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Ampel-Aus: Scholz will im Januar Vertrauensfrage stellen

Video: watson/Michael Shepherd

Scholz macht Weg für Neuwahlen frei – FDP zieht sich komplett aus Ampel-Regierung zurück

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz will die Vertrauensfrage im Parlament stellen und eine Entscheidung über eine vorgezogene Neuwahl ermöglichen. Alle News und Reaktionen im Überblick.
06.11.2024, 20:1007.11.2024, 10:08
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Die Ampel-Koalition ist zerbrochen. Nach einem erbitterten Richtungsstreit vor allem über den künftigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik kündigte der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) an, Finanzminister Christian Lindner (FDP) aus dem Kabinett zu schmeissen. Die Wählerinnen und Wähler können sich nun im März auf vorgezogene Neuwahlen einstellen.

Der Bundestag solle am 15. Januar über eine Vertrauensfrage abstimmen, sagte Scholz in Berlin. Erwartet wird, dass er diese verliert. In diesem Fall kann der Kanzler den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Scholz sagte, der Bundestag könne den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimachen, die spätestens Ende März stattfinden könnten.

Hier siehst du Scholz' Pressekonferenz von Mittwochabend:

FDP zieht alle Minister aus Ampel-Regierung ab

Die FDP zieht alle ihre Minister aus der Bundesregierung zurück. Sie wollten ihren Rücktritt geschlossen beim Bundespräsidenten einreichen, kündigte Fraktionschef Christian Dürr in Berlin an. Damit beendet die FDP das Dreierbündnis der Ampel-Koalition.

Dürr sagte, die Richtungsentscheidung für eine «Wirtschaftswende» sei in der Ampel-Koalition nicht möglich gewesen. Die Vorschläge des Kanzlers hätten nicht im Ansatz ausgereicht, um Deutschland wieder wirtschaftlich nach vorn zu bringen. Jetzt sei es an den Wählerinnen und Wählern, eine Richtungsentscheidung für das Land zu treffen. Dürr sagte, die FDP im Bundestag werde in der verbleibenden Zeit der Wahlperiode weiter konstruktiv sein. Über einzelne Projekte werde man dann zwischen allen demokratischen Fraktionen sprechen.

Scholz: Lindner hat mein Vertrauen gebrochen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Finanzminister Christian Lindner schwere Vorwürfe gemacht. Dem FDP-Politiker gehe es um die eigene Klientel und um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei, sagte Scholz in Berlin. Die Unternehmen im Land bräuchten Unterstützung, sagte er mit Blick auf die schwache Konjunktur und hohe Energiepreise. Er verwies zudem auf die internationale Lage mit den Kriegen in Nahost und der Ukraine. «Wer sich in einer solchen Lage, einer Lösung, einem Kompromissangebot verweigert, der handelt verantwortungslos. Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden.»

epa11699948 German Finance Minister Christian Lindner (L) and German Chancellor Olaf Scholz talk at the Chancellery in Berlin, Germany, 03 November 2024. Parts of the so-called traffic light coalition ...
Olaf Scholz (r.) hat von Christian Lindner genug gesehen.Bild: keystone

Scholz warf Lindner vor, in der gemeinsamen Regierungszeit Kompromisse durch öffentlich inszenierten Streit übertönt und Gesetze sachfremd blockiert zu haben. «Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.» Es gebe keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit. «So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich.»

Lindner schlug Neuwahlen vor

Lindner schlug den Angaben zufolge vor, dass die Ampel-Parteien, wie 2005 gemeinschaftlich schnellstmöglich Neuwahlen für Anfang 2025 anstreben sollten, um «geordnet und in Würde» eine neue Regierung für Deutschland zu ermöglichen. Die FDP wäre bereit, noch den Nachtragshaushalt 2024 gemeinsam zu beschliessen und einer geschäftsführenden Bundesregierung anzugehören.

Zuvor hatten die Spitzen von SPD, Grünen und FDP zweieinhalb Stunden beraten, um Wege aus der Ampel-Krise zu finden. Im Kern ging es darum, wie das Milliardenloch im Haushalt 2025 gestopft und die schwer angeschlagene deutsche Wirtschaft wieder auf Trab gebracht werden kann.

Habeck: Ampel-Aus war unnötig

Vizekanzler Habeck bedauerte den Bruch der Ampel-Koalition. Er betonte vor dem Kanzleramt, «dass sich das heute Abend falsch und nicht richtig anfühlt». Obwohl Lösungsmöglichkeiten auf dem Tisch lagen, habe man die Haushaltslücke nicht schliessen können.

Video: twitter/@NurderK

«Die FDP war nicht bereit, diese Wege zu gehen», sagte Habeck. Die Entlassung von Lindner sei letztlich so folgerichtig wie unnötig gewesen.

Lindner wirft Scholz kalkulierten Bruch der Koalition vor

Der entlassene Finanzminister Christian Lindner hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorgeworfen, den Bruch der Ampel-Koalition gezielt herbeigeführt zu haben. «Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition», sagte der FDP-Vorsitzende in Berlin. Damit führe Scholz Deutschland in eine Phase der Unsicherheit.

06.11.2024, Berlin: Christian Lindner (FDP), amtierender Bundesminister der Finanzen und FDP-Parteivorsitzender, gibt nach seiner Entlassung durch den Bundeskanzler ein Pressestatement. Foto: Kay Niet ...
Christian Lindner (FDP) macht Olaf Scholz schwere Vorwürfe.Bild: keystone

Lindner warf SPD und Grünen vor, seine Vorschläge für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert zu haben. Scholz habe lange die Notwendigkeit verkannt, dass Deutschland einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötige. «Er hat die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost», sagte Lindner. «Seine Gegenvorschläge sind matt, unambitioniert und leisten keinen Beitrag, um die grundlegende Wachstumsschwäche unseres Landes zu überwinden, damit wir unseren Wohlstand, unsere soziale Sicherung und unsere ökologische Verantwortung erhalten können.»

