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Warum Macron trotz allem stundenlang mit Putin spricht

French President Emmanuel Macron, center, chairs a Defense Council on the war in Ukraine, at the Elysee Palace in Paris, Feb. 28, 2022. Within days, Russian President Vladimir Putin has achieved what  ...
Der französische Präsident Emmanuel Macron versucht zwischen dem Westen und Wladimir Putin zu vermitteln. Bild: keystone

«Du begehst einen schweren Fehler»: Warum Macron trotz allem stundenlang mit Putin spricht

Emmanuel Macron spricht weiter mit Wladimir Putin – stundenlang, frontal, aber bisher erfolglos. Warum tut sich das der französische Präsident an?
06.03.2022, 21:31
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Die Atmosphäre wird zunehmend frostig, auch wenn sich die zwei Präsidenten duzen. Am Sonntag telefonierten sie ein weiteres Mal miteinander. Am letzten Donnerstag war es Putin gewesen, der Macron anrief. Auch Autokraten haben offenbar das Bedürfnis, sich mit ihresgleichen auszutauschen.

«Du begehst einen schweren Fehler: Die Ukraine ist kein Nazi-Regime. Das zu behaupten, wäre eine Lüge.»
Emmanuel Macron

Anderthalb Stunden dauerte das neuerliche Videogespräch, doch zu einer Annäherung der Standpunkte kam es nicht. Während die russischen Panzer in der Ukraine angreifen, mutierte das Gespräch zu einem verbalen Schlagabtausch. Putin wollte Macron «informieren», dass er die Ukraine zu «entnazifizieren» gedenke. Macron erwiderte: «Du begehst einen schweren Fehler: Die Ukraine ist kein Nazi-Regime. Das zu behaupten, wäre eine Lüge.»

Der russische Präsident fuhr dagegen fort, die Dinge zu verdrehen; er warf den Ukrainern vor, «Sniper» einzusetzen und «Kriegsverbrechen» zu begehen. Nachdem er die russischen Atomwaffen in Alarmbereitschaft versetzt hat, wirft er dem Westen gar vor, dieser drohe mit seinem Nukleararsenal.

Macron ist gewarnt

Macron kennt die Tricks seines Gegenübers mittlerweile: Anderen vorzuwerfen, was man selber im Schild führt - darin ist Putin unübertroffen. Aber der junge französische Präsident spricht weiter mit dem Kreml-Herrscher. Falsche Illusionen hat er nicht. Sein erstes Ziel ist es, gegenüber Putin im Gespräch zu bestehen. Vielleicht hat er das Beispiel seines Vorvorgänger Nicolas Sarkozy vor Augen: Der war am G8-Gipfel von 2007 aus einer Privatunterredung mit Putin getaumelt, als habe er einen KO-Schlag erhalten.

Macron ist aus härterem Holz, er kann bei aller Höflichkeit genauso kalt sein wie Putin. Und naiv ist er nicht. Über 13 Telefonate seit Beginn der Ukrainekrise hat er sich Putins Respekt erworben. Gleich nach seiner Wahl im Jahr 2017 hatte er ihn in Schloss Versailles mit grossem Pomp empfangen. Gemeinsam eröffneten sie eine Ausstellung über den Besuch des Zaren Peter dem Grossen im Jahr 1717 bei Ludwig XV.

Dann warnte Macron den Gast aber sehr direkt vor einem Giftgaseinsatz in Syrien. Von Journalisten gefragt, was er gegenüber Putin eigentlich bezwecke, erklärte Frankreichs frischgewählter Präsident damals, er wolle «mit allen reden - aber Klartext sprechen».

Dieser Devise folgt Macron auch jetzt. Vor dem russischen Truppeneinmarsch vermittelte er mit dem Etikett des EU-Ratsvorsitzenden. Jetzt könnte er den Draht zu seinem Duzfeind kappen. Aber er erhält ihn aufrecht. Dass er allein und hartnäckig weitermacht, hat tiefe Gründe, die bis in seine Psyche reichen. Macron habe eine fast panische Angst vor Konflikten, die ausarten, berichten Freunde und Bekannte. Selbst seine Haltung in der politischen Mitte zeuge von seinem Urbedürfnis, zwischen den politischen Fronten zu schlichten.

