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«Pro Palästina oder Israel?» – Rosenwasser über die Antwort, die zählt

Anna Rosenwasser, SP-ZH, hoert einem Votum zu, waehrend der Debatte um die Volksinitiative der JUSO "Initiative fuer eine Zukunft", an der Fruehjahrssession der Eidgenoessischen Raete, am Di ...
Hat jüdische Wurzeln, aber kritisiert Israels Regierung: SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser.Bild: keystone

«Pro Palästina oder Israel?» – Rosenwasser über die Antwort, die zählt

Anna Rosenwasser hat jüdische Wurzeln, sitzt für die SP im Nationalrat – und weigert sich, Partei zu ergreifen.
19.06.2025, 18:4819.06.2025, 18:48
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SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser ist an der Sommersession im Bundeshaus, als ihr Handy vibriert.

«We just stepped out of the shelter after a missile attack.»

Es ist eine Nachricht eines Familienmitglieds aus Israel. Rosenwasser, die jüdische Wurzeln hat, postet es auf Instagram. «Das war wahrscheinlich der persönlichste Beitrag, den ich je geteilt habe», sagt Rosenwasser zu watson.

Normalerweise halte sie sich zurück, wenn es um ihre eigene Familie gehe. Zu schnell werde das als politisches Statement gewertet – pro Israel, contra Palästina. «Aber ich habe es gepostet, weil ich mich einsam fühlte», sagt sie. «Und weil mich traurig macht, wie wir über Kriege reden.»

Ihre Story ruft Mitgefühl hervor – und Hass. Sie erhält antisemitische Nachrichten, Beleidigungen. «Seit eineinhalb Jahren ist das viel schlimmer geworden.» Aber auch ein Mensch mit Familie im Iran meldet sich – und sagt: Ich verstehe dich. «Das hat mir sehr geholfen. Es hat mir gezeigt: Ich bin nicht alleine.»

Jubel über Raketen

Seit der Nahost-Konflikt sich ausweitet – nicht nur zwischen Gaza und Israel, sondern auch dem Libanon und Iran – ist der digitale Diskurs eskaliert. TikTok-User jubeln Raketen zu, die israelische Wohnblöcke und Krankenhäuser treffen. Menschen, die noch letzte Woche um palästinensische Kinder trauerten, feiern nun Bilder brennender Tel-Aviv-Vororte. Die Dynamik sei nicht neu. Aber sie sei brandgefährlich. Rosenwasser sagt:

«Ich habe es satt, dass Kriegskonflikte behandelt werden wie ein Hockeyspiel. Als ginge es darum, für ein Team zu sein und gegen das andere. Es ist kein Spiel, es sterben Menschen. Im Falle von Gaza Zehntausende, darunter Tausende von Kindern.»

Sie widerspricht der Idee, man müsse sich entscheiden – pro Palästina oder pro Israel. «Ich bin pro Menschlichkeit. Dass wir in der Schweiz uns für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts einsetzen müssen und dass Zivilistinnen geschützt werden – und zwar überall: in Gaza, in Israel, und in Iran.»

Differenzierung ist wichtig

Rosenwasser hat die israelische Regierung immer wieder kritisiert. Sie hat Vorstösse mitunterzeichnet, die vom Bundesrat eine «klare Verurteilung von Kriegsverbrechen im Gazastreifen» fordern.

Gleichzeitig spricht sie sich für den Schutz der israelischen Zivilbevölkerung aus. So wie sie es für jede Zivilbevölkerung tut – überall dort, wo Menschen unter Beschuss geraten. Auch den Angriff Israels auf den Iran verurteilt sie – er verstosse gegen das Völkerrecht. Doch sie sagt:

«Eine differenzierte Haltung in diesem Konflikt zu haben, ist nicht dasselbe wie so zu tun, als wären alle gleich schuld.»

