Rechtsextreme Gruppierungen werden gemeinhin mit grölenden Neo-Nazis, Glatzköpfen und Hardrock-Konzerten in abgelegenen Turnhallen in Verbindung gebracht. Es gibt jedoch eine zivilisierte Variante davon, und niemand repräsentiert diese Variante besser als Martin Sellner. Der 27-jährige Wiener ist ein Normalo ohne Auffälligkeiten. Er ist auch so etwas wie der Kopf einer Gruppierung, die sich «Identitäre Bewegung» nennt, die nationalistisches Gedankengut verbreitet – und die sich seit Trumps Wahlerfolg in einem Hoch befindet.
Die Identitäre Bewegung ist eine Mischung aus Pfadfinder und Greenpeace. Sie steigen auf öffentliche Gebäude wie das Brandenburgertor in Berlin und hängen dort ihre Parolen auf. Sie bekämpfen die Globalisten, die Elite, die Mainstream-Medien, McDonalds und Multikulti. Umgekehrt wollen sie ein Europa der Völker, ein Anrecht auf Identität (die selbstredend weiss ist) und schwärmen für Heimat und Freiheit.
Martin Sellner ist im rechtsextremen Lager angekommen. So war er kürzlich Stargast der «Compact»-Konferenz. «Compact» ist eine Art «Spiegel» der Rechtsextremen, Chefredaktor Jürgen Elsässer einer der wichtigsten Vordenker der Neuen Rechten in Europa. An der «Compact»-Konferenz ist übrigens auch der Walliser Regierungsrat und SVP-Politiker Oskar Freysinger ein gern gesehener Gast.
Der Wahlsieg von Donald Trump hat diese Szene elektrisiert. Sie wissen nun, dass sie mit Steve Bannon einen der ihren im Zentrum der Macht haben. Bannon war bis vor kurzem Chef des rechtsextremen Onlineportals Breitbart, wurde von Trump zuerst zum Wahlkampfmanager und jetzt zu seinem Chefstrategen ernannt. Er steht der so genannten Alt-Right-Bewegung nahe. Breitbart hat angekündigt, ein deutsches Portal zu lancieren.
Die Alt-Right-Bewegung und die Identitäre Bewegung sind geistige Zwillinge. Beide setzen darauf, dass die Völker wieder entmischt und die Identität der Weissen bewahrt werden muss. Dank Bannon im Weissen Haus sind sie überzeugt, dass ihre Ziele auch umgesetzt werden. Richard Spencer, Kopf der amerikanischen Alt-Right-Bewegung und das US-Gegenstück zu Martin Sellner, erklärt denn auch: «Wir haben uns stets gefürchtet, dass Trump normalisiert werden – oder dass er seine ‹Trumpiness› verlieren könnte. Mit Bannon als Chefstratege ist das unwahrscheinlich geworden.»
Identitäre- und Alt-Right-Bewegung unterscheiden sich klar von den konservativen Rechten. Sie lehnen Globalisierung, Freihandel und reine Marktwirtschaft ab. Steve Bannon gilt als Feind von Paul Ryan, dem Fraktionschef der Republikaner, der sich für einen Abbau des Sozialstaates und Deregulierung stark macht. «Die Zeichen der Geschichte stehen derzeit nicht für Paul Ryan oder Ayn Rand», spottet Spencer. «Wir betreten das Zeitalter des amerikanischen Nationalismus.»
Das Zeitalter des europäischen Nationalismus will auch die Identitäre Bewegung einläuten. Bei seinem Auftritt an der «Compact»-Konferenz bezieht sich Sellner auf Alain de Benoist. Der französische Philosoph hat einst freimütig bekannt, in seiner Jugend ein Rechtsextremer gewesen zu sein. Heute ist er einer der Vordenker der Neuen Rechten.
Benoist will die traditionelle Feindschaft zwischen links und rechts überwinden und plädiert für einen internationalen Faschismus. «Auf internationaler Ebene besteht der Gegensatz nicht mehr zwischen rechts und links, zwischen Liberalismus und Sozialismus, zwischen Faschismus und Kommunismus, zwischen Totalitarismus und Demokratie, sondern zwischen denen, die eine eindimensionale Welt wollen (i.e. die Globalisten, Anm d. Red.) und denen, welche die Diversität der Kulturen wollen.»
Die Diversität hat jedoch ihre Grenzen. Kern der Alt-Right- oder Identitäre Bewegung ist nicht nur die Tatsache, dass die Kulturen verschieden sind, sondern auch, dass die Weissen intelligenter als andere Rassen seien. Zudem sind antisemitische Aussagen gang und gäbe.
Die Ernennung von Steve Bannon hat in jüdischen Kreisen die Alarmglocken läuten lassen. Er soll sich gemäss seiner Ex-Frau öfters antisemitisch geäussert haben. Selbst bei den Republikanern macht sich Unbehagen breit. John Weaver, der die Kampagne des Trump-Rivalen John Kasich geleitet hat, warnt: «Die rassistische und faschistische extreme Rechte ist nur Schritte entfernt vom Oval Office. Sei wachsam, Amerika!»