Für Aussenstehende war es ein seltsames und manchmal befremdliches Schauspiel. Seit am vorletzten Donnerstag der Hinschied von Queen Elizabeth II. nach mehr als 70 Jahren auf dem Thron vermeldet wurde, stand das Vereinigte Königreich mehr oder weniger still. Während mehr als zehn Tagen wurde um die Langzeit-Monarchin getrauert.
Das führte zu kuriosen Episoden, die man wohl als «very british» bezeichnen kann. So erhielt die Warteschlange, in der eine Viertelmillion Menschen in London stundenlang für einen Blick auf den Sarg der Queen anstanden, eine eigene Wetterprognose. Weniger lustig war, dass Gegner der Monarchie teilweise verhaftet wurden, wenn sie öffentlich protestierten.
Die kollektive Trauer kulminierte am Montag im aufwändigen Staatsbegräbnis mit jeder Menge Pomp and Circumstance. Es wirkte wie eine Reminiszenz an das imperiale Britannien und erinnerte daran, dass die verstorbene Queen ein Kind jener Zeit war. So hatte sie sich bei allem Respekt nie für den Kolonialismus oder die Sklaverei entschuldigt.
Nun kehrt der triste Alltag zurück. Auf den neuen König Charles III. warten enorme Herausforderungen, genau wie auf die ebenfalls neue Premierministerin Liz Truss. Auf dem Spiel stehen die Zukunft der Monarchie und der gesellschaftliche Zusammenhalt.
Charles III. als «neu» zu bezeichnen, ist etwas vermessen. Fast sein gesamtes Leben hat sich der 73-Jährige auf die Thronfolge vorbereitet. In den letzten Jahren übernahm er immer mehr Aufgaben von seiner gebrechlichen Mutter. Dennoch dürfte mit ihm ein anderer Stil im Buckingham Palace Einzug halten, denn der König hat wenig Sinn für Diplomatie.
Die verstorbene Queen Elizabeth war während ihrer langen Regentschaft ein Ausbund an Disziplin und Distanziertheit. Praktisch nie fiel sie bei öffentlichen Auftritten aus der Rolle. Charles hingegen nutzte seine «Narrenfreiheit» als Thronfolger für provokante Wortmeldungen zu Themen wie Architektur, Ökologie oder Alternativmedizin.
Als König muss er sich zurücknehmen. Gleichzeitig muss er die verstaubte Monarchie erneuern. So will er sie offenbar verschlanken. Nur noch die «Kernfamilie» soll dem Steuerzahler auf der Tasche liegen. Auch die für Frühjahr oder Sommer 2023 geplante Krönung soll bescheidener ausfallen als die bombastische Inthronisierung seiner Mutter.
Ob Charles damit die Zukunft des Königshauses absichern kann, scheint fraglich. Laut einer YouGov-Umfrage befürworten zwei Drittel der Briten die Monarchie, aber die Zustimmung ist nach dem Tod der Queen nur leicht angestiegen. Und bei den Jungen sieht es ganz anders aus. Nur ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen hält die Monarchie für eine gute Sache.
Es gilt deshalb als sicher, dass Prinz William, der neue Thronfolger, von Anfang an eine wichtige Rolle neben seinem Vater spielen wird. Für Nervosität sorgt hingegen der zweite Sohn, Prinz Harry. Er nahm mit Ehefrau Meghan an den Trauerfeierlichkeiten teil, aber seine angekündigten Memoiren könnten neuen Ärger mit der Familie provozieren.
Es ist zudem absehbar, dass sich einige der 14 weiteren Länder, in denen König Charles als Staatsoberhaupt amtiert, von der Krone lösen und zur Republik erklären werden. Besonders stark ist die Absetzbewegung in der Karibik, wo die Kolonialzeit kaum verheilte Wunden hinterliess. Auch in Australien gibt es einen starken Drang zur Republik.
