Das US-Wahljahr ist noch jung und schon reich an Überraschungen. Vor zwei Wochen galt der frühere Vizepräsident Joe Biden als «dead man walking». Er hatte bei den Vorwahlen der Demokraten in Iowa und New Hampshire desaströs abgeschnitten. Sein baldiger Rückzug als Anwärter auf die US-Präsidentschaft schien Formsache zu sein.
Mit dem zweiten Platz in Nevada konnte sich Biden ein wenig auffangen. Dann folgte am letzten Samstag die Vorwahl in South Carolina, und nun ist alles anders. Dank dem enormen Rückhalt bei der schwarzen Wählerschaft gelang ihm ein triumphaler Erfolg. Auf einmal ist Joe Biden der einzige ernsthafte Kandidat des gemässigten Parteiflügels.
Denn seither haben sich Pete Buttigieg und Amy Klobuchar aus dem Rennen abgemeldet. Beide vertreten ebenfalls moderate Positionen. Am Montagabend stellten sie sich bei einem Wahlkampfauftritt in Dallas (Texas) offiziell hinter Biden, zusammen mit dem ehemaligen Kongressabgeordneten Beto O’Rourke, dem früh gescheiterten Ex-Hoffnungsträger.
Der Ort war keineswegs zufällig gewählt. Texas ist neben Kalifornien der gewichtigste Bundesstaat, in dem am heutigen Super Tuesday gewählt wird. Joe Biden liegt in den Umfragen hinter Bernie Sanders, allerdings nur relativ knapp. Ein prestigeträchtiger Sieg in diesem bedeutenden Staat könnte seiner Kandidatur zusätzlichen Schub verleihen.
Dennoch erstaunt das Timing des Rückzugs von Buttigieg und Klobuchar. Man hätte ihnen zugetraut, mindestens bis zum Super Tuesday durchzuhalten. Hier spielte womöglich eine Person eine Rolle, die sich aus den Vorwahlen bisher rausgehalten hat: Barack Obama. Zumindest im Fall von Pete Buttigieg hat er sich unauffällig eingeschaltet.
So telefonierte der frühere Bürgermeister von South Bend am letzten Sonntag nicht nur mit Joe Biden, sondern auch mit Obama, wie die «New York Times» mit Berufung auf einen demokratischen Parteifunktionär berichtete. Der Ex-Präsident habe den 38-jährigen Buttigieg nicht direkt zur Unterstützung von Biden aufgefordert, ihn aber daran erinnert, dass er einen «beträchtlichen Einfluss» habe und sich überlegen solle, wie er diesen am besten einsetzen könne.
Konkret habe Obama darauf hingewiesen, dass Buttigieg mit einer Unterstützung Bidens dazu beitragen könne, eine «starke zentristische Herausforderung» für Bernie Sanders’ progressive Bewegung zu erzeugen. Buttigieg scheint es sich zu Herzen genommen zu haben. Nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hatte, stellte er sich hinter Biden.
Am Wochenende hat Barack Obama gemäss CNN auch mit seinem einstigen Vize telefoniert und ihm zum Sieg in South Carolina gratuliert. Eine dem früheren Präsidenten nahe stehende Person betonte, Obama wolle nicht direkt in den Vorwahlkampf eingreifen. Er fürchte, eine offene Unterstützung für Biden könnte «nach hinten losgehen».
Dies reflektiert die zwiespältige Haltung vieler Demokraten gegenüber dem Ex-Präsidenten. Barack Obama gilt noch immer als Lichtgestalt, die umso heller strahlt, je mehr sein Nachfolger die Würde des Amtes besudelt. Viele Afroamerikaner verehren den ersten schwarzen Präsidenten, Joe Biden beruft sich regelmässig auf seinen früheren Boss.
Die jungen, enthusiastischen Anhänger von Bernie Sanders aber beurteilen Obama kritisch. Sie werfen ihm eine zu grosse Nähe zur Wall Street vor. Er habe zu wenig gegen die grassierende Ungleichheit unternommen. Ausserdem geben sie ihm die Schuld daran, dass die Demokraten vor vier Jahren Hillary Clinton und nicht ihr Idol nominiert haben.
Dies dürfte erklären, warum Obama zögert, sich mit seinem einstigen Vize zu solidarisieren, mit dem er nach wie vor regelmässig in Kontakt steht. Der Ex-Präsident wolle dazu beitragen, die Partei am Ende des Vorwahl-Prozesses zu vereinen und in den Kampf gegen Donald Trump zu führen, sagte die mit Obama vertraute Person zu CNN.
Eine zu frühe Einmischung könnte die Spaltung vertiefen. Hinter den Kulissen aber dürfte sich Obama weiter als «Königsmacher» betätigen und dazu beitragen, die Reihen der «Moderaten» hinter Joe Biden zu schliessen. In den letzten Tagen haben zahlreiche gewichtige Parteiexponenten dem 77-Jährigen ihre Unterstützung zugesagt.
Ein Unsicherheitsfaktor bleibt Mike Bloomberg, der erst am Super Tuesday ins Rennen einsteigt und das gleiche Wählersegment umwirbt. Seine Kandidatur aber hebt trotz gewaltigem finanziellem Einsatz nicht richtig ab. Schneidet der frühere Bürgermeister von New York schlecht ab, könnte er sich schon bald zugunsten von Biden zurückziehen.
Der Sanders-Anhang beobachtet die Vorgänge im moderaten Lager mit Unmut. Denn der Senator aus Vermont muss sich auf dem linken Flügel mit Elizabeth Warren herumschlagen. Obwohl sie überhaupt nicht auf Touren kommt, macht sie keine Anstalten, das Rennen aufzugeben. Vielmehr deutet sie an, bis zum Parteikonvent im Juli durchhalten zu wollen.
Insgeheim hofft die Senatorin wohl, sich doch noch als Alternative zu den «alten weissen Männern» aufdrängen zu können, obwohl sie mit 70 Jahren auch nicht mehr taufrisch ist. Ausgeschlossen ist es in diesem turbulenten Vorwahl-Zyklus nicht. Derzeit aber läuft die Roulette-Kugel für Joe Biden, getreu dem Grundsatz «Totgesagte leben länger».
Warren nimmt hauptsächlich Sanders Stimmen weg und verhindert so, dass er auf über 50% der Stimmanteile kommt.