Die Abstimmung stand auf Messers Schneide, jede Stimme zählte. Da rollten die Demokraten ihren Abgeordneten Al Green buchstäblich direkt vom Krankenbett in den Saal. Der Texaner gab die entscheidende Stimme ab und verhalf so seiner Partei zu einem wichtigen Sieg.
Worum ging es? Die Republikaner wollten Alejandro Mayorkas, den Minister für innere Sicherheit, einem Impeachment-Verfahren unterziehen. Inhaltlich eine Übung in absoluter Lächerlichkeit, denn Mayorkas ist weder korrupt, noch hat er Verrat begangen. Es handelte sich somit um ein reines Polit-Schmierentheater, das jedoch von grosser symbolischer Bedeutung war. Es ging darum, der amerikanischen Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass die Republikaner mit einer hauchdünnen Mehrheit ihre Anliegen durchbringen können.
Jetzt stehen sie da wie begossene Pudel, allen voran ihr Speaker Mike Johnson. «Nancy Pelosi wäre das niemals passiert», muss er sich nun von allen Seiten anhören. Tatsächlich hat die ehemalige Speakerin der Demokraten eines verstanden: Sie wusste, wie man Stimmen zählt. Und sie wusste auch, dass man niemals in eine wichtige Abstimmung steigt, ohne nicht exakt zu wissen, wie die Stimmenverhältnisse liegen.
Johnson hingegen war bis vor kurzem noch ein Hinterbänkler aus dem Südstaat Louisiana. Ausser dass er sehr fromm und sehr nett ist, war wenig über ihn bekannt. Speaker wurde er, weil die zerstrittene Grand Old Party (GOP) ihn als Verlegenheitskandidaten dazu kürte. Jetzt zeigt sich, dass er diesem nicht ganz einfachen Amt nicht gewachsen ist. Ganz offensichtlich ist er eine Marionette von Donald Trump und dessen Helfern im Kongress. Und eben: Er kann nicht einmal zählen. Nach der Schlappe im angestrebten Impeachment-Verfahren musste er gleich eine zweite Niederlage einstecken. Auch ein Gesetz, das nur ein Hilfspaket an Israel vorsah, scheiterte.
In der amerikanischen Politik wird gerne der Vergleich gemacht mit dem sprichwörtlichen Hund, der dem Auto nachrennt, und wenn er es eingeholt hat, nicht weiss, was er damit anfangen soll. Dieser Vergleich beschreibt die aktuelle Lage der Senatoren der GOP trefflich. Wie wild haben sie für ein härteres Gesetz an der Grenze gekämpft. Jetzt haben die Demokraten diesem Begehren nachgegeben und sind bereit, einem überparteilich ausgehandelten Paket gegen die illegale Zuwanderung zuzustimmen.
Die Kompromisse, welche die Demokraten gewillt sind einzugehen, gehen weit darüber hinaus, was sich die Republikaner bisher zu erträumen gewagt haben. Das Gesetzespaket ist auch dringend nötig, denn die Lage an der Grenze zu Mexiko ist tatsächlich ausser Kontrolle geraten.
Die Senatoren lehnen dieses unerwartete Geschenk jetzt aber ab, einzig, weil Trump sie dazu zwingt. Der Ex-Präsident verurteilt das Paket, ohne es zu kennen und aus einem offensichtlichen Grund: Er will Chaos an der Grenze, um sich im November als Retter aufspielen zu können.
Selbst in der eigenen Partei stösst dieses durchsichtige Manöver auf Widerstand. James Lankford, ein konservativer Senator aus Oklahoma, der für die GOP verhandelt hat, erklärt nun frustriert: «Vor einem Jahr haben wir erklärt, wir müssten die Gesetze ändern. Nun sagen wir: ‹Das war alles nur Spass. Wir müssen die Gesetze gar nicht ändern. Wir müssen bloss die bestehenden Gesetze anwenden.›»
Auch die konservativen Meinungsmacher des «Wall Street Journal» schütteln den Kopf. «Sollten die Republikaner dieses Gesetz ablehnen, dann öffnen sie den Demokraten Tür und Tor für das Argument, sie würden das Chaos an der Grenze absichtlich wollen.»