Der Start ins Amt hätte für Liz Truss kaum heftiger ausfallen können. Am 5. September wurde bekannt, dass die Mitglieder der Konservativen Partei sie zur neuen Vorsitzenden und damit auch zur Premierministerin gewählt hatten. Tags darauf wurde die 47-Jährige auf Schloss Balmoral in Schottland von Queen Elizabeth mit der Regierungsbildung beauftragt.
Er war die letzte offizielle Amtshandlung der Monarchin. Als Premierministerin Truss zwei Tage später ihr Massnahmenpaket gegen die explodierenden Energiepreise im Unterhaus vorstellte, wurde sie informiert, dass die Königin im Sterben liege. Seither ruhte die Politik auf der Insel. Am Donnerstag tritt das Parlament wieder zusammen, für einen Tag.
Danach folgt gleich die nächste Unterbrechung, für den alljährlichen Reigen der Parteitage. Immerhin soll die Pause von drei auf zwei Wochen verkürzt werden, was auch dringend nötig ist. Wegen der Energiekosten und der allgemeinen Inflation von mehr als zehn Prozent droht selbst mittelständischen Haushalten in Grossbritannien der soziale Abstieg.
Es ist ein Szenario mit Sprengkraft. Mehrere Gewerkschaften haben geplante Streiks einzig aus Respekt vor der Queen verschoben. Sie dürften bald nachgeholt werden. Die Bank of England hält eine Rezession für unvermeidlich. Liz Truss will nun Gegensteuer geben und die Energierechnungen der Privathaushalte bis 2024 bei rund 2400 Pfund pro Jahr einfrieren.
Das dürfte mindestens 100 Milliarden Pfund kosten, vermutlich in Form von Schulden. Eine «Übergewinnsteuer» für Energiekonzerne lehnen Truss und Finanzminister Kwasi Kwarteng ab. Kwarteng will am Freitag ein sogenanntes Mini-Budget vorstellen, das neben den Zuschüssen für Haushalte auch Steuersenkungen vorsieht, um Investoren anzulocken.
Ökonomen bezweifeln, dass dies funktioniert. Auch ein Freihandelsabkommen mit den USA werde es auf Jahre hinaus nicht geben, musste Truss auf dem Flug nach New York zur UNO-Generalversammlung zugeben. Dabei hatten Brexit-Befürworter behauptet, das Königreich könne solche Verträge abschliessen, wenn es von den EU-Fesseln «befreit» sei.
Der Brexit bleibt eine Baustelle, vor allem der vertraglich vereinbarte Sonderstatus für Nordirland, den schon Truss’ Vorgänger Boris Johnson einseitig abändern wollte. Auch der nationale Gesundheitsdienst NHS befindet sich in einer tiefen Krise. Patienten müssen wegen Personalmangel teilweise wochen- bis monatelang auf eine Behandlung warten.
Für Zoff mit dem neuen König könnten zudem die Pläne der Premierministerin in der Energiepolitik sorgen. Im Wahlkampf hatte sie gegen erneuerbare Energien polemisiert und sich für die Erschliessung neuer Öl- und Gasvorkommen unter anderem durch Fracking ausgesprochen. Das entspricht kaum den Vorstellungen des «grünen» Charles.
Während der Trauerzeit für Queen Elizabeth wurde ein Aspekt immer wieder betont: Die Königin bot der Nation als über der Tagespolitik stehendes Staatsoberhaupt Halt und Orientierung. Ob King Charles diese Rolle in gleicher Weise ausüben kann, könnte sich im Verhältnis zu Liz Truss schon bald zeigen.
Vielen Briten ist das sehr wohl bewusst.
Laut dem neuen Wirtschaftsminister Jacob Rees-Mogg werden sich schon in 50 Jahren die Vorteile des Brexits zeigen und die Fische sind jetzt schon glücklicher.
Die beiden grössten Vorteile des Brexits, nämlich Fracking ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und Staubsauger mit mehr als 1400 Watt Leistungsaufnahme, so das Ergebnis einer Leserumfrage der Daily Mail, können ja vorgezogen werden.
Und es gibt wieder blaue Reisepässe, allerdings "Made in Poland" statt "Made in the UK".
Geliefert, wie bestellt.