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Hongkong will mehr Touristen – aber nur «die richtigen»

Street life is busy in downtown Hong Kong, China, Saturday July 7, 2007. Hong Kong, officially the Hong Kong Special Administrative Region, is one of the two special administrative regions of the Peop ...
Downtown Hongkong.Bild: KEYSTONE

Hongkong will mehr Touristen – aber nur «die richtigen»

Nach der Pandemie kehrt der Tourismus in China wieder zurück. Die Strassen von Hongkong füllen sich endlich wieder. Doch die Hongkongerinnen und Hongkonger sind nicht zufrieden. Sie beklagen sich über die «falschen Touristen».
12.05.2023, 09:1512.05.2023, 09:50
Lea Oetiker
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Nicky Lam ist Immobilienmaklerin. Ihr Büro liegt in To Kwa Wan, auch Kartoffelbucht genannt. To Kwa Wan ist ein bekanntes Arbeiterviertel in der Stadt Hongkong. «Sie sind sehr laut», sagt Lam gegenüber der New York Times. Mit «sie» sind die Festlandchinesen und -chinesinnen gemeint. Die Touristen, die in grossen Scharen in Reisebussen unterwegs sind und vor Restaurants im Viertel abgeladen werden, um schnell etwas zu essen, bevor ihre Billigtour wieder weitergeht.

Die Besucher und Besucherinnen tragen weisse, rote und orangefarbene Mützen und rauchen Zigaretten unter einem «Rauchen verboten»-Schild. Lam rollt die Augen. Sie ist genervt von ihnen. Sie beklagt sich darüber, dass einige Touristen die Toilette und den Wasserspender ihres Büros benutzen, ohne zu fragen. «Ein Tourist kam herein und fragte nach Restaurantempfehlungen», fügt sie hinzu. «Ich starrte ihn an und sagte: ‹Das ist ein Immobilienbüro›.»

To Kwa Wan.
To Kwa Wan.Bild: Shutterstock
Mainland Chinese tourists tour along a promenade in Hong Kong, Monday, April 10, 2023. (AP Photo/Louise Delmotte)
Die Besucher tragen weisse und rote Mützen.Bild: keystone

Lam ist nicht die Einzige, die sich über die Festlandbesucher und -besucherinnen beklagt. Schon seit Jahren sind Hongkongerinnen und Hongkonger von den Touristen genervt: Sie sind zu laut, sie behindern den Verkehr und sie verschandeln öffentliche Plätze, indem sie im Freien sitzen und ihre Lunchpakete essen. Und was die Nerven am meisten strapaziert: Die Festlandbewohner und -bewohnerinnen geben kaum Geld aus.

Dabei wäre die Wirtschaft der chinesischen Sonderverwaltungszone auf ebendieses Geld angewiesen, zumal viele Hongkongerinnen und Hongkonger ihre Existenz damit bestreiten.

Keine Besserung nach der Pandemie

Nach drei Jahren Pandemie, strengen Massnahmen und geschlossenen Grenzen kehrt der Tourismus in China langsam wieder zurück. Restaurants und Geschäfte waren lange geschlossen. Viele Menschen litten und lebten am Existenzminimum.

Mainland Chinese tourists on a budget tour walk along a promenade in Hong Kong, Monday, April 10, 2023. (AP Photo/Louise Delmotte)
Chinesische Touristen vom Festland spazieren auf einer preisgünstigen Tour entlang einer Promenade in Hongkong.Bild: keystone

Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, hat die Regierung Wachstum versprochen. Wirtschaftswachstum. Und dafür ist die 7,5-Millionen-Stadt besonders auf eines angewiesen: Tourismus. Also hat die Regierung sogenannte «Billigreisen» eingeführt: für wenig Geld einige Tage lang mit einer Gruppe und einem Führer in Hongkong unterwegs sein.

Doch laut den Hongkongerinnen und Hongkongern haben diese Billigreisen die «falschen Touristen» angezogen. Eben die Festlandchinesen und -chinesinnen, die kaum Geld ausgeben.

Die Touristen, die man eigentlich gerne hätte – also solche, die Geld ausgeben –, bleiben fern. Wegen des Mangels an Flügen.

Aber nicht nur, weil sie wenig Geld ausgeben oder laut sind, sind die Besucher und Besucherinnen vom Festland nicht gerne gesehen. Vor der Pandemie trieben wohlhabende Festlandchinesinnen und -chinesen die Preise und Mieten in Hongkong in die Höhe.

Die Bevölkerung von Hongkong ist also frustriert und wütend. Auf die Festlandbesucherinnen und -besucher – aber vor allem auf die Regierung. Denn diese hat ihnen eigentlich ein Wirtschaftswachstum versprochen. Doch passieren tut nichts und die Stadt füllt sich weiterhin mit wirtschaftlich gesehen uninteressanten Billigtouristen.

