Der Historiker Timothy Snyder gehört zu den profundesten Kennern des Totalitarismus. In seinem vor mehr als sieben Jahren verfassten Buch «On Tyranny» warnt er vor den Gefahren eines neuen Faschismus und gibt Ratschläge, wie man sich dagegen wappnen kann. «Die Geschichte kann uns mit Dingen vertraut machen, und sie kann uns warnen», schreibt Snyder.
Die Demokratie sei im 21. Jahrhundert keinesfalls gesichert, so Snyder. «Wir sind nicht klüger als die Europäer, die zusahen, wie die Demokratie sich dem Faschismus und dem Kommunismus ergab. Unser Vorteil liegt darin, dass wir von der Erfahrung lernen können. Jetzt ist die Zeit gekommen, das zu tun.»
Snydes erster Rat lautet: Kein vorauseilender Gehorsam. Christopher Wray, der noch amtierende FBI-Direktor, hat jetzt genau dies getan. Er hat angekündigt, dass er nach Ende der Amtszeit von Präsident Joe Biden seinen Stuhl für einen Nachfolger räumen werde. Dies, obwohl seine zehnjährige Amtszeit noch bis 2027 gedauert hätte, und auch obwohl ihn Donald Trump seinerzeit in dieses Amt gehievt hat.
Wrays Rücktritt kann einen komplexen juristischen Grund haben, um eine sofortige Inthronisierung seines nominierten Nachfolgers Kash Patel zu verhindern (fragt nicht). Sie ist menschlich gesehen auch mehr als verständlich, denn Wray war in jüngster Zeit permanent den Schikanen des wiedergewählten Präsidenten und dessen Handlanger ausgesetzt. Er ist jedoch auch ein Beispiel eines vorauseilenden Gehorsams, vor dem Snyder warnt.
Das bedeutet nicht, dass am 20. Januar 2025 in den USA ein neuer Totalitarismus ausbrechen wird. Es bedeutet jedoch, dass eine weitere Säule des amerikanischen Rechtsstaates ins Wanken gerät.
Das FBI wurde ursprünglich gegründet als Waffe im Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Angesichts der faschistischen und der kommunistischen Gefahr in der Dreissigerjahren wurde es mit einer zweiten Aufgabe betreut, welche die Historikerin Beverly Gage – die Verfasserin eines mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Buchs über das FBI – im «New Yorker» wie folgt beschreibt:
«Das FBI verteidigte den ‹American way of life›, wie es sich diesen vorstellte. Deshalb wurde jeder, der diesen Status quo infrage stellte, zu einem legitimen Ziel einer Untersuchung.»
Diese doppelte Funktion hat gravierende Folgen. Jemand eines Verbrechens schuldig zu sprechen, ist im amerikanischen Rechtsstaat nicht ganz einfach. Letztlich müssen zwölf Geschworene «jenseits des geringsten Zweifels» davon überzeugt werden, dass dieses Verbrechen tatsächlich begangen wurde. Schert auch nur ein Geschworener aus, fällt die Anklage in sich zusammen.
Das Ausspionieren und Überwachen von vermeintlichen Staatsfeinden hingegen kennt diesen mühsamen Prozess nicht. Er kann mehr oder weniger willkürlich in Gang gesetzt werden. Der legendäre FBI-Direktor Edgar Hoover hat auch seinerzeit ausführlich davon Gebrauch gemacht. Sein bekanntestes Opfer war der Bürgerrechtler Martin Luther King Jr., der von FBI-Agenten buchstäblich bis ins Schlafzimmer verfolgt wurde.
Hoover war ein fanatischer Kommunisten-Fresser, «aber er war auch ein Erbauer einer Institution; er glaubte an die Unabhängigkeit des FBI als einer überparteilichen Organisation», stellt Gage fest. Ganz anders Kash Patel, der von Trump nominierte Nachfolger von Wray. «Hoover pflegte das FBI als ‹Festung› gegen versteckte linke Verschwörungen, welche alle Bereiche des amerikanischen Lebens durchdringen, zu bezeichnen», so Gage. «In der Welt von Patel ist das FBI selbst die Verschwörung.»