Video: twitter/@Freiheit4ev3r

Scholz habe ultimativ von ihm verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen, sagte Lindner. «Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte. Deshalb hat der Bundeskanzler in der Sitzung des Koalitionsausschusses am heutigen Abend die Zusammenarbeit mit mir und der FDP aufgekündigt.»

Rückendeckung aus SPD-Fraktion

Für die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat Bundeskanzler Olaf Scholz Rückendeckung aus der SPD-Fraktion erhalten. Jeder in der Fraktion habe gespürt, dass der Kanzler «eine schwere, aber notwendige Entscheidung» getroffen habe, sagte Fraktionschef Rolf Mützenich nach einer Sitzung der SPD-Abgeordneten.

Dass Lindner dem Kanzler Neuwahlen abverlangen wollte, sei ein «schwerwiegender Vertrauensbruch» gewesen. Scholz habe dem Koalitionspartner geduldig einen Weg für die Modernisierung des Landes aufgezeigt. «Ich hätte mir gewünscht, dass der Finanzminister diesen Weg mitgegangen wäre.»

Scholz schlägt Merz Zusammenarbeit vor

Kanzler Olaf Scholz will Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) anbieten, rasch gemeinsam nach Lösungen zur Stärkung der Wirtschaft und der Verteidigung zu suchen. «Ich werde nun sehr schnell auch das Gespräch mit dem Oppositionsführer, mit Friedrich Merz suchen», sagte der SPD-Politiker in Berlin. Er wolle Merz anbieten, in zwei oder gerne auch noch mehr Fragen, «die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: Bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung», sagte der Kanzler.

epa11662252 Chairman of the Christian Democratic Union (CDU) party and faction Friedrich Merz (R) speaks in front of German Chancellor Olaf Scholz (3-L), German Minister for Economy and Climate Robert ...
Scholz (3.v.l.) erwägt eine Zusammenarbeit mit Friedrich Merz (r.).Bild: keystone

Die Wirtschaft könne nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben, ergänzte Scholz und fügte hinzu: «Und wir brauchen jetzt Klarheit, wie wir unsere Sicherheit und Verteidigung in den kommenden Jahren solide finanzieren, ohne dafür den Zusammenhalt im Land aufs Spiel zu setzen.» Auch mit dem Blick auf die Wahlen in Amerika sei das «vielleicht dringender denn je». Der Kanzler sagte: «Es geht darum, jene Entscheidung zu treffen, die unser Land jetzt braucht. Darüber werde ich mit der verantwortlichen Opposition das Gespräch suchen.»

Markus Söder fordert sofortige Vertrauensfrage

Markus Söder (CSU) schreibt auf X, dass nach dem Ampel-Aus «keine Zeit mehr verloren» gehen dürfe. Deutschland brauche «rasch Neuwahlen und eine neue Regierung». Mit der Vertrauensfrage solle Scholz nicht mehr warten: «Taktische Verzögerungen darf es nicht geben», so Söder. Wenn die Vertrauensfrage sofort gestellt werden würde, wären Neuwahlen bereits im Januar 2025 möglich.

Dobrindt: Vertrauensfrage «so schnell wie möglich»

Die CSU im Bundestag fordert angesichts des Scheiterns der Ampel-Koalition schnelle Klarheit für eine vorgezogene Bundestagswahl. «Es braucht die Vertrauensfrage so schnell wie möglich», sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der Deutschen Presse-Agentur. Er fügte hinzu: «Regierungsvakuum ist keine Option für Deutschland. Wir sind bereit für schnelle Neuwahlen.»

Lindner hatte «Herbst der Entscheidungen» ausgerufen

Lindner hat schon vor einiger Zeit den «Herbst der Entscheidungen» für die Koalition ausgerufen. Er meinte damit vor allem den Haushalt für das nächste Jahr, der am 29. November im Bundestag verabschiedet werden sollte. Daneben ging es ihm um eine Strategie, wie Deutschland aus der Wirtschaftskrise geführt werden soll. Dazu hat er Vorschläge gemacht, die den Streit in der Koalition eskalieren liessen. In seinem Konzept für eine Wirtschaftswende fordert Lindner unter anderem die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener und einen Kurswechsel in der Klimapolitik.

Gegen solche Ideen gab es erheblichen Widerstand bei SPD und Grünen. Habeck war Lindner aber auch einen Schritt entgegengekommen. Er hat sich am Montag bereiterklärt, die nach der Verschiebung des Baus eines Intel-Werks in Magdeburg frei werdenden Fördermilliarden zum Stopfen von Haushaltslöchern zu verwenden.

(mit Material der sda/dpa)

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243 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hundshalter Leno
06.11.2024 20:59registriert September 2023
Ist die FDP Deutschland suizidal oder haben sie vergessen, dass 2-3 Prozent in Umfragen nicht 5% gibt?
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Stambuoch
06.11.2024 21:06registriert März 2015
Wunderbar, jetzt kann man sich von den USA ablenken :D
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Max Dick
06.11.2024 20:56registriert Januar 2017
Fristlos? Sind ja brutale Sitten. Hoffe Lindner kriegt eine grosszügige Abfindung und fällt nicht in ein finanzielles Loch.

Ernsthaft: ist wichtig, dass es alsbald Neuwahlen gibt in Deutschland. Dies noch ein Jahr auszusitzen wäre ein sehr verlorenes Jahr.
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