In this June 12, 2017, photo, a man takes shelter from a storm at a local market on the slope in Central district, Hong Kong. Once known as Victoria after the British queen, Hong Kong island's wa ...
Kleine Geschäfte und Restaurants sind auf die Touristen angewiesen.Bild: keystone
Auf einem Markt in Hongkong sind viele Touristen zu sehen.
Die Regierung hat Wirtschaftswachstum versprochen.bild: imago-images.de

Gegenseitige Beleidigungen

In regierungsfeindlichen Online-Foren geben die Reisegruppen bereits Anlass zu Spott. Die Userinnen und User erinnern sich gerne an die Zeiten, als Einheimische die Festlandbewohner und -bewohnerinnen, die nach Hongkong reisten, ganz offen als «Heuschrecken» beschimpften. Denn diese kauften in Hongkong billigere Babynahrung, Medikamente und Kosmetika, um sie in China teurer weiterzuverkaufen.

Die Beleidigungen gehen aber in beide Richtungen. In den sozialen Medien verspotten Festlandbewohnerinnen und -bewohner die Mandarin-Kenntnisse von Hongkongerinnen und Hongkongern – diese sprechen üblicherweise Kantonesisch. Wieder andere haben Videos von Situationen gepostet, in denen sie sich vom Restaurantpersonal beleidigt fühlten, weil sie Mandarin sprachen.

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Die Festlandbewohnerinnen und -bewohner und die Hongkongerinnen und Hongkonger verspotten sich gegenseitig.Bild: EPA

Miu Wang ist seit 20 Jahren Reiseleiterin. Sie sagt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner von Hongkong Snobs seien. «Ich muss mich um Dutzende Touristen auf einmal kümmern», sagt Wang zu den Beschwerden, dass die Touristen ein rüpelhaftes Verhalten an den Tag legten. «Ich kann nicht jeden Einzelnen von ihnen kontrollieren», fügt sie hinzu.

Auch der Tourismusminister von Hongkong, Kevin Yeung, fordert die Einwohnerinnen und Einwohner von Hongkong dazu auf, freundlicher und entgegenkommender zu sein. Und doch fordert er gleichzeitig eine strengere Überwachung der Besucher und Besucherinnen. «Touristen machen die Strassen voll, aber das ist ein Zeichen für wirtschaftliches Wachstum», sagt Yeung zur «New York Times».

«Die Menschen in Hongkong sind dafür bekannt, dass sie gastfreundlich sind. Es ist an der Zeit, diesen Geist wieder zu zeigen.»
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Eine Touristengruppe vom Festland.Bild: keystone

Frau Guo gehört nicht zu einer Billigreisegruppe. Sie erzählt, dass sie heute viel netter behandelt werde als bei ihrem Besuch im Jahr 2004. Da hatte sie das Gefühl, dass das Sprechen von Mandarin sie zur Zielscheibe von Bigotterie machte. «Früher fühlte ich Ablehnung, Gleichgültigkeit und Ungeduld, vor allem, wenn ich mit Kellnerinnen sprach oder auf der Strasse nach dem Weg fragte», sagt sie. «Ich glaube, das liegt daran, dass sich die Wirtschaft auf dem Festland entwickelt hat», erzählt sie weiter. «Hongkong ist im Vergleich dazu nicht so besonders.»

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quelle: shutterstock / peter galleghan
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23 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Snowy
12.05.2023 09:56registriert April 2016
Waas?!
Chinesische Reisegruppen fallen unangenehm auf?
Und dann noch in Hong Kong??

Als nächstes beschwert sich noch jemand über sich daneben benehmende junge Russen und Israelis in Asien und Südamerika.
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smoothdude
12.05.2023 09:44registriert Februar 2016
"... in der chinesischen Hauptstadt Hongkong" - Hä?

Darüber hinaus ist das Problem wohl einiges komplexer, da die Hongkonger ihre Eigenständigkeit bewahren wollen und sich seit den letzten Jahren mit zunehmend massiver chinesischer Propaganda und Einflussnahme konfrontiert sehen.
Dazu weiss jeder, der schon einmal in Hongkong und China war, dass der Unterschied der Mentalität sowie Anstand und Sitten riesengross ist.
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manuel0263
12.05.2023 10:21registriert Februar 2017
Leider ist Hongkong auch ein gutes Beispiel dafür, was Versprechen/ Verträge von/ mit China wert sind. Die Vision Ein Land, zwei Systeme hat nicht einmal die Hälfte der vereinbarten 50 Jahre überlebt. Peking erträgt keine (noch so kleinen) Freiheiten und will die absolute Kontrolle. Taiwan muss China buchstäblich ein Dorn im Auge sein.
Ich wünsche mir sehr, ich würde mich irren.
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