Diese Unterscheidung – zwischen Regierung und Bevölkerung, zwischen Kritik und Entmenschlichung – werde in vielen Diskussionen ausgelassen. Dabei gehe es darum, dass jedes Menschenleben gleich viel Wert sei. «Ich wünsche keinem Menschen auf dieser Welt, jemals einen Raketenalarm erleben zu müssen. Oder dass er Hunger leidet, sein Haus zerbombt wird oder er fliehen muss», sagt Rosenwasser.

Sich Sorgen zu machen, um Familienmitglieder oder um unschuldige Zivilisten, sei keine Frage von Landesgrenzen, sondern von Menschlichkeit. Doch in der Öffentlichkeit werde dieses Gefühl oft gewertet, gewichtet, aufgerechnet. Wer sagt, er habe Angst um Verwandte in Israel, müsse sich erklären.

Anna Rosenwasser, SP-ZH, spricht waehrend der Debatte um die Volksinitiative der JUSO "Initiative fuer eine Zukunft", an der Fruehjahrssession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 18. Ma ...
«Sich Sorgen zu machen um Familienmitglieder, ist keine Frage von Landesgrenzen»: Anna Rosenwasser.Bild: keystone

Als Politikerin anerkenne sie, dass die Machtverhältnisse im Krieg asymmetrisch seien. Sich angesichts der Gewalt in eine Ohnmacht verleiten zu lassen, führe «häufig zu schlechten Entscheidungen und Empathielosigkeit». Unschuldig daran seien die sozialen Medien nicht.

Mitgefühl als Minimum

In den sozialen Medien würden Positionen gefordert, bevor man nachdenken könne. Sie belohnen Reaktion statt Reflexion, sagt Rosenwasser.

«Viele Menschen glauben, sie müssten sofort eine Haltung nach aussen tragen. Aber manchmal hat man keine Meinung – sondern nur Gefühle. Sich eine Haltung zu erarbeiten, darf Zeit brauchen.»

Als ehemalige Journalistin glaubt Rosenwasser an die Kraft der Einordnung. Und an die Notwendigkeit des Innehaltens. «Kriegsberichterstattung versetzt uns in Alarm. Aber gerade dann brauchen wir Kontext – nicht nur Schlagzeilen.»

Sie kritisiert Schweizer Medien, wenn «sie Kriegsverbrechen der israelischen Armee verharmlosen». Aber sie verteidigt den Beruf: «Verifizieren, kontextualisieren, einordnen – das ist der einzige Weg, dem Elend zu begegnen.» Was sie fordere, seien nicht weniger Emotionen. Sondern mehr Bewusstsein dafür, dass Gefühle nicht immer eine Meinung sein müssen.

Aber in menschenfeindliche Haltungen zu verfallen, nütze den Kriegsbetroffenen nichts. Anna Rosenwasser sagt nicht: Entscheidet euch für Israel. Oder für Gaza. Sie sagt: «Entscheidet euch für die Zivilbevölkerung. Für Empathie. Für Würde.»

Denn Mitgefühl sei das Letzte, was bleibe – und das Minimum an Menschlichkeit.

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250 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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JBV
19.06.2025 18:58registriert September 2021
«Viele Menschen glauben, sie müssten sofort eine Haltung nach aussen tragen. Aber manchmal hat man keine Meinung – sondern nur Gefühle. Sich eine Haltung zu erarbeiten, darf Zeit brauchen.»

Wahre Worte. Und selbst wenn man eine Meinung hat, so ist diese nicht in Stein gemeisselt, sie kann sich in solch einem komplizierten Konflikt auch je nach Informationen und vorliegenden Fakten verändern.
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B-M
19.06.2025 19:03registriert Februar 2021
Danke für diesen Beitrag. Ich kann ihre Aussagen unterschreiben.
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olmabrotwurschtmitbürli #wurstkäseszenario
19.06.2025 19:05registriert Juni 2017
Nicht meine Linie, jedoch eine sehr schöne und würdige Position.
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