International
Analyse

Massaker in Uvalde: Und ewig grüsst die Heuchelei

epa06603787 Druid Hills High School students participate in the National School Walkout in Atlanta, Georgia, USA, 14 March 2018. The protest across the US comes one month after the school shooting at  ...
Schüler protestierten nach dem Massaker in Parkland 2018. Getan hat sich wie immer nichts.Bild: EPA/EPA
Analyse

«Thoughts and Prayers» nach jedem Shooting – Und ewig grüsst die Heuchelei

Einmal mehr fand an einer Schule in den USA ein Massaker mit Schusswaffen statt. Und einmal mehr blocken die Republikaner alle Forderungen nach schärferen Waffengesetzen ab.
25.05.2022, 14:2526.05.2022, 08:32
Mehr «International»

Es ist ein Ritual, das sich mit furchtbarer Regelmässigkeit wiederholt: Irgendjemand in den USA dreht durch, greift zu Schusswaffen und tötet unschuldige Menschen. Über die meisten Fälle wird kaum noch berichtet, zu sehr hat man sich daran gewöhnt. Ausser es kommt zu einem Massaker, wie am Dienstag in der texanischen Kleinstadt Uvalde.

Dort tötete ein 18-Jähriger an einer Grundschule 19 Kinder und zwei Erwachsene, ehe er selbst erschossen wurde. Wenn es kleine Kinder trifft, erwachen die Amerikaner für kurze Zeit aus ihrer Lethargie. «Ich habe es satt, ich habe genug!», sagte Basketball-Legende Steve Kerr, derzeit Coach der Golden State Warriors.

So denken viele, doch am Ende geschieht nichts. Denn Uvalde ist kein Einzelfall. Bereits zuvor kam es in diesem Jahr gemäss CNN zu mindestens 39 Schiessereien an Primar- und Sekundarschulen, Colleges und Universitäten. Zehn Menschen starben, 51 wurden verletzt. Die Politik aber ist weder willens noch fähig, etwas gegen diese Seuche zu unternehmen.

«Unser Land ist gelähmt»

«Warum lassen wir das ständig zu?», fragte US-Präsident Joe Biden. Sein Vorvorgänger Barack Obama sprach in einem Statement Klartext: «Unser Land ist gelähmt, nicht durch Angst, sondern durch eine Waffenlobby und eine politische Partei, die keine Bereitschaft gezeigt haben, in irgendeiner Weise zu handeln, um diese Tragödien zu verhindern.»

1 / 15
Amoklauf in Schule in Texas
Ein 18-jähriger Mann erschiesst mindestens 19 Schülerinnen und Schüler und zwei Erwachsene. (William Luther/The San Antonio Express-News via AP)
quelle: keystone / william luther
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Obama weiss, wovon er spricht. Sein Einsatz für schärfere Waffengesetze war an den Republikanern im Kongress gescheitert, auch nach dem schlimmsten Schulmassaker der US-Geschichte vor bald zehn Jahren an der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown im Bundesstaat Connecticut. Damals starben 20 Kinder und sechs Erwachsene.

Mitgefühl, aber keine Massnahmen

Chris Murphy, der demokratische Senator von Connecticut, appellierte am Dienstag in einer leidenschaftlichen Rede an seine republikanischen Kollegen. Und wusste genau, dass er auf taube Ohren stossen würde. Denn die Republikaner reagieren auf die Waffengewalt stets mit dem gleichen Reflex: Sie senden «Thoughts and Prayers» – Gedanken und Gebete.

Auch am Dienstag wiederholte sich dieses Muster. Republikanische Politikerinnen und Politiker äussern ihr Mitgefühl und blocken alle konkreten Massnahmen ab. Selbst eine harmlose Forderung wie vertiefte Background-Checks potenzieller Waffenkäufer ist chancenlos, ein Verbot von halbautomatischen Waffen oder Magazinen mit hoher Kapazität erst recht.

Der Mensch ist das Problem

Dabei verschanzen sich die Republikaner hinter dem zweiten Zusatzartikel der Verfassung, der es allen Amerikanern erlaube, eine Waffe zu tragen. Ohnehin sei nicht die Waffe das Problem, sondern der Mensch. Senator Thom Tillis aus North Carolina mutmasste am Dienstag über mögliche «Anzeichen», dass der Schütze von Uvalde «gefährdet» war.

