Israel ist ein Vorzeigeland in dieser Pandemie. Nicht unbedingt im Sinne eines guten Beispiels der Pandemiebewältigung, wohl aber im Sinne eines Fensters in die Zukunft.
Im Frühling konnte man in Israel sehen, dass die mRNA-Impfungen gut funktionieren. Nun stellt sich die Frage, ob dieser Schutz schon wieder verblasst.
Grund dafür sind steigende Coronazahlen im Land, welche wir uns gleich im Detail anschauen werden. Dies hat die Regierung dazu veranlasst, neue Beschränkungen im Reise- und Veranstaltungsbereich zu treffen. Auch wird seit vergangenem Sonntag eine dritte, sogenannte Booster-Dosis des Pfizer-Vakzins an über 60-Jährige verabreicht. Es wird befürchtet, dass die Impfwirkung schon wieder nachlässt. Dies ist jedoch umstritten bei Experten.
Zuerst also ein Blick auf die Statistik. Die Fallzahlen in Israel stiegen in den letzten Tagen sprunghaft an. Nachdem Ende Juni noch rund 200 Fälle pro Tag registriert wurden, waren es Anfang dieser Woche schon fast 4000. Die Impfquote stieg seither nur ganz langsam, von 55 auf knapp 58 Prozent.
Die Delta-Variante hat sich dabei auch in Israel vollständig durchgesetzt. Sie macht fast 100 Prozent aller Neuinfektionen aus.
Die Anzahl schwerkranker Patienten schien lange Zeit relativ unbeeindruckt von den steigenden Fallzahlen zu sein, doch vor zwei Wochen drehte der Wind. Mittlerweile steigt auch die Anzahl Patienten in den Spitälern sprunghaft an. Interessant dabei: Auch die Inzidenz der vollständig Geimpften steigt kräftig – von fast null auf mittlerweile knapp elf Personen pro 100'000 Einwohner.
Das ist jedoch immer noch weit unter der Quote der Ungeimpften. Diese liegt bei 48,3 schwerkranken Personen pro 100'000 Einwohner. Diese Quote gilt für die über 60-Jährigen. Die jüngere Generation wird auch mit Delta praktisch nicht schwer krank. Die Inzidenz liegt hier unter eins.
Während die Impfung also nach wie vor ziemlich gut vor einem schweren Verlauf schützt, sieht es bei der Protektion vor einer Ansteckung mit der Delta-Variante schlechter aus. Hier lohnt sich der Blick etwas weiter zurück: Zu Beginn der Impfkampagne, als die Alpha-Variante noch dominant war, steckten sich praktisch keine geimpften Personen an. Mit der Ausbreitung von Delta scheint sich das Blatt nun zu wenden: Die Inzidenz der Infizierten, die vollständig geimpft sind, gleicht sich mehr und mehr derjenigen der Ungeimpften an. Am Montag lag diese bei den Geimpften bei 39,5, bei den Ungeimpften bei 49,2.
Diese Zahlen scheinen erste Vorstudien zur Wirksamkeit des Pfizer-Impfstoffes zu bestätigen. Gemäss dem israelischen Gesundheitsministerium schützt eine Impfung mittlerweile nur noch zu 39 Prozent vor einer Infektion. Der Schutz vor einem schweren Verlauf soll aber immer noch 91 Prozent betragen.
Es ist nicht klar, wieso es zu dieser verminderten Wirksamkeitsrate kommen konnte. Liegt es an der Delta-Variante oder verliert das Vakzin nach nunmehr sechs Monaten langsam an Schlagkraft?
Für die israelische Regierung scheint der Fall klar: Die Schutzwirkung der Impfung lässt nach, eine dritte Dosis ist nötig. Seit letztem Sonntag sind deswegen bereits über 200'000 Drittdosen an über 60-Jährige verabreicht worden. Es gibt zwar erste Studien, die zeigen, dass bei geimpften und trotzdem angesteckten Menschen die Antikörper-Mengen im Blut tatsächlich niedriger sind als bei anderen. Die Datenlage ist allerdings noch äusserst dünn. Ausserdem sind Antikörper auch nicht das einzige Mittel des Immunsystems.
Zu diesem Zeitpunkt scheint die Erklärung plausibler, dass die Delta-Variante resistenter ist gegen das Vakzin. Ob eine Booster-Impfung dagegen hilft, wird sich zeigen müssen. Ein an die Delta-Variante angepasstes Vakzin wird momentan nicht verabreicht, sondern lediglich eine dritte Dosis vom gleichen Impfstoff.
Eine dritte Variable darf dabei jedoch nicht ausser Acht gelassen werden: Die Delta-Variante ist grundsätzlich ansteckender als vorherige Versionen des Coronavirus. Und es sind immer noch fast vier der neun Millionen Einwohner Israels ungeimpft.
Ein Blick in die Daten zeigt, dass allein die Altersgruppe der ungeimpften unter 10-Jährigen über 20 Prozent aller Ansteckungen im letzten Monat ausmachte. Gemeinsam mit den 10- bis 19-Jährigen sind es knapp 40 Prozent. Diese Gruppe ist es auch, die grösstenteils ungeimpft ist.
Ein höheres allgemeines Infektionsgeschehen gepaart mit der ansteckenderen Delta-Variante könnte also genauso gut als Erklärung für die höhere Inzidenz der Geimpften herhalten.
Bis auf Menschen mit schwer beeinträchtigtem Immunsystem bleibt das Bundesamt für Gesundheit momentan bei seiner Empfehlung von zwei Dosen. Falls sich allerdings in weiteren Studien zeigen sollte, dass die Schutzwirkung tatsächlich abnimmt, dann dürfte es auch hierzulande zu einer Booster-Impfung kommen.