Frau Manea, in der Nacht zum Freitag haben die USA und Grossbritannien Stellungen der vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen angegriffen. Was heisst das nun für die angespannte Lage im Nahen Osten?
Elham Manea: Mit dem Angriff wurde eine weitere Eskalationsstufe erreicht. Trotzdem würde ich aber behaupten, dass die USA und der Iran kein Interesse daran haben, dass die Situation noch weiter eskaliert. Die Huthi hingegen würden eine Eskalation begrüssen.
Weshalb?
2015 hat Saudi-Arabien die arabische Koalition gegründet und versucht, mit einer Militärintervention die Kontrolle der Huthi in Nordjemen zu beenden. Doch dieser Versuch blieb erfolglos und die Situation für die Bevölkerung hat sich nicht verbessert. Dies stärkt die Macht der Huthi, denn sie können so die Menschen in Nordjemen mobilisieren und Saudi-Arabien und seine Verbündeten als Feinde darstellen. Die Huthi haben keine grosse Unterstützung ausserhalb der Region Saada. Würde Frieden einkehren, würde dies offenbaren, dass sie ausserhalb von Saada keine starke Wählerschaft haben – und so ihre Machtposition gefährden.
Die Huthi verfolgen also ihre eigenen Interessen im Kampf gegen Israel?
Genau. Der Kampf gegen Israel wird von den Huthi als Aufhänger genutzt, um die Unterstützung im Jemen zu erhöhen und einen nachhaltigen Friedensprozess zu erschweren.
Welche Rolle spielt der Iran bei diesen Angriffen der Huthi auf die israelischen Handelsschiffe?
Es wäre überraschend, wenn die Huthi sich nicht mit dem Iran koordinieren würden. Ein Indiz dafür ist die Anwesenheit eines iranischen Spionageschiffs, das für seine Rolle bei der Unterstützung der Huthi-Angriffe auf die Schifffahrt identifiziert wurde. Als klar wurde, dass die US-Koalition die Huthi angreifen würde, verliess das Schiff am frühen Donnerstag das Rote Meer in Richtung Bandar Abbas, einer Hafenstadt an der iranischen Südküste. Trotzdem, die Huthi sind keine Marionetten des Irans, obwohl sie ideologisch übereinstimmen. Sie sind eine jemenitische Miliz und haben ihre Wurzeln in lokalen und regionalen Missständen. Die Hisbollah beispielsweise wurde im Iran gegründet – die Huthi nicht. Dennoch bietet der Iran den Huthi-Vertretern militärische Ausbildungen und Unterstützung an.
Hat Sie der Angriff der USA und Grossbritannien auf die Stellungen der Huthi-Rebellen überrascht?
Nein, es war zu erwarten. Die Huthi haben die Infrastruktur im Roten Meer stark beeinträchtigt. Der Warenhandel und die Geschäfte werden so destabilisiert. Dies hätte die Weltwirtschaft gefährden können. Im UNO-Sicherheitsrat haben die USA die Huthi mehrfach vorgewarnt.
Was ist das Ziel der USA und Grossbritannien?
Vorab: Gegen eine Miliz wie die Huthi kann man nicht gewinnen. Die wichtigste Komponente sind nun die Handelsschiffe im Roten Meer. Es geht darum, die Raketen- und Drohnenangriffe zu beenden. Die Attacken der USA und Grossbritannien zielten auf die Waffenlager. Die USA haben jetzt aber Angst vor einer Eskalation.
Vor allem eine Eskalation mit dem Iran ist gefürchtet. Wird sich der Iran nun aktiv als Kriegspartei einschalten?
Es ist immer schwierig, solche Vorhersagen zu machen. Ich würde eher behaupten, dass der Iran keine direkte Konfrontation will. Aber der Iran muss den Eindruck erwecken, ein aktiver Teilnehmer der laufenden Konfrontation im Nahen Osten zu sein. Deswegen überlässt der Iran es seinen lokalen Vertretern, eine Politik der Abschreckung zu betreiben. Der Westen weiss, dass es verheerende Konsequenzen hätte, wenn der Iran zur aktiven Kriegspartei werden würde.
Aber die Waffen der Huthi kommen aus dem Iran, oder?
Ja, unter anderem kommen sie aus dem Iran. Aber auch von der Hisbollah und anderen schiitischen Milizen im Irak. Man sollte zudem nicht vergessen, dass der Iran mit Russland enge Verbindungen hat. Ich sage nicht, dass Russland in dem aktuellen Konflikt involviert ist, aber ich behaupte, dass viele Akteure ein Interesse an einer Eskalation haben und daran, die aktuelle Situation für die USA schwierig zu machen.
Von der Weltpolitik zur lokalen Bevölkerung: Was bedeuten diese Angriffe für die jemenitische Zivilbevölkerung?
Die Situation im Jemen ist prekär. Das Beispiel zeigt wieder einmal mehr, wie fundamentalistische Milizen ihre eigene Bevölkerung als menschlichen Schutzschild benutzen. 80 Prozent der jemenitischen Bevölkerung sind abhängig von humanitärer Hilfe. Die meisten Staatsbediensteten im Nordjemen haben seit mehreren Jahren keine Gehälter mehr erhalten, weil die Huthi und die international anerkannte jemenitische Regierung sich über die Zentralbank streiten. Die Lage ist aus humanitärer Sicht katastrophal. Aber die Huthi kümmern sich nicht um die Bevölkerung, sondern destabilisieren die Lage weiter.
Der Zivilbevölkerung im Jemen geht es also schon lange schlecht. Ist dies auf die arabische Militärintervention im Jemen, welche seit 2015 stattfindet, zurückzuführen?
Nein, nicht nur. Es ist eine Kombination aus dieser Intervention und der Aggressionen der Huthi und anderer Akteure. Die Huthi hätten verschiedene Möglichkeiten, die Situation für die Bevölkerung zu verbessern. Aber sie machen es nicht. Beispielsweise werden die humanitären Hilfsgüter nicht fair an die Zivilbevölkerung verteilt, sondern die Huthi-Anhänger erhalten einen Grossteil. Die humanitäre Katastrophe ist von Menschenhand gemacht und alle Akteure sind beteiligt.