Dabei sind Amokschützen oft introvertierte, in sich gekehrte Menschen, bei denen es zu einem plötzlichen, nicht vorhersehbaren Gewaltausbruch kommt. Nach ersten Erkenntnissen passt der mutmassliche Täter von Uvalde in dieses Schema. Sein Motiv ist unklar. Klar ist hingegen: Je einfacher Schusswaffen verfügbar sind, umso tiefer ist die Hemmschwelle.

Abtreibung vs. Waffen

Die Republikaner bemühen sich nach Kräften, sie immer weiter zu senken. Sie verhalten sich bei den Waffengesetzen antizyklisch zum Abtreibungsrecht. Während sie dieses in den von ihnen regierten Bundesstaaten immer mehr einschränken, erleichtern sie den Kauf von Gewehren und Pistolen. Der «Cowboy-Staat» Texas ist keine Ausnahme.

Bidens Rede zum Amoklauf

Video: youtube

Gouverneur Greg Abbott, der sich am Dienstag äusserst betroffen zeigte, hatte letztes Jahr ein Gesetz unterzeichnet, das fast alle Einschränkungen für das Tragen einer Schusswaffe aufhob und das Erwerbsalter von 21 auf 18 Jahre senkte. Der Schütze von Uvalde soll die Waffen, mit denen er seine Bluttat verübte, kurz nach seinem 18. Geburtstag gekauft haben.

Üben für den Ernstfall

Dabei befürwortet eine Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung in Umfragen schärfere Waffengesetze. Die Zustimmung war zuletzt mit der Corona-Pandemie und der stark gestiegenen Kriminalität in den Städten rückläufig, aber sie liegt nach wie vor bei über 50 Prozent. Allerdings zeigt sich auch bei diesem Thema die tiefe politische Spaltung.

Solange die Basis der Republikaner griffigere Gesetze mehrheitlich ablehnt, wird sich die Partei nicht bewegen. Folglich müssen die Angehörigen der Opfer bei jedem neuen Massaker ihren Albtraum ein weiteres Mal durchleben. Und die Schulkinder in den USA müssen Übungen machen, wie sie sich bei Amokläufen in Sicherheit bringen können.

In den letzten zehn Jahren kam es in den USA zu vier Schiessereien an Schulen mit mehr als zehn Todesopfern, in Newtown und Uvalde sowie 2018 in Parkland (Florida) und Santa Fe (Texas). Es ist nur eine Frage der Zeit, wann es das nächste Mal passiert. Und die Republikaner mit «Thoughts and Prayers» ihr Mitgefühl heucheln können.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Mehrere Tote bei Schiesserei an Schule in Florida
1 / 9
Mehrere Tote bei Schiesserei an Schule in Florida
Sanitäter leisten erste Hilfe vor der Schule: Bei einer Schiesserei an einer Schule in Florida sind mindestens 17 Personen getötet worden.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das Parkland-Massaker ist ein Jahr her – und jetzt?
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
45 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Thomas Melone
25.05.2022 15:28registriert Mai 2014
Abtreibung nein, Waffen ja. Das ungeborene Leben scheint den Republikanern wichtiger zu sein, als das schon Geborene.
1284
Melden
Zum Kommentar
avatar
kritischer Denker
25.05.2022 15:15registriert Mai 2021
Ein Kind darf nicht abgetrieben werden, das ist strafbar; Teilweise sogar die Beihilfe zur Abtreibung.
Es scheint mir aber, dass Frau das Kind austragen und gebären, sich dann eine Waffe besorgen und dann das Kind erschiessen dürfte ...

Sorry für den Sarkasmus, aber es ist wirklich tragisch, wie die USA tickt :o((
1154
Melden
Zum Kommentar
avatar
blubber69
25.05.2022 16:13registriert November 2019
"Thoughts and prayers" - wenn ich das nur schon lese, könnte ich im Strahl ko....en. 🤮
814
Melden
Zum Kommentar
45
Iran verschärft Kontrollen gegen Kopftuchverstösse

Irans berüchtigte Sittenwächter gehen wieder verschärft gegen Kopftuchverstösse vor. Nach Beginn der landesweiten Polizeiaktion am vergangenen Samstag berichteten zahlreiche Frauen von verstärkten Kontrollen in den Metropolen.

Zur Story