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«Werde ein Antifa-Aktivist» – Kartenspiel sorgt für Kontroverse

«Werde ein Antifa-Aktivist» – Kartenspiel sorgt in Frankreich für Kontroverse

Ein Kartenspiel aus antifaschistischen Kreisen sorgt in Frankreich für eine Kontroverse. Auf Druck von extremen Rechten und aus Polizeikreisen ist das Spiel aus den grossen Regalen verschwunden – sehr zur Freude des Spieleherstellers.
05.12.2022, 21:5206.12.2022, 12:48
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Brett- und Kartenspiele haben während der Weihnachtszeit Hochkonjunktur. Euphorisch sitzen Familien und Freunde zusammen, um gegen ihre Liebsten anzutreten. Spätestens wenn ein Spieler zweimal verliert, beginnt die harmonische Weihnachtsstimmung meistens zu bröckeln.

In Frankreich ist die Spieleuphorie bereits entgleist – zumindest in gewissen politischen Kreisen.

Auslöser der vorweihnächtlichen Disharmonie: Das Kartenspiel «Antifa Le Jeu». Das Spiel hat für eine Kontroverse gesorgt und wurde nach Kritik aus rechten Kreisen und der Polizeigewerkschaft aus den Regalen verbannt. Doch den Urhebern kommt dies gar nicht ungelegen.

Die Kontroverse um das antifaschistische Spiel in vier Punkten:

Das Spiel gegen Rechtsextremismus

Das Kartenspiel «Antifa Le Jeu» ist ein Simulationsspiel, bei dem man antifaschistische Gruppen leiten und Aktionen durchführen muss. Jeder Spieler schlüpft dabei in eine Rolle eines antifaschistischen Aktivisten, der gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Sexismus vorgehen muss.

Eines der möglichen Szenarien: Du musst als Aktivist gegen eine Neonazi-Bande vorgehen, die versucht, deine Region einzunehmen.

Das Spiel ist von langjährigen antifaschistischen Aktivisten, dem Kollektiv La Horde, konzipiert und dem Hersteller zufolge von realen Ereignissen inspiriert worden. Erstmals veröffentlicht wurde das Spiel 2021.

Grosse Nachfrage

Bereits letztes Jahr war das Spiel ein Verkaufsschlager: Dem Spielherausgeber zufolge sei die erste Auflage von 4000 Stück nach wenigen Wochen ausverkauft gewesen. In diesem Jahr ist die Nachfrage noch grösser: Der Nachdruck in leicht abgeänderter Form von weiteren 4000 Exemplaren sei nach wenigen Stunden vergriffen gewesen.

Polizei erzwingt Verkaufsverbot

Die ersten negativen Stimmen gab es bereits bei der Erstauflage im Jahr 2021 – doch sie blieben ungehört.

Damals schrieb Nicolas Cresson auf Twitter: «Diese Selbstgefälligkeit gegenüber diesen extremistischen Gruppen ist inakzeptabel.» Cresson ist Mitglied des Nationalrats der Front National (RN), einer rechtsextremen Partei in Frankreich. Seine Worte richtete er direkt auch an Fnac, eine französische Handelskette, die weltweit Unterhaltungsprodukte verkauft.

Doch der Tweet im Dezember 2021 war nicht die Zündschnur, welche die Kontroverse auslöste. Fnac reagierte zunächst nicht, bis im November 2022 ein weiterer Politiker der Front National einschritt, als die Neuauflage gerade auf den Markt kam. Der rechte Politiker Grégoire de Fournas prangert das Spiel und den Vertreiber auf Twitter an:

«Feld 1: Ich blockiere eine Universität

Feld 2: Ich verprügle einen rechten Aktivisten

Feld 3: Ich greife eine Versammlung der RN an
[Anm. d. Red.: RN = Rassemblement National, rechtsextreme Partei Frankreichs]

Feld 4: Ich werfe einen Molotowcocktail auf die CRS
[Anm. d. Red.: CRS = Compagnies Républicaines de Sécurité, Bereitschaftspolizei]

Fnac, schämt ihr euch nicht?»

Nun nahm die Geschichte Fahrt auf. Auf Druck der Gewerkschaft der nationalen Polizeikommissare (SCPN) wurde das Spiel schliesslich aus dem Verkauf genommen, da es zu Gewalt aufrufe.

«Wir verstehen, dass die Vermarktung dieses Spiels einige unserer Zielgruppen möglicherweise beleidigt hat. Wir tun alles Notwendige, um sicherzustellen, dass es in den kommenden Stunden nicht mehr verfügbar ist», untschuldigte sich der französische Konzern Fnac auf Twitter.

Nachfrage explodierte

Doch dies ist nicht das Ende der Geschichte – schon gar nicht das Ende von «Antifa Le Jeu».

Der Klimajournalist der französischen Zeitung «Mediapart» kritisierte Grégoire de Fournas. Er warf dem Politiker falsche Behauptungen vor: «Diese Felder existieren in diesem Spiel nicht. Fnac zog das Spiel zurück, nachdem diese falsche Behauptung veröffentlicht wurde.»

Fnac hat darauf nicht geantwortet. Grégoire de Fournas hingegen schon. Er gesteht, dass sein Tweet «ironisch» gemeint war:

«Nur die Linke tut so, als würde sie nicht verstehen, dass dieser Tweet ironisch gemeint war, weil ihr die Realität der Antifa-Milizen peinlich ist, die Unis blockieren, rechte Aktivisten verprügeln und Molotowcocktails auf Polizisten werfen.»

Fakt ist: Für die Herausgeber ist die Kontroverse um das Spiel ein voller Erfolg. Kurz nach dem Rückzug twitterte der Verleger, dass das Spiel sowieso ausverkauft sei.

Die nächste Auflage sei bereits in Produktion. Pünktlich zu Weihnachten wird das Spiel aber wohl nicht mehr erhältlich sein: «Aufgrund von Papierknappheit wird dies jedoch einige Wochen dauern und wir können erst im Januar liefern», schreibt der Herausgeber.

(cst)

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83 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Uhu-ciao
05.12.2022 22:12registriert August 2022
Jetzt versuchen die rechten Schneeflöckchen schon ein Kartenspiel zu canceln. Das wird man doch wohl noch spielen dürfen!
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In vino veritas
05.12.2022 23:57registriert August 2018
Wo kann ich es bestellen? Ich bezahle gerne das zusätzliche Porto für die Lieferung nach Herrliberg.
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Elmas Lento
05.12.2022 23:18registriert Mai 2017
Ein rechtsextremer Politiker schafft es also mittels einer Lüge, dass ein antifaschistiaches Spiel aus dem Verkauf genommen wird. Die Polizeigewerkschaft glaubt die Lüge ungeprüft und fungiert dadurch als Multiplikator. Dann hoffe ich mal, dass die Polizei bei ihrer normalen Arbeit die Hinweise besser prüft als ihre twitterer...
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