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Ende der Demokratie: Offiziere verkünden Machtübernahme im Niger

In this image taken from video provided by ORTN, Col. Maj. Amadou Abdramane, front center, makes a statement late Wednesday, July 26, 2023, in Niamey, Niger, as a delegation of military officers appea ...
Hier verkündet Oberst Amadou Abdramane die Aussetzung aller Institutionen der Republik sowie die Schliessung der Landesgrenzen.Bild: keystone

Die Lage im Niger eskaliert – das wichtigste zum Putsch in 9 Punkten

Am späten Mittwochabend ereignete sich im westafrikanischen Land ein Militärputsch. Damit ist die letzte Demokratie in der Sahelzone gescheitert. Das Wichtigste in neun Punkten.
27.07.2023, 22:4027.07.2023, 22:44
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Nach einer stundenlangen Festsetzung von Nigers Präsident Mohamed Bazoum haben Militärs in dem westafrikanischen Land die Machtübernahme erklärt. Alle Institutionen der Republik seien ausgesetzt und die Landesgrenzen «bis zur Stabilisierung der Situation» geschlossen, verkündete Oberst Amadou Abdramane am späten Mittwochabend im nationalen Rundfunk RTN. Zudem gilt eine nächtliche Ausgangssperre. Die Verlautbarung galt als Vollzug eines Putsches, der unerwartet am Mittwochmorgen mit der Blockade des Präsidentenpalasts in der Hauptstadt Niamey begonnen hatte.

Wer ist nun an der Macht?

Unbestätigten Berichten zufolge könnte nun der Chef der Präsidentengarde, General Omar Tchiani, die Führung eines Militärrats übernehmen. Wer in dem Land mit etwa 26 Millionen Einwohnern nun tatsächlich die Macht hat, ist aber noch immer offen. Unklar war zunächst, ob die zehn Soldaten im Fernsehen für die gesamten Streitkräfte sprachen.

Am Donnerstag erklärte das Militär schliesslich, die Forderung der Putschisten nach einem Ende der Amtszeit von Präsident Mohamed Bazoum unterstützen zu wollen. Dies teilten die Streitkräfte auf Facebook und Twitter mit.

epa10771228 Supporters of putschist soldiers hold Niger's flags as they celebrate outside the National Assembly building in Niamey, Niger, 27 July 2023. Mutinous soldiers calling themselves the N ...
Unterstützer der Putschisten freuen sich auf den Strassen Niameys. Bild: keystone

Der Schritt solle die «körperliche Unversehrtheit des Präsidenten und seiner Familie» gewährleisten sowie eine «tödliche Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Sicherheitskräften» vermeiden.

Das Militär warnte in der Erklärung vor jeglicher militärischer Intervention aus dem Ausland. Diese könnte verheerende Folgen für das Land haben.

Die Armee des Landes hat derzeit rund 25'000 Soldaten. Der Präsidialgarde gehören unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 700 und 1000 Gardisten an.

Was sagt die bisherige Regierung?

FILE- Nigerien President Mohamed Bazoum at the presidential palace in Niamey, Niger, March 16, 2023. Bazoum said Wednesday July 26 2023 that elements of the presidential guard tried to move against hi ...
Wurde gestürzt: Präsident Mohamed Bazoum.Bild: keystone

Präsident Mohamed Bazoum hat zum Erhalt der demokratischen Errungenschaften des Landes aufgerufen.

«Alle Nigrer, die Demokratie und Freiheit lieben, werden dafür sorgen», schrieb Bazoum am Donnerstag auf Twitter.

Auch Nigers Aussenminister Hassoumi Massoudou hat die meuternden Militärangehörigen aufgerufen, Präsident Mohamed Bazoum freizulassen und ihre Forderungen im Dialog zu klären.

Dem französischen Nachrichtensender France 24 sagte der Minister am Donnerstag: «Wir sind die legalen und legitimierten Autoritäten in Niger.» Er habe ausserdem mit Bazoum gesprochen und erklärte dazu, dass es dem Präsidenten gut gehe.

Was sagt die Opposition?

Nigrische Medien veröffentlichten eine Mitteilung, derzufolge sich auch Oppositionsparteien hinter die Putschisten stellen. Unklar blieb zunächst, welche und wie viele Parteien dahinter standen. «Die ehemalige politische Opposition Nigers, die sich nun in der Union der nigrischen Patrioten - UPN - zusammengeschlossen hat, missbilligt zwar jeglichen verfassungswidrigen Machterhalt oder gewaltsamen Machtwechsel, unterstützt aber die Beweggründe des CNSP ... nämlich die ständige Verschlechterung der Sicherheitslage in unserem Land und die schlechte wirtschaftliche und soziale Regierungsführung», hiess es in dem Schreiben vom Donnerstag.

