In der amerikanischen Politlandschaft ist seit einiger Zeit ein paradoxes Phänomen zu beobachten: In Umfragen schneiden die Demokraten, insbesondere Präsident Joe Biden, Mal für Mal miserabel ab. In den regulären Wahlen hingegen schwingen sie ebenso regelmässig oben auf.
Sehr deutlich war dieses Phänomen bei den Zwischenwahlen 2022 zu beobachten. Die meisten Demoskopen prophezeiten damals eine «rote Welle», einen überwältigenden Sieg der Republikaner. Daraus wurde bekanntlich nichts. Speziell die von Donald Trump unterstützten Kandidaten fielen mehrheitlich durch.
Gestern hat sich dies erneut bestätigt. In mehreren Bundesstaaten haben sich die Hoffnungen der Republikaner einmal mehr zerschlagen:
Insbesondere die Niederlage in Virginia tut der Grand Old Party sehr weh. Dort hatte Glenn Youngkin, ein reicher Financier, vor zwei Jahren einen überraschenden Sieg für die Republikaner errungen. Mit breiter Unterstützung der konservativen Medien und unter Einsatz grosser finanzieller Mittel wollte er die Mehrheit in beiden Kammern erringen, um damit seine politische Agenda – Abtreibungsverbot nach 15 Schwangerschaftswochen, Kampf gegen Wokeness an den Schulen – in Praxis umzusetzen. Daraus wird nun nichts.
Ebenfalls abschminken kann sich Youngkin, zumindest vorläufig, allfällige Ambitionen auf das Weisse Haus. Damit hat er geflirtet, unterstützt von reichen Mäzenen der GOP wie der Verleger Rupert Murdoch und Charles Koch. Diese sind unglücklich mit Donald Trump und haben auch eingesehen, dass Ron DeSantis keine valable Alternative sein kann.
Nach dieser Schlappe kann sich Youngkin jedoch frühestens in vier Jahren für das höchste Amt bewerben. «Nur wenn die Republikaner beide Kammern erobert hätten, wäre dieser Anspruch gerechtfertigt gewesen», erklärt Larry Sabato, Politologe an der University of Virginia, in der «New York Times».
Präsidiale Ambitionen hegen kann hingegen Andy Beshear. Er ist erst 45 Jahre als. Mit seinem Sieg in Kentucky ist er über Nacht zu einem neuen Hoffnungsträger der Demokraten geworden, hat er doch vorgemacht, wie sie auch in einem sehr konservativen Bundesstaat siegen können. Im Bundesstaat Ohio schliesslich hat sich gezeigt, dass die Republikaner mit ihrer harten Abtreibungspolitik völlig neben den Schuhen liegen. Auch hier haben vor allem die Wählerinnen eine massive Einschränkung der Freiheit der Frauen deutlich abgelehnt, wie übrigens zuvor verschiedene, ebenfalls konservative Bundesstaaten.
Das Weisse Haus reagierte umgehend auf die Wahlresultate von gestern. «Quer durch das ganze Land hat die Demokratie heute gewonnen und MAGA verloren», liess Biden per soziale Medien verlauten. «Die Wähler wählen, die Umfragen nicht. Lasst uns jetzt die Wahlen nächstes Jahr gewinnen.»
Damit spielt der Präsident auf die Reaktionen an, welche eine Umfrage der «New York Times» vom vergangenen Wochenende ausgelöst hatte. Diese besagt, dass Trump in fünf von sechs Swing States – Georgia, Arizona, Michigan, Pennsylvania und Nevada – die Nase vor Biden hat, zum Teil deutlich. Dieses Resultat hat die Demokraten aufgeschreckt, ja teilweise in Panik versetzt. David Axelrod, der ehemalige Chefstratege von Barack Obama, hat den Präsidenten aufgrund dieser Umfrage gar aufgefordert, auf eine Wiederwahl zu verzichten und einem jüngeren Kandidaten oder Kandidatin Platz zu machen.
