Dreimal schlug Erzbischof Laurent Ulrich mit seinem Hirtenstab an das Hauptportal der Kathedrale. Als die Tür aufging, erschallte aus dem Inneren aus 85 Kinderkehlen der Psalm 121: Notre Dame de Paris ist auferstanden, die Kathedrale ist wieder offen! Gut fünfeinhalb Jahre nach dem verheerenden Dachstuhlbrand, der die Welt erschütterte, übergab Ulrich die von Grund auf renovierte gotische Basilika den Gläubigen und anderen Besuchern – vor dem Brand waren es jedes Jahr 12 Millionen gewesen.
Auf den Quais der Pariser Seine-Insel folgten am Samstagabend Zehntausende dem Anlass, der durch eine «Antiterror-Zone» hermetisch abschirmt war. Im Inneren der Kathedrale waren es 2000 geladene Gäste, und nicht alle hatten einen Sitzplatz. Zeremonienmeister Emmanuel Macron kam als letzter. In einer kurzen Rede dankte er allen Beteiligten, während auf der Vorderfassade von Notre Dame ein «Merci» leuchtete.
Eine Stunde lang konnte sich Macron im Mittelpunkt der Welt fühlen und vergessen, dass er gerade keine Regierung hat. Die Feier begann mit einem Film über den heroischen Einsatz der Feuerwehr, der Dachdecker und Kunsthandwerkerinnen. Dann setzte die riesige Orgel ein – und sie klang nach der Reinigung von 8000 Pfeifenteilen majestätischer denn je.
In der zweiten Hälfte folgten ein «Te Deum» sowie Gospellieder mit dem amerikanischen Sänger Pharrell Williams. Profane Musik gab es nicht: Das hatte sich der Erzbischof verboten. Wegen der strikten Trennung von Kirche und Staat Frankreichs hatte er zuerst auch Macrons Ansprache in ein Festzelt vor der Kathedrale verbannt.
Dem französischen Präsidenten kam aber die Wettervorhersage mit starken Winden und Böen zu Hilfe: Am Freitagabend liess er die ganze Feier ins Innere der Kathedrale zurückverlegen. Also dorthin, wo sich schon Napoleon am 2. Dezember 1804 selber gekrönt hatte. Dort, wo die Nation 1944 die Befreiung von Paris von den Nazis feierte, 1970 Abschied von Charles de Gaulle nahm und 2015 Terroropfer beklagte. Notre Dame sei ein Gotteshaus, aber auch ein Symbol für die «Einheit der Nation», meinte die Historikerin Maryvonne de Saint-Pulgent.
Im Vatikan kam die Macron'sche Vereinnahmung offenbar weniger gut an: Papst Franziskus schlug die drängende Einladung des säkularen Staatschefs aus. Dass er in einer Woche eine Konferenz in Korsika besucht, machte klar, dass die Absage nicht aus Gesundheitsgründen erfolgte.
Auffällig war eine weitere Absenz in dem illustren Kreis von vierzig Staatsoberhäuptern: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reiste entgegen ihrer Ankündigung nicht nach Paris. Unklar war nur, ob sie das von sich aus tat oder ob sie ausgeladen worden war. Der Grund steht jedenfalls ausser Zweifel: Seit Freitag ziehen französische Politiker und Landwirte über das am Freitag geschlossene Mercosur-Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südamerika her. Macrons Präsidialamt liess verärgert wissen, das letzte Wort sei in dieser Frage noch nicht gesprochen.
Dafür kam Donald Trump. Gastgeber Macron schien erleichtert, der innenpolitischen Krise nach dem Sturz seiner Regierung für einen Nachmittag zu entkommen, und traf Trump zu einem bilateralen Gespräch im Elysée-Palast. Er schaffte es, auch den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskiy beizuziehen. Dieser erklärte im Anschluss, das das Dreiertreffen sei «gut und produktiv» verlaufen. Man habe über einen «gerechten Frieden» gesprochen, und: «Wir wollen alle, dass dieser Krieg so schnell wie möglich zu Ende geht.»
Mehr verlautete nicht. Trump war nicht wegen des Ukraine-Krieges nach Paris gekommen, sondern für Notre Dame. Er hatte schon 2019 via Fernsehschirm regen Anteil am Kathedralenbrand genommen und spontan anerboten, Löschflugzeuge nach Paris zu senden; laut Experten hätte dies die Wasserschäden aber vervielfacht.
Seine erste Auslandreise seit der November-Wahl erklärte Trump damit, der Brand der Kathedrale habe «die USA so tief getroffen wie Frankreich». Mit seiner Präsenz in dem berühmten Gotteshaus wollte er vielleicht erinnern, dass er nach seinem Attentat im Wahlkampf «von Gott gerettet» worden war, wie er es selber formuliert hatte.
In der Kathedrale musste sich die offizielle Vertreterin der USA, die First Lady Jill Biden, mit einem Platz neben Brigitte Macron begnügen, der amerikanische Unternehmer Elon Musk mit einem anonymen Platz in den hinteren Rängen. Macron schenkte seine ganze Aufmerksamkeit dem zukünftigen US-Präsidenten. Die beiden scherzten während der Zeremonie und tauschten Blicke. Trump sprach von einer «great relationship», einer grossartigen Beziehung.
Obwohl sie politisch Welten trennen, schienen sich die zwei geborenen Selbstinszenierer bestens zu verstehen. Vor einem Monat hatte der französische Präsident dem US-Wahlsieger Trump als einer der ersten gratuliert. Das erklärte er unter anderem damit, dass man «Trump nicht Orbán überlassen» solle.
Am Sonntag feiern Katholiken die erste Messe in der auferstandenen Kathedrale um 10.30 Uhr. Es folgt eine Woche mit religiösen Feiern und Konzerten. (aargauerzeitung.ch)