Inzwischen ist klar, dass das Gesetz im Senat keine Chance hat – und dass die Demokraten den Steilpass dankend annehmen. In einer kämpferischen Rede hat Präsident Joe Biden erklärt: «Wenn das Gesetz scheitert, dann weiss ich eines mit Sicherheit: Die Menschen in Amerika werden wissen, wer dafür verantwortlich ist. Zwischen heute und dem November werden wir sie daran erinnern, dass Donald Trump und die MAGA-Meute das Chaos an der Grenze verursacht haben.»
Wegen dieses Gesetzes ist auch unter den Senatoren der GOP ein Konflikt entstanden. Weil ihr Anführer Mitch McConnell dieses Gesetz begrüsst hat, fordern Hardliner wie Ted Cruz einmal mehr seinen Rücktritt. Cruz dürfte mit seinem Anliegen keinen Erfolg haben. Hingegen scheinen die Tage der Vorsitzenden der GOP, Ronna McDaniel, gezählt zu sein. Sie soll sich bereit erklärt haben, nach den Vorwahlen in South Caroline zurückzutreten. Diese finden am 24. Februar statt.
McDaniel wird für die missliche finanzielle Situation, in der sich die GOP befindet, verantwortlich gemacht. Ein Fall von poetischer Gerechtigkeit, denn sie ist eine treue Anhängerin von Trump, und es ist gerade Trump, der für die finanzielle Misere sorgt: Der Ex-Präsident saugt den grössten Teil der Spenden für sich selbst ab und verwendet einen guten Teil davon, seine exorbitanten Anwaltskosten zu begleichen.
Nicht nur auf nationaler Ebene haben die Republikaner Krach in der Geschäftsleitung. Im Bundesstaat Michigan ist wegen interner Streitereien derzeit nicht einmal klar, wer den Parteivorsitz innehat. In Arizona wurde der Vorsitzende nach einem Disput mit Kari Lake, der verhinderten Gouverneurin, abgesetzt; und in Florida musste der Vorsitzende nach einem Sexskandal der üblen Art zurücktreten.
Passend zu den Chaos-Tagen der GOP ist das Urteil, das das Berufungsgericht in Washington D.C. gefällt hat. Die drei Richterinnen haben das Begehren Trumps nach absoluter Immunität in Bausch und Bogen verworfen und entschieden, dass auch ein Präsident zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn er im Amt eine Straftat verübt.
Dieses Urteil ist allgemein erwartet worden, zu absurd war Trumps Forderung. Es hat zwar länger gedauert als erhofft, aber im Gegenzug dürfte es dem Ex-Präsidenten schwerfallen, sein Ziel zu erreichen, das Verfahren möglichst lange hinauszuzögern und so einen Prozess noch vor den Wahlen zu verhindern. Die Richterinnen des Berufungsgerichts haben nicht nur einstimmig entschieden, sie haben auch jeden nur denkbaren Einwand gegen diesen Entscheid vorweggenommen.
Daher ist es unsicher, ob das Oberste Gericht diesen Fall überhaupt behandeln will, und wenn, dann muss Trump sich sputen. Bis zum kommenden Montag muss er seine letzte Karte in diesem Game ausspielen und den Supreme Court anrufen. Ansonsten wird der derzeit auf Eis gelegte Prozess wegen seiner Rolle beim Sturm auf das Kapitol wieder aufgenommen.
Nur noch Schein statt Sein. Rückgratlos populistisch. Keine Haltung aus innerer Überzeugung mehr. Alles nur auf Lug und Trug gebaut. Ganz im Sinne des grossen Zampanos... Trump.