China müsste dringend seine Strategie zur Bekämpfung der Pandemie ändern. In Diktaturen sind Kurswechsel aber schwierig, weil der Diktator einräumen müsste, dass er auf neue Lage nicht angemessen reagiert hat.
Seit Ende März ist Schanghai in einem Lockdown. In der chinesischen Wirtschaftsmetropole mit 26 Millionen Einwohnern bedeutet das eine strikte Ausgangssperre. Vielen Menschen, die in ihren Wohnungen eingesperrt sind, gehen die Lebensmittel aus. Und auch die Versorgung mit Medikamenten klappt nicht überall.
China ist gefangen in der Null-Covid-Strategie. Wo immer es zu Ansteckungen kommt, greifen die Behörden zu rigorosen Abschottungen einzelner Wohnblöcke oder Stadtviertel. In Kombination mit Massentests und dem sogenannten Contact Tracing soll so die Ausbreitung des Virus möglichst eingedämmt werden.
Die Massnahmen, die das chinesische Regime anordnet, sind ausserordentlich hart – aber solange die Alpha- und die Deltavariante des Coronavirus zirkulierte, wies Peking stolz auf die vergleichsweise sehr tiefe Zahl von Verstorbenen hin. Im Januar 2021 erklärte Präsident Xi Jinping, man könne klar erkennen, welches politische System am besten mit der Pandemie umgehe.
Nun werden in den demokratischen Ländern des Westens die Corona-Restriktionen aufgehoben. China ist hingegen überfordert mit Omikron. Die Null-Covid-Strategie funktioniert bei der hochansteckenden Variante nicht. Trotz der Verhängung von Ausgangssperren steigen die Infektionszahlen.
In China kommt erschwerend hinzu, dass die im Land hergestellten Impfstoffe gegen die Omikron-Variante keinen guten Schutz bieten. Vakzine aus dem Ausland lässt das Regime nicht zu. Das ist keine Frage der Wirksamkeit, sondern einzig des nationalen Prestiges. Schwache Impfmittel und der Null-Covid-Ansatz führen dazu, dass die Immunisierung der chinesischen Bevölkerung gegen das Virus tief ist.
Das führt jetzt in ein Desaster. Eine Millionenstadt wegen der Omikron-Variante abzuriegeln, ist völlig unverhältnismässig. Es würde genügen, vor allem Risikogruppen zu schützen. Aber auch junge und gesunde Menschen müssen in den eigenen vier Wänden ausharren.
China bezahlt einen hohen Preis für die Sturheit des Regimes. Es zieht seine Linie hart durch, zeigt sich aber überfordert mit der Aufgabe, Millionen von Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. Dass infizierte Kleinkinder von ihren Eltern getrennt wurden, führte zu heftigen Protesten.
Xi Jinping rechtfertigt das totalitäre System damit, dass es Hunderte Millionen Menschen aus der Armut geführt habe. Das schnelle wirtschaftliche Wachstum ist ihm Rechtfertigung dafür, dass in China viele Menschenrechte missachtet werden. Nun korrigieren die Analysten die Wachstumszahlen für das laufende Jahr nach unten.
In Schanghai stehen Fabriken still, Lieferketten sind unterbrochen, und der riesige Frachthafen ist zwar nicht stillgelegt, operiert aber mit reduzierter Kapazität. In China gibt es 100 Städte mit mehr als einer Million Einwohner. Es ist unvermeidlich, dass sich die Omikron-Variante bald überall ausbreitet.
Für China wäre es verheerend, würde das Regime eine Grossstadt nach der anderen abriegeln. Danach sieht es aber aus. Die Diktatur scheint unfähig, schnell auf eine neue Lage zu reagieren. Null-Covid ist ein Dogma. Die westlichen Demokratien haben mit ihren wechselnden Rezepten die Pandemie schneller hinter sich gelassen.
Xi Jinping will im Herbst von der Kommunistischen Partei für seine bereits dritte fünfjährige Amtszeit als überragender Führer Chinas bestätigt werden. Ein anderer Umgang mit der Pandemie ist von ihm höchstens in Ansätzen zu erwarten. Die Partei wird darauf achten, dass kritische Stimmen zum Verstummen gebracht werden. Der Diktator hat immer recht. Auch wenn er sich in offensichtlicher Weise täuscht. (aargauerzeitung.ch)
Tja, Hochmut kommt vor dem Fall.