Nicht im Nahen Osten, nicht in Südasien, nein, im subsaharischen Afrika starben 2021 die meisten Terrorismusopfer. Diese Region südlich der Sahara beherbergt seither den neuen globalen Hotspot des islamistischen Terrorismus – und die Lage verschlechtert sich zunehmend.
Ende Oktober kam es in Somalia zum schlimmsten Terroranschlag seit fünf Jahren. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich in die Luft und riss 120 Menschen mit in den Tod. Das Tragische: Dieser Anschlag war in diesem Land bloss einer von sechs innerhalb von zwei Monaten. Zudem ist Somalia bei weitem nicht das einzige Land, in welchem sich der islamistische Terror immer weiter auszubreiten droht.
Drei Gebiete in Afrika haben derzeit besonders mit der Präsenz von Extremisten zu kämpfen. Wie es dazu kam, was die Regionen so anfällig macht und was gegen die zunehmende Bedrohung getan werden sollte.
Afrika bietet über 446 Millionen Muslimen eine Heimat – das ist fast ein Drittel aller Muslime weltweit. So ist es an sich nicht überraschend, dass hier islamistische Terroristen besonders aktiv sind. Nebst dem zum Feind erklärten Westen, sind ihnen nämlich vor allem andersdenkende Muslime ein Dorn im Auge. Dennoch erfahren Anschläge auf dem afrikanischen Kontinent nicht dieselbe Aufmerksamkeit, wie das diejenigen in der westlichen Welt, dem Nahen Osten oder Südasien tun. Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass nur ein Bruchteil aller Terrorismusopfer auf europäischem Boden getötet wurden.
Auffallend ist zudem der Höhepunkt der Terrorismustoten in den Jahren 2014 bis 2016, die auf den Nahen Osten und Nordafrika fallen.
Dieser Höhepunkt ist vor allem dem islamischen Staat in Syrien und im Irak geschuldet. Er kontrollierte 2014 einen grossen Teil beider Länder, wo er das sogenannte islamische Kalifat errichtete. Mit vereinten Kräften gelang es einer internationalen Militärkoalition unter der Führung der USA 2017 den IS zu bezwingen. Ganz eliminieren konnten sie ihn jedoch nicht. Kleinere Zellen blieben vor Ort weiterhin aktiv, andere siedelten um.
Letztere nahmen eine neue Region ins Visier: den Süden Afrikas. Terrorismus war dem Kontinent zu diesem Zeitpunkt bereits kein Fremdwort mehr, wie auch die obige Statistik zeigt.
Der erste islamistische terroristische Angriff in Afrika ereignete sich im November 1997, als 62 Menschen (davon 36 Schweizer Touristen) beim Hatschepsut-Tempel in Ägypten getötet wurden. Wie die Schweizer Bundespolizei später bekannt gab, soll Osama bin Laden die Attacke finanziert haben. Dieser erlangte im August 1998 grössere Bekanntheit, als innerhalb weniger Minuten zwei Bomben in den amerikanischen Botschaften in Nairobi, Kenya, und in Dar es Salaam, Tansania, explodiert waren. 224 Menschen wurden getötet, 5000 weitere wurden verletzt. Die Terrororganisation Al-Kaida bekannte sich unter der Führung von bin Laden zum Anschlag.
Spätestens aber nach dem Anschlag vom 11. September 2001 auf das World Trace Center in den USA – ebenfalls unter der Führung bin Ladens – wurde Afrika wieder zu einem Nebenschauplatz des Terrorismus. Die Bedrohung war damit allerdings nicht gebannt. Im Jahr darauf fragte sich deshalb das Deutsche Institut für Internationale Politik und Sicherheit: «Droht Afrika zu einem Brennpunkt des internationalen Terrorismus zu werden?» In der entsprechenden Publikation führen sie ihre Antwort aus:
Zudem böten schwache und zerfallende Staaten Afrikas exzellente Rückzugsräume, während die Ineffektivität staatlicher Sicherheitsorgane ein günstiges Umfeld für die Ausführung von Anschlägen schaffe. Also: Fruchtbarer Boden für terroristische Machenschaften.
Genauso ist es eingetroffen: Mit dem Aufstieg und Zerfall des IS in Syrien und Irak breitete sich der Terrorismus immer mehr in und nach Afrika aus. Wurden 2015 noch 381 Terrorattacken mit 1394 Toten registriert, waren es 2020 bereits 7108 Attacken mit 12'519 Toten.
Afrika-Experte Martin Ewi fand gegenüber dem UN-Sicherheitsrat im August klare Worte: Wenn es so weitergehe, könnte der Kontinent die Zukunft des Kalifats werden. Der Islamische Staat habe seinen Einfluss in Afrika «ins Unermessliche ausgeweitet.» So seien mindestens 20 Länder direkt von den Aktivitäten der Gruppe betroffen, während 20 weitere für logistische Zwecke und Mobilisierung von Geldern genutzt würden.