With the headquarters of the ruling party burning in the back, supporters of mutinous soldiers demonstrate in Niamey, Niger, Thursday, July 27 2023. Governing bodies in Africa condemned what they char ...
Dichter Rauch in der Stadt Niamey.Bild: keystone

«Die UPN verpflichtet sich, den CNSP bei seiner Mission zu begleiten, solange es um die Wiederherstellung der nationalen Souveränität, der Würde des nigrischen Volkes, der Rechtsstaatlichkeit, der guten Regierungsführung, der Korruptionsbekämpfung, der Sicherheit von Personen und Gütern, der Gerechtigkeit, der Chancengleichheit für alle und um eine möglichst baldige Rückkehr zur normalen Verfassungsordnung geht», hiess es.

Die Verfasser riefen für Freitag zu Demonstrationen auf. Am Donnerstag hatten Unterstützer des Putsches bei Protesten unter anderem den Sitz der Präsidentenpartei in Niamey angegriffen.

Welche Motivation hatten die Putschisten?

«An diesem Tag, dem 26. Juli 2023, haben die Sicherheits- und Verteidigungskräfte, vereint im Nationalen Rat für die Rettung des Vaterlandes, beschlossen, dem Ihnen bekannten Regime ein Ende zu setzen. Dies ist eine Folge der kontinuierlichen Verschlechterung der Sicherheitslage, der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Regierungsführung», erklärten die Offiziere. Man werde alle Verpflichtungen des Landes achten.

Nach Militärputschen in Mali und Burkina Faso war der Niger das letzte der drei Nachbarländer in der Sahelzone, das von einer demokratisch gewählten Regierung geführt wurde. Erst Ende 2022 hatte die EU eine Militärmission im Niger beschlossen, um den Terrorismus in der Region zu bekämpfen.

Wie hat sich der Putsch ereignet?

Am Mittwochmorgen hatte die Präsidentengarde, eine Eliteeinheit der Armee, Präsident Bazoum (63) in Niamey festgesetzt und den Zugang zum Palast und mehreren Ministerien gesperrt. Das Büro des Präsidenten drohte zunächst noch, die Armee und die Nationalgarde seien bereit, die Präsidentengarde anzugreifen. Demonstranten zogen vor den Präsidentenpalast, um für Bazoum und die Wahrung der Demokratie zu protestieren. Berichten zufolge wurden Schüsse abgefeuert.

Supporters of Nigerien President Mohamed Bazoum demonstrate in his support in Niamey, Niger, Wednesday July 26, 2023. Governing bodies in Africa condemned what they characterized as a coup attempt Wed ...
Menschen gingen in Niamey auf die Strasse, um gegen den Putsch zu demonstrieren.Bild: keystone

Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

International riefen die Vorgänge noch vor der Verkündung im Fernsehen scharfe Verurteilungen hervor. Unter anderem die Vereinten Nationen, die EU, die USA und die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas forderten eine Freilassung Bazoums und die Rückkehr zur verfassungsmässigen Ordnung. Den Informationen der EU zufolge liefen noch am Abend Verhandlungen mit den Putschisten.

epa10689490 US Secretary of State Anthony Blinken speaks during a reception honoring US Chiefs of Missions, in the East Room at the White House, in Washington, DC, USA, 13 June 2023. EPA/Samuel Corum  ...
Der US-Aussenminister Anthony Blinken verurteilt den Putsch.Bild: keystone

«Wir verurteilen jeglichen Versuch, die Macht mit Gewalt zu ergreifen», sagte US-Aussenminister Antony Blinken am Donnerstag während eines Besuchs in Neuseeland. Die USA seien in Kontakt mit der Regierung des Nigers sowie mit ihren Partnern. Es gebe Bemühungen, die Situation friedlich zu lösen. Erst bei einem Telefonat mit Bazoum am Morgen habe er klargemacht, dass die USA diesen als den demokratisch gewählten Präsidenten des Nigers unterstützten.

Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas hat die von Militärs verkündete Machtübernahme im Niger «auf das Schärfste» zurückgewiesen. Präsident Mohamed Bazoum sei «weiterhin der von der Ecowas anerkannte legitime und rechtmässige Präsident Nigers», teilte die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft am Donnerstag mit. Sie verurteilte «den Putsch, der in völliger Verletzung der demokratischen Grundsätze steht, auf denen die Verwaltung der politischen Macht in der Ecowas-Region beruht». Der Bund koordiniert die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit von 15 Mitgliedsstaaten in Westafrika.

UN-Generalsekretär António Guterres fordert die Freilassung von Präsident Mohamed Bazoum. Die demokratische Führung des Landes dürfe nicht behindert werden und die Rechtsstaatlichkeit müsse geachtet werden, sagte Guterres am Donnerstag in New York.

Der Generalsekretär der Weltorganisation hatte am Mittwoch mit Bazoum gesprochen - dieser habe ihm gesagt, die Situation sei «sehr ernst». Guterres betonte aber, er wisse nicht, wo das Staatsoberhaupt sich aufhalte. Die Vereinten Nationen hätten bislang keinen Kontakt zu den Putschisten aufgebaut.

