Wer in der alten Bundesrepublik sozialisiert wurde, dem muss die politische Landschaft der ostdeutschen Länder vorkommen wie ein Dschungel: Dunkel, unübersichtlich und vielleicht auch ein wenig unheimlich. Stärkste Partei im Osten ist laut Umfragen die AfD; dem neuen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) werden von den Demoskopen zwischen 15 und 20 Prozent prophezeit, während Sozialdemokraten und Grüne vielerorts nur noch im einstelligen Bereich rangieren.
Die Christdemokraten schlagen sich dagegen wacker, haben allerdings Schwierigkeiten, Bündnispartner zu finden: Da sie mit der AfD nicht zusammengehen wollen, mussten sie in der Vergangenheit in einigen Ländern buntscheckige «Kenia»- oder «Jamaika»-Koalitionen mit Partnern links der Mitte eingehen. CDU-Stammwähler, die im Osten meist konservativer sind als im Westen, sahen dies nicht gern, sodass sich die Christdemokraten in einem Teufelskreis wiederfanden.
Nun scheint sich für die CDU ein Ausweg zu bieten: Koalitionen mit dem BSW. In Sachsen und Thüringen, wo am 1. September neue Landtage gewählt werden, dürfte ein Bündnis zwischen CDU und BSW jeweils auf eine klare Mehrheit kommen; in Brandenburg, das am 22. September wählt, könnte es knapp reichen, wenn beide Parteien in den nächsten Wochen noch einige wenige Prozentpunkte zulegen würden.
Natürlich ist die Parteigründerin Sahra Wagenknecht, die sich in Nachwendezeiten als Kommunistin bezeichnete und heute Wähler am linken wie am rechten Rand anspricht, für die CDU alles andere als eine Wunschpartnerin. Allerdings sind SPD und Grüne in Sachsen und Thüringen mittlerweile so schwach, dass die Christdemokraten selbst in Dreierbündnissen mit ihnen keine Mehrheiten mehr erreichen dürften.
Also setzt die CDU auf Pragmatismus: Auf Bundesebene werde es keine Zusammenarbeit mit dem BSW geben; was in den Ländern geschehe, müsse dort entschieden werden, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Wochenende. Darüber, dass Wagenknecht für eine rasche Verständigung mit Russland und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine eintritt, schien Linnemann hinwegsehen zu wollen. Über Aussen- und Sicherheitspolitik, so wird sich der CDU-Mann gedacht haben, wird schliesslich in Berlin entschieden, nicht in Erfurt oder Dresden.
Tatsächlich verbindet Christdemokraten und Wagenknechtler manches: In der Migrationspolitik tritt das BSW für mehr Härte ein, was dem Kurs entspricht, den die CDU unter Friedrich Merz eingeschlagen hat. Finden würde man sich womöglich auch in der Bildungspolitik, über die vornehmlich auf Länderebene entschieden wird: Wagenknecht, die gerne Thomas Mann liest und vieles von Goethe und Schiller auswendig kennt, neigt ähnlich wie konservative Christdemokraten einer Schulpolitik zu, in der traditionelle Bildungsgüter ihren Platz behalten.
Gerade die Namensgeberin des BSW könnte sich auf dem Weg zu einer Zusammenarbeit allerdings als Hindernis erweisen. Mögliche Landesregierungen müssten «bundespolitisch klar Position für Diplomatie und gegen Kriegsvorbereitung beziehen», sagte Wagenknecht am Montag.
Der thüringische CDU-Chef Mario Voigt kam ihr prompt entgegen und forderte ebenfalls mehr diplomatische Anstrengungen. Doch westdeutsche Christdemokraten widersprachen ihm. So wurde der Graben zwischen Ost und West sichtbar, der die CDU in ihrer Haltung zur Ukraine durchzieht. Ob Wagenknecht die Absicht hatte, dies vorzuführen, weiss nur sie selbst.
Vielleicht wollte sie auch nur eine Bedingung stellen, von der sie dachte, dass die CDU sie nicht erfüllen kann - und so ihre eigenen, teilweise pragmatisch orientierten Parteikollegen in Thüringen ausbremsen, die gerne mitregieren würden. Denn ein BSW, das Verantwortung übernimmt, dürfte es schwerer haben, Proteststimmen einzusammeln.
Womöglich steht Wagenknecht das Schicksal ihrer bisherigen Partei, der Linken, vor Augen: Je mehr diese als Teil des Establishments wahrgenommen wurde, desto weniger konnte sie ihre Rolle als Stimme des Ostens ausspielen. Dadurch verlor die Linkspartei nicht nur Wähler an die AfD, sondern ebnete auch den Weg für Wagenknechts Neugründung. (aargauerzeitung.ch)