War im Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak eine von den USA geführte Militärkoalition gebildet worden, geschah in Afrika nichts dergleichen, kritisiert Ewi. Gleichzeitig hätten die afrikanischen Staaten zu spät auf die terroristischen Bedrohungen reagiert. Oft waren sie bereits selbst in politische Machtkämpfe verstrickt. So sei Afrika für flüchtende Extremisten aus Syrien zu einem sicheren Hafen geworden.
Die Extremisten tummeln sich vor allem an drei Hotspots: im Tschadseebecken, in der Sahelzone und in Somalia. In diesen Gebieten sind die Grenzen zwischen Dschihadismus, organisierter Kriminalität und lokaler Politik besonders schwer zu ziehen. Genau das machen sich die Terroristen zunutze. Ein Blick auf die drei Hotspots.
Bei der Sahelzone handelt es sich um eine langgestreckte Zone, welche die Wüste Sahara im Norden von der Trockensavanne im Süden trennt. Im engeren Sinne umfasst der Sahel Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad. Seit 2015 bilden diese fünf Staaten den G5 Sahel. Eine Organisation, die zur Koordination der Entwicklungspolitik und Sicherheit ins Leben gerufen wurde.
Was die Sicherheit betrifft, konnte die Organisation zumindest was den Terrorismus betrifft keine Erfolge verzeichnen. Im Gegenteil: Im Sahel hat sich die Zahl der gewalttätigen, extremistischen Vorfälle seit 2019 vervierfacht.
Diese Zone, südlich der Sahara-Wüste, beherbergt den globalen Terrorismus Hotspot. Die Zahlen sprechen für sich: Laut des «Global Terrorism Index 2022» starben hier weltweit ein Drittel aller Terrorismusopfer im Jahr 2021. Für die meisten Todesfälle bei Zivilisten war die militante islamistische Gruppe ISGS (Islamischer Staat in der grösseren Sahara) verantwortlich.
Während die Gründe für Gewalt und Aufstände in Afrika vielfältig sind, so sind sie in der Sahelzone ähnlich. Länder wie Mali, Niger und Burkina Faso sahen in den letzten Jahrzehnten eine schwache Regierung nach der anderen: Geprägt von Korruption, Straffreiheit und fehlender Sicherheit für die Bevölkerung. Das Militär dort ist schlecht ausgebildet, unterbezahlt und wird vom Machthaber fast ausschliesslich für den eigenen Schutz eingesetzt.
Die Feindseligkeiten zwischen vernachlässigten Gesellschaften und den Regierungen stellen ein permanentes Problem dar. Korrupte Machthaber treiben die Radikalisierung in der Bevölkerung, sowie die Ausbreitung krimineller Gruppen voran – für islamistische Terroristen fruchtbarer Boden. Sie locken die Bevölkerung mit konkreten Versprechen: mit Geld und dem Paradies nach dem Tod.
Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell warnte im August vor der sich ausbreitenden terroristischen Bedrohung im Sahel. Er schlägt mit seiner Kritik in dieselbe Kerbe wie Afrika-Experte Martin Ewi:
Somalia, ein Land am Horn von Afrika mit etwa 16 Millionen Einwohnern, wird seit Jahren von Anschlägen und Gewalt erschüttert. Grund dafür ist die politische Instabilität, welche durch die anhaltenden Konflikte zwischen Warlords, zwischen ethnischen Gruppierungen, sowie den Einfluss der islamistischen Terrormiliz Al Shabaab verursacht wird. Auch wenn in Somalia der Anstieg an terroristischen Attacken nicht ganz so hoch ist wie in der Sahelzone, so ist er doch vorhanden.
Seit mehreren Monaten geht die Regierung in Mogadischu mit einer militärischen Offensive gegen Al-Shabaab vor. Die Miliz ist seit 2006 die dominierende extremistische Organisation am Horn von Afrika, wo sie weite Teile der Region Zentralsomalia sowie den Süden des Landes beherrscht. Mit Unterstützung von bewaffneten Clans konnte das somalische Militär zuletzt grosse Gebietsgewinne erreichen. Die Terrormiliz konzentrierte sich daher zuletzt vermehrt auf Terroranschläge auf Regierungsmitglieder und Clanälteste. Ihr Ziel ist es, am Horn von Afrika einen islamischen Staat zu errichten.
Experten zufolge schliessen sich viele junge Männer den Extremisten weniger aus religiöser Überzeugung als aus finanziellen Gründen an. Zudem greife die Miliz oft Dörfer an und zwinge die Bewohner, einen Treueeid abzulegen. Eine rund 22'000 Mann starke Truppe der Afrikanischen Union (AU) unterstützt die somalischen Streitkräfte im Kampf gegen die Terroristen.