Nach Angaben von EU-Diplomaten sprachen auch EU-Chefdiplomat Borrell und EU-Ratspräsident Charles Michel am Mittwoch zweimal mit Bazoum, der demnach bis zuletzt mit seiner Familie in seiner Residenz war. Auch UN-Generalsekretär António Guterres sprach mit dem Präsidenten, wie ein Sprecher auf Twitter mitteilte.

Was hat Terrorismus damit zu tun?

Der Niger ist in den vergangenen Jahren in den Mittelpunkt der westlichen Bemühungen gerückt, dem gewaltsamen Vormarsch der Dschihadisten in Westafrika und auch einem wachsenden militärischen Einfluss von Russland entgegenzuwirken. Putsche in den benachbarten Ländern Mali und Burkina Faso seit 2020 gingen mit einer Abwendung von europäischen Partnern und zuletzt der Forderung nach Abzug der UN-Friedensmission zur Stabilisierung Malis einher. Das Dreiländereck wird seit Jahren von Gruppen terrorisiert, die den Terrormilizen Al-Kaida und IS anhängen. Die Sicherheitslage verschlimmert sich zunehmend und bedroht auch bislang stabile, angrenzende Staaten.

Der Niger gehört mit seinen rund 26 Millionen Einwohnern zu den ärmsten Ländern der Welt. Bazoums Amtseinführung im April 2021 war der erste friedliche demokratische Machtwechsel im Land seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich 1960 - wenige Tage vorher kam es noch zu einem Putschversuch, den die Präsidentengarde verhinderte. Bazoum diente unter seinem Vorgänger Mahamadou Issoufou seit 2011 als Aussen- und Innenminister, bis er zur Nachfolge des nach zwei Amtszeiten ausgeschiedenen Issoufou antrat und mit rund 56 Prozent der Stimmen gewann. Issoufou behielt viel Einfluss. Beobachter vermuteten als möglichen Hintergrund auch einen Kampf um Einfluss in Niamey.

Wie steht es um die humanitäre Hilfe?

Die Vereinten Nationen setzen wegen der Sperrung des Luftraums nach dem Putsch ihre humanitären Hilfsprogramme in dem westafrikanischen Land aus. «Das Problem in der Luft ist derzeit, dass unsere humanitären Flüge innerhalb des Landes nicht fliegen können», sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric am Donnerstag in New York. «Unsere humanitären Operationen sind ausgesetzt.»

Wie ist der Zustand im Land?

Die Ereignisse zeigten die Fragilität des Landes, sagte der Regionalbüroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Sahelzone, Ulf Laessing, der Deutschen Presse-Agentur. «Deutschland und Europa haben Millionensummen in Niger investiert, von Militär- bis Entwicklungszusammenarbeit. Die Hilfsprogramme wecken auch Begehrlichkeiten.» Laessing fügte hinzu:

«Ein Coup kann alles ändern und würde auch Russland die Tür öffnen, sich breitzumachen.»

Ausserhalb der grossen Städte ist in Niger der Staat kaum präsent. Von einer Fläche, die dreieinhalbmal so gross wie Deutschland ist, sind zwei Drittel Wüste. Niger hat die höchste Geburtenrate und die jüngste Bevölkerung der Welt - Kinder unter zehn Jahren machen mehr als ein Drittel der Einwohner aus. Mehr als 40 Prozent der Menschen leben in extremer Armut. Zudem ist der Niger eins der wichtigsten Transitländer für Migranten, die das Mittelmeer erreichen wollen. (saw/sda/dpa)

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92 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ChriLu14
27.07.2023 07:32registriert Mai 2022
Stück für Stück werden Demokratien weltweit destabilisiert und gestürzt. Es beginnt mit Verschlechterung der Sicherheitslage durch von aussen unterstützte Dschihadisten, medialer Aufbereitung der Bevölkerung in asolzialen Netzwerken und plötzlich hat man Militärputsche unter der Begleitmusik von Wagnersöldnern oder "ģünstiger" chinesischer Finanzierungen - im Tausch gegen die Bodenschätze des Landes.
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Händlmair
27.07.2023 09:30registriert Oktober 2017
Es ist immer wieder erschreckent in welchen Länder Russland überall seine Finger im Spiel hat.
Die Wagner Gruppe ist in Angola, Guinea, Guinea-Bissau, Kongo, Libyen, Madagaskar, Mali, Mosambik, Simbabwe, Sudan und Zentralafrikansiche Republik aktiv. Dabei geht es vor allem um den illegalen Handel mit Blutdiamanten.
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BroP
27.07.2023 10:18registriert Juni 2021
Wann endlich kapieren wir, dass unsere Entwicklungshilfe zwecklos, gar kontraproduktiv ist und zusätzlich Korruption und Ungleichheit fördert? Problem 1: diese Länder sind auf Grund ihrer Bodenschätze meist Spielball der Grossmächte und Konzerne und es besteht kein wirkliches Interesse, die Situation im Land zu verbessern. 2: was nicht von Innen heraus kommt ist nicht wirklich nachhaltig. So lange Hunger und Armut überwiegen, ist keine Stabilisierung zu erwarten.
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