Nach einer stundenlangen Festsetzung von Nigers Präsident Mohamed Bazoum haben Militärs in dem westafrikanischen Land die Machtübernahme erklärt. Alle Institutionen der Republik seien ausgesetzt und die Landesgrenzen «bis zur Stabilisierung der Situation» geschlossen, verkündete Oberst Amadou Abdramane am späten Mittwochabend im nationalen Rundfunk RTN. Zudem gilt eine nächtliche Ausgangssperre. Die Verlautbarung galt als Vollzug eines Putsches, der unerwartet am Mittwochmorgen mit der Blockade des Präsidentenpalasts in der Hauptstadt Niamey begonnen hatte.
Unbestätigten Berichten zufolge könnte nun der Chef der Präsidentengarde, General Omar Tchiani, die Führung eines Militärrats übernehmen. Wer in dem Land mit etwa 26 Millionen Einwohnern nun tatsächlich die Macht hat, ist aber noch immer offen. Unklar war zunächst, ob die zehn Soldaten im Fernsehen für die gesamten Streitkräfte sprachen.
Am Donnerstag erklärte das Militär schliesslich, die Forderung der Putschisten nach einem Ende der Amtszeit von Präsident Mohamed Bazoum unterstützen zu wollen. Dies teilten die Streitkräfte auf Facebook und Twitter mit.
Der Schritt solle die «körperliche Unversehrtheit des Präsidenten und seiner Familie» gewährleisten sowie eine «tödliche Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Sicherheitskräften» vermeiden.
Das Militär warnte in der Erklärung vor jeglicher militärischer Intervention aus dem Ausland. Diese könnte verheerende Folgen für das Land haben.
Die Armee des Landes hat derzeit rund 25'000 Soldaten. Der Präsidialgarde gehören unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 700 und 1000 Gardisten an.
Präsident Mohamed Bazoum hat zum Erhalt der demokratischen Errungenschaften des Landes aufgerufen.
Les acquis obtenus de haute lutte seront sauvegardés.
— Mohamed Bazoum (@mohamedbazoum) July 27, 2023
Tous les nigériens épris de démocratie et de liberté y veilleront.#MB
«Alle Nigrer, die Demokratie und Freiheit lieben, werden dafür sorgen», schrieb Bazoum am Donnerstag auf Twitter.
Auch Nigers Aussenminister Hassoumi Massoudou hat die meuternden Militärangehörigen aufgerufen, Präsident Mohamed Bazoum freizulassen und ihre Forderungen im Dialog zu klären.
Dem französischen Nachrichtensender France 24 sagte der Minister am Donnerstag: «Wir sind die legalen und legitimierten Autoritäten in Niger.» Er habe ausserdem mit Bazoum gesprochen und erklärte dazu, dass es dem Präsidenten gut gehe.
Nigrische Medien veröffentlichten eine Mitteilung, derzufolge sich auch Oppositionsparteien hinter die Putschisten stellen. Unklar blieb zunächst, welche und wie viele Parteien dahinter standen. «Die ehemalige politische Opposition Nigers, die sich nun in der Union der nigrischen Patrioten - UPN - zusammengeschlossen hat, missbilligt zwar jeglichen verfassungswidrigen Machterhalt oder gewaltsamen Machtwechsel, unterstützt aber die Beweggründe des CNSP ... nämlich die ständige Verschlechterung der Sicherheitslage in unserem Land und die schlechte wirtschaftliche und soziale Regierungsführung», hiess es in dem Schreiben vom Donnerstag.
«Die UPN verpflichtet sich, den CNSP bei seiner Mission zu begleiten, solange es um die Wiederherstellung der nationalen Souveränität, der Würde des nigrischen Volkes, der Rechtsstaatlichkeit, der guten Regierungsführung, der Korruptionsbekämpfung, der Sicherheit von Personen und Gütern, der Gerechtigkeit, der Chancengleichheit für alle und um eine möglichst baldige Rückkehr zur normalen Verfassungsordnung geht», hiess es.
Die Verfasser riefen für Freitag zu Demonstrationen auf. Am Donnerstag hatten Unterstützer des Putsches bei Protesten unter anderem den Sitz der Präsidentenpartei in Niamey angegriffen.
«An diesem Tag, dem 26. Juli 2023, haben die Sicherheits- und Verteidigungskräfte, vereint im Nationalen Rat für die Rettung des Vaterlandes, beschlossen, dem Ihnen bekannten Regime ein Ende zu setzen. Dies ist eine Folge der kontinuierlichen Verschlechterung der Sicherheitslage, der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Regierungsführung», erklärten die Offiziere. Man werde alle Verpflichtungen des Landes achten.
Nach Militärputschen in Mali und Burkina Faso war der Niger das letzte der drei Nachbarländer in der Sahelzone, das von einer demokratisch gewählten Regierung geführt wurde. Erst Ende 2022 hatte die EU eine Militärmission im Niger beschlossen, um den Terrorismus in der Region zu bekämpfen.
Am Mittwochmorgen hatte die Präsidentengarde, eine Eliteeinheit der Armee, Präsident Bazoum (63) in Niamey festgesetzt und den Zugang zum Palast und mehreren Ministerien gesperrt. Das Büro des Präsidenten drohte zunächst noch, die Armee und die Nationalgarde seien bereit, die Präsidentengarde anzugreifen. Demonstranten zogen vor den Präsidentenpalast, um für Bazoum und die Wahrung der Demokratie zu protestieren. Berichten zufolge wurden Schüsse abgefeuert.
