Das Coronavirus trat von der chinesischen Metropole Wuhan aus seinen fatalen «Triumphzug» um die Welt an. Das hat der Volksrepublik China heftige Kritik eingetragen. US-Präsident Donald Trump spricht vom «Wuhan-Virus» oder «China-Virus», sofern er es überhaupt noch erwähnt. Damit lenkt er nicht zuletzt vom eigenen Versagen ab.
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Eine ähnliche Strategie wählte die chinesische Regierung. Als die Pandemie in immer mehr Ländern wütete, schickte sie Schutzmasken und anderes medizinisches Material im Sinne einer humanitären Geste. Mit dieser «Maskendiplomatie» genannten Charmeoffensive wollten die Chinesen ihr Image aufpolieren und gleichzeitig ihren Einfluss ausweiten.
Was hat dies konkret gebracht? Zwei Forscherinnen der Universität Stanford in Kalifornien haben mehr als 3000 Tweets von elf staatlichen Medien ausgewertet, die zwischen dem 18. Januar und dem 30. Mai gepostet wurden. Das Projekt ist Teil einer Studie zu den Dynamiken der Desinformation mit Bezug zur Coronakrise.
Dabei zeigte sich, dass die chinesischen Medien ihre eigenen Hilfslieferungen gefeiert und diejenigen heruntergespielt haben, die sie zu Beginn der Pandemie von anderen Ländern erhalten hatten. So hatten mehrere EU-Länder im Februar mehr als 56 Tonnen Material nach China geschickt, darunter neben Schutzanzügen auch Masken.
Zu den Spendern gehörte neben Deutschland und Frankreich auch Italien, das kurz danach selber heftig von der Pandemie getroffen wurde. Die chinesische Propaganda liess sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Laut der Stanford-Auswertung wurde kein Land in den Tweets so oft erwähnt wie Italien. Die Maskendiplomatie Richtung Europa zeigte Erfolge.
Kanton Bern erhält 15'000 Schutzmasken aus China! 😲 https://t.co/wtlo0Uxj6h #COVID19 pic.twitter.com/Tnk6iUjWrB
— Martin Steiger (@martinsteiger) March 20, 2020
So verlor die EU in Italien zeitweise an Rückhalt, während Aussenminister Luigi Di Maio die Hilfe aus Peking lobte. Besonders positiv war die Resonanz in Osteuropa, vor allem in Serbien und Ungarn. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic küsste die chinesische Flagge. Sogar die Schweiz geriet ins Visier der chinesischen Maskendiplomatie.
This is not a donation. Italy will *buy* from China the ventilators and all the rest https://t.co/0ULYZDOBul https://t.co/wWezMIqTt9
— Lucrezia Poggetti (@lucrepogge) March 10, 2020
Der Effekt war nicht von Dauer. Inzwischen überwiegen die negativen Einschätzungen. So war das gelieferte Material teilweise von schlechter Qualität. Häufig handelte es sich gar nicht um Spenden: Die Empfänger hatten die Masken in China bestellt und bezahlt. Schlecht aufgenommen wurden chinesische Forderungen nach öffentlichem Lob.
Der polnische Präsident Andrzej Duda musste sich telefonisch bei Amtskollege Xi Jinping bedanken. In Deutschland kam es laut der «Welt am Sonntag» zu entsprechenden Vorstössen bei Mitarbeitern von Ministerien. «Damit schiessen sie sich in den eigenen Fuss», sagte Thorsten Brenner vom Global Public Policy Institute in Berlin der Website Axios.
Ein weiterer Schwerpunkt der chinesischen Anstrengungen betraf Japan. Die beiden Länder verbindet ein schwieriges Verhältnis, weil sich Japan nur zögerlich zu den in China begangenen Kriegsverbrechen bekennen will. Die Coronakrise scheint das Verhältnis nun zu verbessern. So hat Japan zuerst China geholfen, danach war es umgekehrt.
#COVID19 brings Japan and China together! China donates nucleic acid testing kits to Japan to reciprocate Japan’s support to China’s virus fight. https://t.co/ZQUds7IsmT pic.twitter.com/XuzH5Xuf4V
— Global Times (@globaltimesnews) February 20, 2020
Peking äusserte seine Dankbarkeit gegenüber Japan vergleichsweise deutlich, während es Tokio «weitgehend vermieden hat, China für das Virus verantwortlich zu machen», heisst es im Stanford-Report. Ein wichtiger Teil der Aussenpolitik des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe sind demnach bessere Beziehungen mit China.
China wiederum bemüht sich, seinen Einfluss in der Region auszuweiten. Die grosszügigen Hilfslieferungen nach Japan und Südkorea lassen sich als Versuch interpretieren, die beiden traditionell mit den USA verbündeten Länder stärker an sich zu binden.
Ganz anders sieht es im Fall von Kanada aus. Das Verhältnis zwischen den beiden Staaten ist belastet, seit Meng Wanzhou, die Finanzchefin des Telekom-Riesen Huawei und Tochter von Firmengründer Re Zhengfei, im Dezember 2018 aufgrund eines US-Haftbefehls in Vancouver verhaftet worden war. Im Gegenzug wurden zwei Kanadier in China in Gewahrsam genommen.
Chinese telecommunications giant #Huawei has been quietly shipping millions of masks and other protective equipment to #Canada to help front-line medical workers to cope with the deadly #coronavirus outbreak in Canada.
— China Daily (@ChinaDaily) April 9, 2020
Die Coronakrise bot eine Chance zur Entspannung. So schickte Kanada Anfang Februar 16 Tonnen Hilfsgüter nach China. Peking revanchierte sich auf spezielle Art. Mehrere Tweets chinesischer Medien erweckten den Eindruck, das gelieferte Material stamme von Huawei. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau liess sich davon wenig beeindrucken.
Ende Juni wurden die beiden Kanadier wegen Spionage angeklagt, nachdem Meng Wanzhous Gesuch auf Einstellung des Verfahrens abgelehnt worden war. Ein Sprecher des Aussenministeriums in Peking meinte, ein Stopp der Auslieferung an die USA wäre «hilfreich, um das Problem der beiden kanadischen Bürger zu lösen».
Das erhärtet die Vermutung, dass China in diesem Fall nicht Masken-, sondern Geiseldiplomatie betreibt. Für die Stanford-Forscherinnen ist das Fazit der chinesischen Charmeoffensive im besten Fall durchzogen. Ab Mitte April habe die Zahl der Tweets deutlich abgenommen, nachdem auch chinesische Akademiker Kritik geübt hätten.
Sie zielt auf die «Wolfskrieger». So werden Diplomaten genannt, die auf dem internationalen Parkett zunehmend selbstbewusst bis aggressiv auftreten. Was eher hinderlich sein dürfte, wenn man das Image des Corona-Urhebers loswerden und sich als Wohltäter inszenieren will. In Sachen Softpower hat Peking jedenfalls Luft nach oben.
Made in China umgeh ich wo ich kann.