In diesen Tagen erscheint ein Buch mit dem Titel «Remigration. Ein Vorschlag». Der Begriff ist bereits zum Unwort des Jahres gekürt worden. Sein Autor Martin Sellner steht im Mittelpunkt einer Affäre, die Deutschland derzeit aufwühlt. Am vergangenen Wochenende waren landesweit Hunderttausende in verschiedenen Städten auf der Strasse, um gegen die Gefahr eines neuen Faschismus zu demonstrieren. Das Thema beherrscht derzeit die politische Arena von Bonn bis Berlin.
Wer ist der Mann, der diesen politischen Sturm entfacht hat? Er heisst Martin Sellner, ist 35 Jahre alt, Österreicher und Begründer der Identitären Bewegung, einer faschistischen Jugendorganisation. Er war Stargast und Referent eines Geheimtreffens in der Villa Adlon in Potsdam. Unter den Gästen fanden sich Vertreter der AfD, konservative Unternehmer und Mitglieder der WerteUnion, einer rechtskonservativen Gruppe innerhalb der CDU, die sich bald als eigenständige Partei etablieren will.
Sellner ist kein Nazi im herkömmlichen Sinn. Nicht Bomberjacken, Glatze und Springerstiefel sind sein Merkmal. Er grölt nicht – Bierflasche in der Hand – die Lieder von Faschobands mit, und er prügelt sich auch nicht mit den Linksextremen der Antifa. Vielmehr ist er stets adrett gekleidet und höflich, ein Normalo, den sich jede Mutter als Schwiegersohn wünscht.
Sellner ist keine Prolo. Er hat Philosophie studiert und sich dabei mit Martin Heidegger herumgeschlagen, dem Vorzeige-Philosophen der Deutschen im 20. Jahrhundert, der irgendwann die ganz falsche Abzweigung erwischt hatte und zum glühenden Nazi wurde. Auch Oswald Spengler, ein Vordenker des Faschismus, gehört zu Sellners Idealen, genauso wie der von Hitler verehrte Jurist Carl Schmitt.
Auch international ist Sellner bestens vernetzt. Er kennt nicht nur die rechtsextreme Szene Deutschlands, auch mit den Schriften von Alain de Benoist ist er bestens vertraut. Wie der französische Philosoph plädiert er für einen internationalen Faschismus. Seine Frau ist Amerikanerin und zu Steve Bannon und zu Richard Spencer, einem einst bedeutenden Vertreter der Alt-right-Bewegung, hat Sellner ebenfalls guten Kontakt.
Das propere Aussehen Sellners täuscht. 2018 und 2019 durfte er nicht in die USA und in das Vereinigte Königreich einreisen. Selbst die österreichische FPÖ, die sonst weiss Gott keine Berührungsängste gegen rechts kennt, distanzierte sich zeitweise von ihm. Die Politologin Natascha Strobl, die sich seit langem mit der rechtsextremen Szene befasst, erklärt daher gegenüber der «Financial Times»: «Sellner versteht die Medien und weiss, wie man einen Aufruhr anzettelt und dafür sorgt, dass man Beachtung findet.»
Nach dem ominösen Geheimtreffen in Potsdam kann sich Sellner nicht über mangelnde Beachtung beklagen. Seit den Protesten in den Achtzigerjahren gegen die Stationierung von mit Atomsprengköpfen bestückte Kurzstreckenraketen hat es in Deutschland keine Demonstrationen mehr gegeben, die ähnlich viele Menschen auf die Strasse trieben. Die Angst, dass der Faschismus sein grausliges Haupt wieder erheben könnte, ist gross.
Und diese Angst ist berechtigt. «Das Treffen in Potsdam war alles andere als harmlos», sagt Strobl. «Wenn wir es mit jemandem wie Sellner zu tun haben und dieser mit bedeutenden Vertretern der AfD und Unternehmern kungelt, dann bedeutet dies, dass sich etwas verändert hat.»
Ebenso ist der Begriff «Remigration» alles andere als harmlos. Dahinter versteckt sich ein Konzept, das zum Ziel hat, Millionen von Menschen aus Deutschland zu deportieren. Diesen Begriff weist Sellner zwar von sich, doch darum geht es. Sein Plan sieht vor, dass abgewiesene Asylbewerber sofort ausgeschafft werden. Solche mit Bleiberecht oder gar solche, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, aber nicht «assimiliert» sind, sollen zur Auswanderung in ein nicht näher definiertes Land in Afrika gedrängt werden.
Um die amerikanische Alt-right-Bewegung ist es mittlerweile ruhig geworden. Das Letzte, das man von Richard Spencer gehört hat, ist, dass er völlig pleite sei. Auch die identitäre Bewegung war lange aus den Schlagzeilen verschwunden.
Wie ein Zombie ist Sellner jetzt wieder aus seiner Gruft gestiegen. Das verspricht wenig Gutes. Der internationale Faschismus – eigentlich ein Widerspruch in den Begriffen – nimmt Fahrt auf: Donald Trump hat Chancen, wieder ins Weisse Haus einzuziehen, Viktor Orbán hat in Ungarn die Demokratie bereits ausgeschaltet und in vielen liberalen Ländern sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch.
In diesem Klima sind Leute wie Martin Sellner brandgefährlich, denn er versteht es, das bisher Unsagbare wieder sagbar zu machen.
Was wir aus der Geschichte lernen, ist, dass Menschen nicht aus der Geschichte lernen.
Es ist eine Tatsache, dass viele europäische Regierungen die Ängste in der Bevölkerung zu lange heruntergespielt und die Probleme vernachlässigt haben. Das führt zu einer tiefen Unzufriedenheit. Und diese Unzufriedenheit wiederum verhilft Extremisten zur Macht.
So lange die Gewinne der Migration nur an die Elite gehen, die normalen Bürger aber unter ihr leiden, wird es nicht einfacher werden.