Auch im Tschadseebecken werden die Terroristen von politischer Instabilität angelockt, allerdings gesellen sich hier noch die Folgen des Klimawandels hinzu. Der Tschadsee war einst ein Binnensee, der sich über eine Fläche von 25'000 Quadratkilometern erstreckte. Insbesondere schwere Dürren in den 1970er und 1980er Jahren trockneten den See aus, der heute nur noch 1'500 Quadratkilometer umfasst.
Das Problem der Wasserknappheit hat sich mit dem Bevölkerungswachstum rund um das Seebecken noch mehr verschärft: Seit den 80er Jahren hat sich diese nämlich verdreifacht und umfasst nun über 30 Millionen Menschen. Diese leiden unter Armut, Hunger und schlechter Sicherheit, wodurch sie zur Zielscheibe der Terrorgruppe Boko Haram geworden sind. Die Gruppe macht sich die Notlage der Menschen zunutze, um neue Mitglieder zu rekrutieren. Seit Jahren kämpft die Gruppe für die Errichtung eines Gottesstaates und gegen westliche Bildung, Christen und Muslime, die sie nicht unterstützen.
2015 warnte der damals amtierende Verteidigungsminister Nigers, Mahamadou Karidjo, vor dem Einfluss der Terrorgruppe. Sie würden die perspektivlosen Jugendlichen unter Drogen setzen, indoktrinieren und in die Dörfer zurückschicken, wo sie den Terror weiterverbreiteten.
Nebst dem ausgetrockneten Tschadsee seien die Boko Haram für den am 1. Juni ausgerufenen «Nahrungsmittel- und Ernährungsnotstand» im Tschad verantwortlich, klagt die Regierung. Sie stehlen Nahrung oder hindern Bauern daran, zu ihrem Land zu gelangen.
Eigentlich ist die militante islamistische Gewalt im Tschadseebecken im letzten Jahr um 33 Prozent zurückgegangen. Nun könnte sich dieser Trend wieder umkehren: Im angrenzenden Nigeria ordnete die USA Ende Oktober wegen eines erhöhten Terror-Risikos die Abreise von allem nicht dringend benötigten diplomatischen Personal aus Nigerias Hauptstadt Abuja an.
In seiner Erklärung hat das US-Aussenministerium keine genaueren Details zur Bedrohung angegeben. Auf den Länderinformationen des Ministeriums wird allerdings gewarnt, Terroristen könnten mit wenig oder ohne Vorwarnung angreifen und etwa auf Einkaufszentren, Märkte, Hotels oder Schulen abzielen.
Auch das EDA schreibt in seinen Reisehinweisen, dass im ganzen Land die Gefahr von terroristischen Akten bestehe. Von Reisen in gewisse Regionen wird abgeraten. In den südlichen und südöstlichen Landesteilen und in der nördlichen Landeshälfte bestehe die Gefahr von Entführungen. Abuja galt bisher als sicher. Doch Aufständische, die mit der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Verbindung stehen, haben sich in den letzten Monaten zu mehreren Anschlägen in umliegenden Gebieten bekannt.
Die Lage ist verzwickt. Der Terrorismus trifft im Afrika südlich der Sahara auf instabile Regierungen, unzufriedene Gesellschaften und die drastischen Folgen des Klimawandels. Sowohl die Machthaber als auch die Gesellschaften sind im Angesicht von Not häufig entweder für die Ideologie oder die Ressourcen der islamistischen Gruppen anfällig. Dabei verhindert oft die Korruption der Regierung eine erfolgreiche Bekämpfung der Terroristen.
Internationale Hilfe scheint nicht zu fruchten. So verkündete beispielsweise der französische Präsident Emmanuel Macron Anfang November das Ende der Militäroperation Barkhane. Die Operation begann 2014 und hatte die Bekämpfung des transnationalen, islamistischen Terrorismus im Sahel zum Ziel. Wie die Zahlen gezeigt haben, war die Operation nicht erfolgreich.
Wie Josep Borrell von der Europäischen Kommission kritisiert, reichen militärische Einsätze nicht, um den Terrorismus nachhaltig zu bekämpfen:
Auch für den Experten Isaac Kfir vom Institut für Ökonomie und Frieden ist es keine Überraschung, dass Militäroperationen bisher gescheitert sind:
Ein Eingreifen mit systemischen Lösungen ist laut Kfir notwendig. Mit richtiger Unterstützung und Assistenz könnte das subsaharische Afrika Wachstum und Entwicklung sehen.
Das Potenzial wäre eigentlich vorhanden.
Ich muss gestehen, dass ich mich zu wenig mit den Problemen im Afrikanischen Kontinent befasse.
Helfen: USA, Frankreich und Deutschland
Waffen und Wagner Söldner liefern: Russland (um den Krieg in der Ukraine zu finanzieren)