Die Rumänen haben den Rechtsextremisten George Simion nicht zum Präsidenten gewählt. Das ist eine gute Nachricht für Rumänien und eine gute für Europa. In den letzten zwei Wochen musste man sich damit vertraut machen, dass ein Rechtsextremist an die Spitze des siebtgrössten Mitgliedslandes der Europäischen Union kommen könnte. Es schien sogar sehr wahrscheinlich.
Denn Simion hatte den ersten Wahlgang mit 41 Prozent gewonnen. An zweiter Stelle landete der liberale Bürgermeister der Hauptstadt Bukarest, Nicușor Dan, mit 21 Prozent. Dieser Nicușor Dan hat binnen zwei Wochen den gewaltigen Rückstand nicht nur aufgeholt, er hat Simion mit 54 Prozent überflügelt. Wie ist das zu erklären?
Die Wahl zwischen Simion und Dan war eine Richtungsentscheidung. Mit Simion als Präsident hätte sich Rumänien aus der europäischen Verankerung gelöst. Damit ist nicht ein Austritt Rumäniens aus der EU gemeint, sondern seine Orbánisierung, also der Umbau des politischen Systems zu einer illiberalen Demokratie nach dem Muster Ungarns. Dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ist es gelungen, ein autoritäres Regime innerhalb der Europäischen Union zu errichten.
Simion verfolgt ein ähnliches Ziel. Davor hat sich eine Mehrheit der Rumäninnen und Rumänen offenbar gefürchtet. Deshalb sind sie zahlreicher als im ersten Wahlgang zur Urne gegangen. Die Wahlbeteiligung lag mit 63 Prozent um gute zehn Prozentpunkte höher. Diese Mobilisierung hat Dan genutzt, dem liberalen, proeuropäischen Kandidaten.
Diese Pro-Europa-Entscheidung der Rumänen hat auch einen sicherheitspolitischen Aspekt. Rumänien teilt eine 600 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine. Es spürt die Folgen des russischen Angriffskriegs deutlich. Obwohl Rumänien Mitglied der Nato ist, greift seit Beginn des russischen Angriffs auf das Nachbarland vor mehr als drei Jahren ein Gefühl der Unsicherheit um sich.
Die Wahl Donald Trumps ins Weisse Haus hat dies noch verstärkt. Denn Trump sät Zweifel an seiner Bündnistreue. Im Wahlkampf hatte er in Richtung der europäischen Nato-Mitglieder gesagt: «Wenn sie nicht zahlen, dann können die Russen mit ihnen machen, was sie wollen. Ich werde sie nicht beschützen!» Solche Sätze führen in Rumänien zu besonders schweren Erschütterungen. Denn Russland ist nahe. Der Krieg ist nahe.
Die Rumänen haben mit der Wahl Dans für das europäische Haus entschieden, weil sie sich davon Schutz versprechen. Sie wollten offenbar nicht einem Kandidaten wie Simion die Stimme geben, der behauptet: «Russland ist keine Gefahr.» Sie wollten ihn nicht zum Präsidenten, weil sie das genau andersherum sehen: Russland ist eine Gefahr für uns. Sie wissen, dass der rumänische Präsident in der Aussen- und Sicherheitspolitik über grosse Kompetenzen verfügt. Simion im Präsidentenamt ist in den Augen einer Mehrheit der Menschen im Land ein Risikofaktor.
Rumänien hatte seit jeher ein sehr distanziertes Verhältnis zu Russland. Auch wenn Simion jetzt unterlegen ist, bleibt deshalb doch die Frage: Wie konnte ein Mann wie Simion, der Russland hofiert, in einem so russlandskeptischen bis russlandfeindlichen Land auf 45 Prozent der Stimmen kommen?
Die drei rechtsextremistischen Parteien AUR (Simions Partei), S.O.S. und Pot hatten bei den rumänischen Parlamentswahlen im vergangenen Jahr mehr als 30 Prozent der Stimmen erreicht. Simion konnte also schon mit beträchtlichem Rückhalt bei den Wählern rechnen. Doch er hat weit über seine Lager hinaus Stimmen gewonnen. Das sind Wähler, die ihre Unzufriedenheit mit dem System ausdrücken wollten.
Es gibt tatsächlich viele gute Gründe für Wut und Zorn auf die Eliten des Landes. Die beiden traditionellen Parteien – die Sozialdemokraten und die Nationalliberalen – haben seit dem Sturz der kommunistischen Diktatur vor mehr als 30 Jahren den Staat kolonisiert. Er ist durchsetzt von den Eigeninteressen dieser Parteien, ausgehöhlt von ihrer Gier, geschwächt durch ihr Machtstreben. Das System, von dem viel die Rede ist, das ist der Staat als Gutshof.
Simion hat sich erfolgreich als Antisystemkandidat positioniert. Sein Pech: Auch Nicușor Dan ist ein Antisystemkandidat – und offenbar für viele Rumäninnen und Rumänen der weitaus überzeugendere.
Dan hat sich als Bürgermeister von Bukarest tapfer gegen die Gier der Immobilienhaie geschlagen. Er hat, wo er nur konnte, gegen die Korruption angekämpft und verspricht den Rumänen jetzt einen sauberen Staat.
Simion hat dagegen nur radikale Sprüche anzubieten – das reichte nicht, bei Weitem nicht. Rumänien hat mit der Wahl Dans eine Chance bekommen, das System zu brechen und damit die rumänische Demokratie zu festigen. Das ist bitter notwendig.
Denn die Niederlage Simions ist nur eine Etappe in einem langen Kampf zwischen Autoritären und Liberalen. Schon morgen wird er fortgesetzt, das weiss auch der frisch gewählte Präsident Nicușor Dan.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.
Aber zum Glück hat sich der Kandidat durchgesetzt, der tatsächlich etwas gegen das korrupte System macht. Und nicht wie Trump in den USA über Korruption klagt, um dann selber korrupter zu sein als alle vor ihm.