Die schlechten Umfragewerte Bidens, respektive die guten von Trump, sind tatsächlich nur schwer zu erklären. Trump konnte seinerzeit davon profitieren, dass er eine von Obama sanierte Wirtschaft übernehmen konnte. Biden hingegen musste eine durch eine von der Pandemie aus der Bahn geworfene Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht bringen.
Die Mehrheit der Ökonomen attestiert, dass die Biden-Regierung diesbezüglich einen hervorragenden Job gemacht hat. Nicht nur konnte eine Rezession, ja gar eine Depression vermieden werden. Die amerikanische Volkswirtschaft steht im internationalen Vergleich ausgezeichnet da. Im letzten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt um 4,9 Prozent gewachsen. Allen Unkenrufen, und vor allem allen Leitzinserhöhungen der Fed zum Trotz, sind zudem massenhaft neue Jobs entstanden.
Bidens Problem liegt in der Wahrnehmung. Ökonomische Zusammenhänge einem breiten Publikum zu vermitteln, ist extrem schwierig. (Glaubt mir, ich weiss, wovon ich spreche.) Das gilt speziell, wenn es um die Inflation geht. Diese ist in den letzten beiden Jahren tatsächlich sprunghaft angestiegen. Der Grund liegt darin, dass die globalen Lieferketten zerbrochen sind, und ein Absturz in eine Rezession mit massiven Hilfspaketen verhindert werden musste.
Dies ist auch gelungen, doch der Preis dafür war eine höher als erwartete Inflation. Obwohl diese inzwischen am Abklingen ist – gemäss den jüngsten Zahlen liegt sie derzeit bei 3,7 Prozent –, ist die Teuerung für die Konsumenten nach wie vor spürbar, vor allem beim Benzinpreis und bei Produkten wie Milch, Eier und Schinken. Der Durchschnitts-Amerikaner macht dafür die Regierung verantwortlich. Dass die Inflation der Preis dafür ist, dass die Wirtschaft sich über Wasser halten konnte, weiss er nicht – und will es auch nicht wissen.
Dazu kommt, dass die Stimmung in den USA derzeit generell suboptimal ist. Nicht nur die Inflation verunsichert die Menschen, auch eine relative hohe Kriminalität, die massive Zuwanderung, die vielen Obdachlosen und die Drogenwelle schlagen aufs Gemüt. Obwohl er nur teilweise dafür verantwortlich ist, muss Biden dafür geradestehen.
Es ist sehr schwierig, gegen den allgemeinen Blues anzukämpfen. «Wenn die Amerikaner pessimistisch gestimmt sind, wird die Schuld dem Präsidenten zugeschoben», stellt Michelle Cottle in der «New York Times» fest. «Das Ausmass, in dem sie von Bidens Politik profitiert haben, spielt keine Rolle, speziell was wirtschaftliche Themen betrifft. Und merke: Man kann nicht mit den Gefühlen der Wähler argumentieren. [...] Wer dies versucht, steht als überheblicher Depp da.»
Allerdings: An der Urne scheut die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler vor der MAGA-Meute zurück. Das hat sich gestern einmal mehr bewahrheitet, und das lässt die Demokraten Mut schöpfen. Dazu kommt, dass die Republikaner keinerlei Anzeichen zeigen, ihrerseits aus ihren Fehlern zu lernen. Im Gegenteil: Sie werden in Sachen Abtreibung und Waffengesetze immer extremer – und damit unwählbarer.
Dazu kommt, dass der Sieg des pragmatischen Beshear in Kentucky den Demokraten einen Weg aufgezeigt hat, wie sie Trump und die MAGA-Meute in einem Jahr schlagen können. Der wiedergewählte Gouverneur hat vor allem die Verdienste der Regierung betont, die billigeren Medikamente, die Investitionen in die Infrastruktur und die neuen Arbeitsplätze, welche eine riesige Batteriefabrik bringen wird.
Simon Rosenberg, ein demokratischer Stratege, erklärt denn auch gegenüber der «Financial Times»: «Wir wissen, dass die Zustimmungswerte für Biden zunehmen, wenn die Menschen informiert sind. Dafür sind Kampagnen bestimmt. Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Geschichte erzählen können.»