Angela Merkel kann es derzeit kaum jemandem recht machen. Für die einen ist die deutsche Kanzlerin zu nachgiebig gegenüber den Griechen, sie verlangen eine harte Haltung bis hin zum Grexit, dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Andere verurteilen ihre «unmenschliche» Austeritätspolitik und fordern Zugeständnisse an Athen. Seit dem Nein der Griechen vom Sonntag ist Merkel mehr denn je in dieser Zwickmühle gefangen.
Freiwillig ist sie nicht hinein geraten. Deutschland ist das grösste und stärkste der 19 Euroländer und muss wohl oder übel die undankbare Führungsrolle übernehmen. Bislang hat sie im Verbund mit Finanzminister Wolfgang Schäuble die harte Linie vertreten, und sie ist damit keineswegs allein. Die griechische Regierung hat es geschafft, die meisten Euroländer gegen sich aufzubringen. Nur wenige, allerdings einflussreiche Freunde sind ihr geblieben.
Auf relativ grosses Verständnis konnte Ministerpräsident Alexis Tsipras bislang in Frankreich und Italien zählen, nicht aus Sympathie, sondern aus Eigennutz. Die zweit- und die drittgrössten Volkswirtschaften der Eurozone leiden ähnlich wie Griechenland unter einem Reformstau, einer lahmenden Wirtschaft und – vor allem Italien – einer hohen Staatsverschuldung. Ein Grexit könnte beide Länder in Mitleidenschaft ziehen, vor allem durch steigende Zinsen für Staatsanleihen.
L'avenir de la Grèce est dans la Zone Euro, c'est aussi l'avenir de l'Europe. La France ne ménagera pas sa peine pour trouver un accord.
— François Hollande (@fhollande) July 7, 2015
Der französische Präsident François Hollande betonte vor dem Sondergipfel vom Dienstag, Griechenland müsse in der Eurozone bleiben. Ministerpräsident Manuel Valls sagte in einem Interview, eine Umschuldung dürfe kein Tabu mehr sein. «Europa steht auf dem Spiel», warnte Valls. Italiens Premier Matteo Renzi bot sich als Vermittler zwischen Athen und Brüssel an, ausserdem schlug er einen «Marshall-Plan» über 35 Milliarden Euro für Griechenland vor.
Sprachlich, religiös und kulturell eng mit Griechenland verbunden ist Zypern. Präsident Nicos Anastasiades erklärte am Montag, man werde den «grossen Bruder» bei seinen Bemühungen um eine Umstrukturierung der Schulden unterstützen. Zyperns Gewicht ist allerdings relativ gering, ausserdem hat der Inselstaat vor einigen Jahren selber eine schwere Finanzkrise bewältigt. Im Gegensatz zu den Griechen haben die Zyprer die Trendwende geschafft.
Einige Euroländer versuchen, eine ausgleichende Rolle in dem Konflikt zu spielen, zum Beispiel Österreich. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) schloss am Dienstag einen Überbrückungskredit für Griechenland nicht aus. Einem Schuldenschnitt erteilte sein Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) jedoch eine Absage. Eine ähnliche Haltung vertreten Belgien und Luxemburg. Allerdings haben sie sich seit Sonntag der traditionell harten Linie des dritten Benelux-Staats Niederlande angenähert.
Greek people suffering an appalling trauma. Deal needed for certainty, stability & hope.
— Enda Kenny (@EndaKennyTD) July 7, 2015
Irland und Portugal, zwei (ehemalige) Euro-Sorgenkinder, galten lange als Griechenland-freundlich. Vor der Abstimmung versicherte Premierminister Enda Kenny in einem Brief an Alexis Tsipras, Irland habe «grosses Mitgefühl mit Griechenland und seinem Volk». Am Dienstag erklärte er, die Lage sei «schwieriger und komplexer» geworden. Portugal hat die zweitschwächste Wirtschaft in der Eurozone und sich erst halbwegs von der Krise erholt. Nun fürchtet man einen Rückfall.
Malta, das kleinste Euro-Mitglied, war bislang solidarisch mit den Griechen. Nun bezeichnete Finanzminister Edward Scicluna einen Grexit am Dienstag als «realistische Möglichkeit».
Sie sind heute die grösste Gruppe im Euroraum und kommen in erster Linie aus Nord- und Osteuropa. Finnland und die Niederlande haben seit Beginn der Griechenland-Krise eine harte Linie vertreten. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte am Dienstag, Athen müsse «grosse Reformen» akzeptieren, wenn es ein neues Hilfspaket wolle.
Besonders kompromisslos sind die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Sie erlebten bis zur Finanzkrise einen Boom, erlitten einen schweren Absturz und einen Einbruch ihrer Wirtschaftsleistung um bis zu 23 Prozent – gleich viel wie die Griechen. Im Gegensatz zu diesen rappelten sie sich mit einer eisernen Sparpolitik wieder auf. Entsprechend sauer sind sie über die ständigen Bittgänge der Athener Regierung.
Gedankenexperiment in democracy: the other 18 €zone members hold referenda: "Do we raise our taxes to bail out Greece"? The odds of a yes?
— toomas hendrik ilves (@IlvesToomas) July 5, 2015
«Die Zeit des Feierns auf Kosten anderer ist vorbei für Griechenland», sagte die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite. Ihr estnischer Amtskollege Toomas Hendrik Ilves, ein Freund undiplomatisch klarer Worte, fragte sich nach dem Nein vom Sonntag auf Twitter, ob man die anderen 18 Euroländer über eine Steuererhöhung für Griechenland abstimmen lassen sollte. Auch in der Bevölkerung ist das Unverständnis gross, denn das Pro-Kopf-Einkommen im Baltikum ist tiefer als in Griechenland.
Gleiches gilt für die Slowakei, die in den 1990er Jahren eine wirtschaftliche Rosskur durchstehen musste. Wegen der Hilfsgelder für Griechenland wurde 2011 sogar die damalige Regierung abgewählt. Der Chef der liberalen Partei, Richard Sulik, sprach am Montag Klartext: «Die Slowakei ist das ärmste Land der Eurozone. Und jetzt sollen wir zahlen, damit die Griechen ihre überhöhten Renten behalten können – das ist das, was mich ärgert.» Ähnlich äusserte sich Finanzminister Peter Kažimír.
Rejection of reforms by #Greece cannot mean that they will get the money easier
— Peter Kažimír (@KazimirPeter) July 5, 2015
Härte markiert auch Slowenien, das vor einiger Zeit als nächstes Krisenland galt, sich aber aus dem Sumpf befreien konnte. Zu den Hardlinern wird auch Spanien gezählt, das sich gerade von seiner schweren Krise erholt. Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy fürchtet, dass die linksradikale Partei Podemos, die spanische Version von Syriza, durch das griechische Referendum Auftrieb erhält. Im Herbst finden in Spanien Neuwahlen statt.
Am Ende wird wohl Deutschland die Linie gegenüber Griechenland vorgeben. Die Auflistung zeigt aber, dass Angela Merkel kaum noch Spielraum hat für Konzessionen. Ein Grexit wird immer wahrscheinlicher.