Vorsprung in den Wahlumfragen

Diese Stellung wahrt der Franzose auch international, indem er die Stimme Europas zwischen Nato und Russland einzubringen versucht. Innenpolitisch erlaubt ihm der Kontakt zu Putin zudem, über den Parteien und dem Präsidentschaftswahlkampf zu stehen - ganz der Staatsmann, der gegen die Grossen dieser Welt um den Frieden ringt.

Dieser Simultaneinsatz auf mehreren Ebenen würde manch einen abhalten - Macron sagt er zu. Dabei ist sein Vorgehen nicht ohne Gefahr: Unterliegt er Putin in den beinharten Videocalls, deren wichtigste Passagen sogleich via Elysée- und Kreml-Briefings in Umlauf kommen, dann verliert er auch seinen unangefochtenen Status im laufenden Präsidentschaftswahlkampf.

A young girl holds a placard depicting Russian President Vladimir Putin during a protest against the Russian invasion of Ukraine, outside the Russian Embassy in Tel Aviv, Israel, Saturday, March 5, 20 ...
Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin werden Kriegsverbrechen vorgeworfen.Bild: keystone

In den letzten Tagen hat der Wiederwahlkandidat seinen Vorsprung hingegen noch ausgebaut: Über 30 Prozent werden ihm nun gutgeschrieben, doppelt so viel wie den Pro-Putin-Kandidaten Eric Zemmour oder Marine Le Pen. 68 Prozent der Franzosen geben an, dass der Krieg in der Ukraine ihr Stimmverhalten beeinflussen werde. Und das spricht momentan klar für Macron.

Die konservative Kandidatin Valérie Pécresse wirft dem amtierenden Präsidenten vor, er habe sich von Putin «manipulieren und instrumentalisieren» lassen. Der Vorwurf ist über das Kandidatenfeld hinaus hörbar. «Man kann sagen, dass Putin Macron zum Besten hält», meint etwa der Pariser Politologe Pascal Boniface. Macron habe sicher recht gehabt mit seinem Versuch, die militärische Offensive zu verhindern. Aber jetzt sei es zu spät dafür.

Irgendwann könnte auch Macron genug haben

Die Macron-Berater wenden ein, der Vermittlungsversuch bleibe gefragt, und sei es nur, um den Kreml-Chef in seiner paranoiden Selbstabschottung noch zu «erreichen». Der Präsident denke heute, dass Putin «sehr entschlossen» sei und wohl erst innehalten werde, wenn die ganze Ukraine unter seiner Kontrolle sei.

Macron wird weiter mit den Worten zitiert: «Das Schlimmste liegt noch vor uns.» Er zeige sich zunehmend «pessimistisch» In Paris fragen sich viele, ob er damit das Scheitern seiner Bemühungen vorwegnehmen will. Das Elysée entgegnet: «Wenn Wladimir Putin beschliesst, die Dinge anders anzupacken, ist noch ein anderer Weg möglich.» Aber nur dann. Nicht ausgeschlossen, dass der Mann im Elysée langsam auch genug hat, von seinem russischen Amtskollegen hingehalten zu werden. Und wenn sogar Macron nicht mehr an den Erfolg seiner Mission glaubt, dann bleiben nicht mehr viele. (aargauerzeitung.ch)

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quelle: watson / emily engkent
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106 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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olmabrotwurschtmitbürli #wurstkäseszenario
06.03.2022 22:11registriert Juni 2017
Ist doch gut. Offenbar übernimmt Macron die Rolle von Merkel, die oft mit Putin telefonierte.
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Yuni, Subulussalam (#Save_Brahim)
06.03.2022 22:12registriert März 2021
Herr Macron leistet grossartiges.
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Barbara Rodriguez-Frana
06.03.2022 23:11registriert März 2020
Liebes Watson-Team, mit Verlaub, aber Herr Macron ist wahrlich kein Autokrat... bitte korrigieren! Danke.
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