Patel hat bereits verkündet, er werde, sollte er gewählt werden, am ersten Tag seiner Amtszeit das FBI-Hauptquartier in Washington schliessen lassen und in ein Museum für den Deep State verwandeln. Die Führungsetage sei total woke unterwandert, nannte er als Begründung. Eine absurde Behauptung, denn in der Realität ist das FBI nach wie vor eine Hochburg von konservativen weissen Männern.
Als blinder Loyalist von Trump wird Patel dessen Rachefeldzug gegen vermeintliche politische Gegner ohne zu zögern in die Tat umsetzen. Dabei kommt ihm die doppelte Funktion des FBI – Verbrecherjagd und Abwehr von inneren Feinden – zugute. Ob es ihm gelingen wird, Trumps Feinde – beispielsweise die Mitglieder der Kommission zur Abklärung des Sturms auf das Kapitol –, wie vom gewählten Präsidenten gefordert, ins Gefängnis zu bringen, ist fraglich. Doch er kann auf jeden Fall ihr Leben zur Hölle machen.
Das wird er auch auf jeden Fall tun. In einem Interview mit Steve Bannon auf dessen Podcast «War Room» hat er bereits angekündigt, er werde seine Agenten nicht nur auf Politiker und Strafverfolger hetzen, sondern auch auf kritische Journalisten. «Wir werden euch jagen, entweder straf- oder zivilrechtlich. Wir werden einen Weg finden», so Patel.
Trump mag ein Faschist sein, wie sowohl sein ehemaliger Stabschef und sein ehemaliger Oberbefehlshaber – beides übrigens honorige, konservative und hochdekorierte Generäle – bezeugt haben. Doch es wird ihm kaum gelingen, die USA in einen faschistischen Staat umzumodeln. Er ist jedoch gut unterwegs, wenn es darum geht, eine amerikanische Plutokratie, eine Herrschaft des Geldes, zu verwirklichen.
Von den vielen grotesken Widersprüchen, die sich im neuen Trump-Kabinett versammeln, ist die absurdeste wohl die Tatsache, dass diese Regierung vorgibt, die Interessen der einfachen Arbeiter zu vertreten – und gleichzeitig eine noch nie gesehene Ansammlung von Milliardären darstellt. Mit Elon Musk ist nicht nur der reichste Mann der Welt eine Art Schattenpräsident im Weissen Haus geworden.
Trump hat bis dato mehr als ein halbes Dutzend Superreiche in seine Regierung geholt – und weitere könnten noch folgen. «Trumps Hof in Mar-a-Lago ist weniger eine künftige Regierung als ein Kasino, in dem die Währung Zugang und Sichtbarkeit ist», stellt Edward Luce in der «Financial Times» fest. «Und der Sultan ist zugänglich für Lob und Schmeicheleien.»
Bekanntlich ist Trump kein Ideologe. Ihn interessiert letztlich nur Geld. Deshalb hat er keine Mühe, selbst seine Fans schamlos über den Tisch zu ziehen. Er verkauft ihnen eine teure Bibel, die er zu einem Spottpreis in China drucken lässt, oder Turnschuhe, oder Schweizer Uhren, oder neuerdings gar ein Parfum.
Auch Kash Patel wird nachgesagt, dass er ebenfalls anstrebt, sehr reich zu werden. Wie sein Idol verfolgt er dieses Ziel ohne Rücksicht auf kaufmännische Moral. «Amerikas nominierter oberster Polizist ist auch ein Schlangen-Öl-Verkäufer», stellt Luce fest. «Unter anderem hat er Pillen vertrieben, die angeblich den Effekt der Covid-Impfung rückgängig machen sollen.»
Christopher Wray hat sich von seinen Mitarbeitern mit den folgenden Worten verabschiedet: «Ich denke, es ist das Beste, um zu verhindern, dass die Organisation noch tiefer in Schwierigkeiten gezogen wird.» Aus seiner Sicht mag dies zutreffen. In Sinne von Snyders Warnung vor einem vorauseilenden Gehorsam könnte sich dies jedoch als verhängnisvoller Irrtum erweisen.
Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis der eine oder andere dann irgendwann vielleicht doch noch klarer sieht.