionen anderen Menschen lebst du in der Wüste in einer Mega-Stadt, die 33-mal grösser ist als New York. Du wohnst in einem 170 Kilometer langen Wohnkomplex – der mit einer Höhe von fast 500 Metern zu den höchsten Wolkenkratzern der Welt gehört.
Ihr versorgt euch alle selbst – setzt auf vertikale Landwirtschaft. Wenn du mal keine Lust zum Kochen hast, bezahlst du ein Abo und kannst dich in der Gemeinschaftskantine morgens, mittags und abends bedienen.
Langweilig wird es dir nicht – zumindest für die ersten paar Tage nicht. Denn du hast sowohl das Meer als auch die Berge «direkt» vor deiner Haustüre. Was will man mehr?
Herumdüsen kannst du mit dem Velo. Oder mit den unterirdischen Hochgeschwindigkeitszügen, die dich in kürzester Zeit zum Golf von Akaba bringen, wo du den Jachthafen nutzen oder besuchen kannst. In die entgegengesetzte Richtung erreichst du zur Erholung ein Bergresort. Dazwischen befindet sich eines der grössten Sportstadien der Welt, wo du die besten Fussballspiele live mitverfolgen kannst.
Wie du deine Stadt ohne privaten Heli verlassen kannst, ist noch unklar, ein Flughafen ist nicht vorgesehen. Auch Strassen und Autos gibt es nicht. Du lebst schliesslich in einer CO₂-freien Stadt – wären da bloss nicht die Superjachten, die sich in einem Hafen der Superlative aneinander reihen. Dafür bleiben dir aber (vorerst) die Industriekonzerne fern.
An etwas musst du dich aber wohl noch gewöhnen: Täglich fliegen dir Drohen um die Ohren, die dich aber natürlich nicht überwachen wollen, sondern sich nur um dein Wohl sorgen.
Klingt nach einer vagen Zukunftsvision? Das ist es im Moment auch. Doch die autofreie, lineare Millionen-Stadt mitten in der Wüste stellt viel mehr dar.
Sie ist Prinz Mohammeds Plan, Saudi-Arabien die Abhängigkeit des Öls zu reduzieren. Das Mega-Projekt soll für breitere Diversifikation der Wirtschaft sorgen. Der Bau von zwei parallelen Wolkenkratzern nennt sich «The Line» und soll bis 2030 aus dem Boden gestampft werden – zu einem Preis von bis zu einer Billion US-Dollar, dies entspricht dem gesamten BIP Indonesiens.
Das BIP des Königreichs soll mit dem Projekt um 48 Milliarden US-Dollar gesteigert werden. Der Bau soll die ausländischen Investoren wieder anlocken, von denen viele das Land wegen der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi boykottieren.
Das in der kargen Provinz Tabuk vorgesehene Projekt mit einer Fläche von 26 Quadratkilometern soll über fünf Millionen Menschen beherbergen. Die Wolkenkratzer reichen von den Bergen über die Wüste bis zur Küste. Von einem Ende zum anderen reise man in nur 20 Minuten. Strom werde durch erneuerbare Energie erzeugt und Gemüse und Früchte autonom geerntet, heisst es in der Pressemitteilung des Kronprinzen Mohammed bin Salman. Es gibt allerdings auch noch sehr viele offene Fragen.
Doch so soll «The Line» in etwa aussehen:
Kronprinz Mohammed bin Salman stellte im Januar 2021 erstmals seine Idee einer geradlinigen Stadt ohne Autos vor: «‹The Line› ist ein Projekt, das eine Revolution darstellt, bei der der Mensch an erster Stelle steht.»
Welche Menschen damit gemeint sind, davon spricht der Kronprinz nicht. Womit er sich hingegen krönt: Das Projekt werde 380'000 Arbeitsplätze schaffen und den Tourismus ankurbeln. Bislang kennt man den Tourismus in der umliegenden Region nur auf der anderen Seite des Roten Meers – in Ägypten.
Die Aktivistin Alia Hayel Aboutiyah al-Huwaiti ist allerdings davon überzeugt, dass das Projekt nicht für die Menschen von Saudi-Arabien gebaut werde, sondern für Touristen mit Geld.
Der Kronprinz hingehen sieht in seinem Projekt viel mehr als nur eine Touristenattraktion, er nennt es die «Revolution des urbanen Wohnens» – mit verbesserter Infrastruktur, keinen Verkehrsmitteln, erneuerbarer Energie und (so gut wie) keiner Umweltbelastung. Eine Stadt wie aus dem Märchenbuch.
Doch es gibt auch eine Kehrseite. Ein Zuhause für die Ureinwohner werde es bestimmt nicht, meint die Aktivistin Alia Hayel Aboutiyah al-Huwaiti. Die Region ist zwar wenig bekannt, doch sie ist keineswegs ein sandiges Nirgendwo.
Bis vor kurzem wurde die karge Landschaft im Norden Saudi-Arabiens von schätzungsweise 20'000 Beduinen besiedelt. Seit 2020 seien tausende Menschen umgesiedelt worden, berichtete die saudische Menschenrechtsorganisation Alqst. Mehrere Stammesmitglieder, die sich weigerten, ihre Heimat zu verlassen, seien gewaltsam verhaftet worden.
Auch der saudische Wüstenbewohner Abdulrahim al-Huwaiti widersetze sich 2020 der Regierung, als man ihm befahl, die Beduinenstämme zu verlassen, um Platz für das Mega-Projekt zu schaffen. Statt das Feld zu räumen und sich mit einer Entschädigung abzufinden, wandte er sich in einem Video an die Öffentlichkeit.
Darin erzählt er von den gewaltsamen Zwangsräumungen sowie von den Verhaftungen: «Neun Menschen aus meiner Gegend wurden bisher festgenommen und ich bin mir sicher, dass ich der nächste sein werde – oder sogar getötet werde», sagte al-Huwaiti. Seither fehlt von ihm jede Spur.
Ich hoffe es kann nicht realisiert werden! Saudi-Arabien ist eins der menschenverachtendsten Ländern der Welt. Frauen haben kaum Rechte. Die religiösen Fanatiker im Land harren stur im 7. Jahrhundert und sind kein Schritt weitergegangen.
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