Nicky Lam ist Immobilienmaklerin. Ihr Büro liegt in To Kwa Wan, auch Kartoffelbucht genannt. To Kwa Wan ist ein bekanntes Arbeiterviertel in der Stadt Hongkong. «Sie sind sehr laut», sagt Lam gegenüber der New York Times. Mit «sie» sind die Festlandchinesen und -chinesinnen gemeint. Die Touristen, die in grossen Scharen in Reisebussen unterwegs sind und vor Restaurants im Viertel abgeladen werden, um schnell etwas zu essen, bevor ihre Billigtour wieder weitergeht.
Die Besucher und Besucherinnen tragen weisse, rote und orangefarbene Mützen und rauchen Zigaretten unter einem «Rauchen verboten»-Schild. Lam rollt die Augen. Sie ist genervt von ihnen. Sie beklagt sich darüber, dass einige Touristen die Toilette und den Wasserspender ihres Büros benutzen, ohne zu fragen. «Ein Tourist kam herein und fragte nach Restaurantempfehlungen», fügt sie hinzu. «Ich starrte ihn an und sagte: ‹Das ist ein Immobilienbüro›.»
Lam ist nicht die Einzige, die sich über die Festlandbesucher und -besucherinnen beklagt. Schon seit Jahren sind Hongkongerinnen und Hongkonger von den Touristen genervt: Sie sind zu laut, sie behindern den Verkehr und sie verschandeln öffentliche Plätze, indem sie im Freien sitzen und ihre Lunchpakete essen. Und was die Nerven am meisten strapaziert: Die Festlandbewohner und -bewohnerinnen geben kaum Geld aus.
Dabei wäre die Wirtschaft der chinesischen Sonderverwaltungszone auf ebendieses Geld angewiesen, zumal viele Hongkongerinnen und Hongkonger ihre Existenz damit bestreiten.
Nach drei Jahren Pandemie, strengen Massnahmen und geschlossenen Grenzen kehrt der Tourismus in China langsam wieder zurück. Restaurants und Geschäfte waren lange geschlossen. Viele Menschen litten und lebten am Existenzminimum.
Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, hat die Regierung Wachstum versprochen. Wirtschaftswachstum. Und dafür ist die 7,5-Millionen-Stadt besonders auf eines angewiesen: Tourismus. Also hat die Regierung sogenannte «Billigreisen» eingeführt: für wenig Geld einige Tage lang mit einer Gruppe und einem Führer in Hongkong unterwegs sein.
Doch laut den Hongkongerinnen und Hongkongern haben diese Billigreisen die «falschen Touristen» angezogen. Eben die Festlandchinesen und -chinesinnen, die kaum Geld ausgeben.
Die Touristen, die man eigentlich gerne hätte – also solche, die Geld ausgeben –, bleiben fern. Wegen des Mangels an Flügen.
Aber nicht nur, weil sie wenig Geld ausgeben oder laut sind, sind die Besucher und Besucherinnen vom Festland nicht gerne gesehen. Vor der Pandemie trieben wohlhabende Festlandchinesinnen und -chinesen die Preise und Mieten in Hongkong in die Höhe.
Die Bevölkerung von Hongkong ist also frustriert und wütend. Auf die Festlandbesucherinnen und -besucher – aber vor allem auf die Regierung. Denn diese hat ihnen eigentlich ein Wirtschaftswachstum versprochen. Doch passieren tut nichts und die Stadt füllt sich weiterhin mit wirtschaftlich gesehen uninteressanten Billigtouristen.
In regierungsfeindlichen Online-Foren geben die Reisegruppen bereits Anlass zu Spott. Die Userinnen und User erinnern sich gerne an die Zeiten, als Einheimische die Festlandbewohner und -bewohnerinnen, die nach Hongkong reisten, ganz offen als «Heuschrecken» beschimpften. Denn diese kauften in Hongkong billigere Babynahrung, Medikamente und Kosmetika, um sie in China teurer weiterzuverkaufen.
Die Beleidigungen gehen aber in beide Richtungen. In den sozialen Medien verspotten Festlandbewohnerinnen und -bewohner die Mandarin-Kenntnisse von Hongkongerinnen und Hongkongern – diese sprechen üblicherweise Kantonesisch. Wieder andere haben Videos von Situationen gepostet, in denen sie sich vom Restaurantpersonal beleidigt fühlten, weil sie Mandarin sprachen.
Miu Wang ist seit 20 Jahren Reiseleiterin. Sie sagt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner von Hongkong Snobs seien. «Ich muss mich um Dutzende Touristen auf einmal kümmern», sagt Wang zu den Beschwerden, dass die Touristen ein rüpelhaftes Verhalten an den Tag legten. «Ich kann nicht jeden Einzelnen von ihnen kontrollieren», fügt sie hinzu.
Auch der Tourismusminister von Hongkong, Kevin Yeung, fordert die Einwohnerinnen und Einwohner von Hongkong dazu auf, freundlicher und entgegenkommender zu sein. Und doch fordert er gleichzeitig eine strengere Überwachung der Besucher und Besucherinnen. «Touristen machen die Strassen voll, aber das ist ein Zeichen für wirtschaftliches Wachstum», sagt Yeung zur «New York Times».
Frau Guo gehört nicht zu einer Billigreisegruppe. Sie erzählt, dass sie heute viel netter behandelt werde als bei ihrem Besuch im Jahr 2004. Da hatte sie das Gefühl, dass das Sprechen von Mandarin sie zur Zielscheibe von Bigotterie machte. «Früher fühlte ich Ablehnung, Gleichgültigkeit und Ungeduld, vor allem, wenn ich mit Kellnerinnen sprach oder auf der Strasse nach dem Weg fragte», sagt sie. «Ich glaube, das liegt daran, dass sich die Wirtschaft auf dem Festland entwickelt hat», erzählt sie weiter. «Hongkong ist im Vergleich dazu nicht so besonders.»
Chinesische Reisegruppen fallen unangenehm auf?
Und dann noch in Hong Kong??
Als nächstes beschwert sich noch jemand über sich daneben benehmende junge Russen und Israelis in Asien und Südamerika.
Darüber hinaus ist das Problem wohl einiges komplexer, da die Hongkonger ihre Eigenständigkeit bewahren wollen und sich seit den letzten Jahren mit zunehmend massiver chinesischer Propaganda und Einflussnahme konfrontiert sehen.
Dazu weiss jeder, der schon einmal in Hongkong und China war, dass der Unterschied der Mentalität sowie Anstand und Sitten riesengross ist.
Ich wünsche mir sehr, ich würde mich irren.