International riefen die Vorgänge noch vor der Verkündung im Fernsehen scharfe Verurteilungen hervor. Unter anderem die Vereinten Nationen, die EU, die USA und die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas forderten eine Freilassung Bazoums und die Rückkehr zur verfassungsmässigen Ordnung. Den Informationen der EU zufolge liefen noch am Abend Verhandlungen mit den Putschisten.
«Wir verurteilen jeglichen Versuch, die Macht mit Gewalt zu ergreifen», sagte US-Aussenminister Antony Blinken am Donnerstag während eines Besuchs in Neuseeland. Die USA seien in Kontakt mit der Regierung des Nigers sowie mit ihren Partnern. Es gebe Bemühungen, die Situation friedlich zu lösen. Erst bei einem Telefonat mit Bazoum am Morgen habe er klargemacht, dass die USA diesen als den demokratisch gewählten Präsidenten des Nigers unterstützten.
Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas hat die von Militärs verkündete Machtübernahme im Niger «auf das Schärfste» zurückgewiesen. Präsident Mohamed Bazoum sei «weiterhin der von der Ecowas anerkannte legitime und rechtmässige Präsident Nigers», teilte die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft am Donnerstag mit. Sie verurteilte «den Putsch, der in völliger Verletzung der demokratischen Grundsätze steht, auf denen die Verwaltung der politischen Macht in der Ecowas-Region beruht». Der Bund koordiniert die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit von 15 Mitgliedsstaaten in Westafrika.
UN-Generalsekretär António Guterres fordert die Freilassung von Präsident Mohamed Bazoum. Die demokratische Führung des Landes dürfe nicht behindert werden und die Rechtsstaatlichkeit müsse geachtet werden, sagte Guterres am Donnerstag in New York.
Der Generalsekretär der Weltorganisation hatte am Mittwoch mit Bazoum gesprochen - dieser habe ihm gesagt, die Situation sei «sehr ernst». Guterres betonte aber, er wisse nicht, wo das Staatsoberhaupt sich aufhalte. Die Vereinten Nationen hätten bislang keinen Kontakt zu den Putschisten aufgebaut.
Nach Angaben von EU-Diplomaten sprachen auch EU-Chefdiplomat Borrell und EU-Ratspräsident Charles Michel am Mittwoch zweimal mit Bazoum, der demnach bis zuletzt mit seiner Familie in seiner Residenz war. Auch UN-Generalsekretär António Guterres sprach mit dem Präsidenten, wie ein Sprecher auf Twitter mitteilte.
Der Niger ist in den vergangenen Jahren in den Mittelpunkt der westlichen Bemühungen gerückt, dem gewaltsamen Vormarsch der Dschihadisten in Westafrika und auch einem wachsenden militärischen Einfluss von Russland entgegenzuwirken. Putsche in den benachbarten Ländern Mali und Burkina Faso seit 2020 gingen mit einer Abwendung von europäischen Partnern und zuletzt der Forderung nach Abzug der UN-Friedensmission zur Stabilisierung Malis einher. Das Dreiländereck wird seit Jahren von Gruppen terrorisiert, die den Terrormilizen Al-Kaida und IS anhängen. Die Sicherheitslage verschlimmert sich zunehmend und bedroht auch bislang stabile, angrenzende Staaten.
Der Niger gehört mit seinen rund 26 Millionen Einwohnern zu den ärmsten Ländern der Welt. Bazoums Amtseinführung im April 2021 war der erste friedliche demokratische Machtwechsel im Land seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich 1960 - wenige Tage vorher kam es noch zu einem Putschversuch, den die Präsidentengarde verhinderte. Bazoum diente unter seinem Vorgänger Mahamadou Issoufou seit 2011 als Aussen- und Innenminister, bis er zur Nachfolge des nach zwei Amtszeiten ausgeschiedenen Issoufou antrat und mit rund 56 Prozent der Stimmen gewann. Issoufou behielt viel Einfluss. Beobachter vermuteten als möglichen Hintergrund auch einen Kampf um Einfluss in Niamey.
Die Vereinten Nationen setzen wegen der Sperrung des Luftraums nach dem Putsch ihre humanitären Hilfsprogramme in dem westafrikanischen Land aus. «Das Problem in der Luft ist derzeit, dass unsere humanitären Flüge innerhalb des Landes nicht fliegen können», sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric am Donnerstag in New York. «Unsere humanitären Operationen sind ausgesetzt.»
Die Ereignisse zeigten die Fragilität des Landes, sagte der Regionalbüroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Sahelzone, Ulf Laessing, der Deutschen Presse-Agentur. «Deutschland und Europa haben Millionensummen in Niger investiert, von Militär- bis Entwicklungszusammenarbeit. Die Hilfsprogramme wecken auch Begehrlichkeiten.» Laessing fügte hinzu:
Ausserhalb der grossen Städte ist in Niger der Staat kaum präsent. Von einer Fläche, die dreieinhalbmal so gross wie Deutschland ist, sind zwei Drittel Wüste. Niger hat die höchste Geburtenrate und die jüngste Bevölkerung der Welt - Kinder unter zehn Jahren machen mehr als ein Drittel der Einwohner aus. Mehr als 40 Prozent der Menschen leben in extremer Armut. Zudem ist der Niger eins der wichtigsten Transitländer für Migranten, die das Mittelmeer erreichen wollen. (saw/sda/dpa)
Die Wagner Gruppe ist in Angola, Guinea, Guinea-Bissau, Kongo, Libyen, Madagaskar, Mali, Mosambik, Simbabwe, Sudan und Zentralafrikansiche Republik aktiv. Dabei geht es vor allem um den illegalen Handel mit Blutdiamanten.