Erst am Samstag hat das Regime in Iran zwei Männer hinrichten lassen. Ihr Verbrechen: «Krieg gegen Gott». In Iran wurden seit Beginn der Proteste vor vier Monaten mehrere Todesurteile gegen Demonstranten ausgesprochen und vier bereits vollstreckt – eines davon öffentlich.
Und bald sollen die nächsten sterben: der 22-jährige Mohammad Ghobadlou und der 19-jährigen Mohammad Boroughani. Das ging zumindest aus Meldungen in Online-Medien hervor.
Ghobadlou wurde in der Stadt Karadsch festgenommen, wie die «New York Times» recherchierte. Die iranische Justiz hat ihn zum Tode verurteilt, weil er ein Regierungsgebäude in Brand gesteckt und einen Sicherheitsbeamten verletzt haben soll. Boroughani ist Coiffeur und wurde in Teheran kurz nach Ausbruch der Proteste Ende September festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, einen Polizisten überfahren zu haben.
Das Todesurteil der Männer sei vom Obersten Gericht bestätigt und beide seien mittlerweile in Einzelhaft verlegt worden, so «Al Jazeera». Dies habe den Familien und Aktivisten Anlass zur Sorge gegeben, dass die Hinrichtungen unmittelbar bevorstünden. Die Justiz habe sich nicht dazu geäussert, wann die Hinrichtungen durchgeführt werden würden.
Nach Angaben von Aktivisten haben am Montag zahlreiche Menschen gegen die scheinbar bevorstehenden Hinrichtungen der beiden Demonstranten protestiert. Videos zeigen eine Menschenmenge, die sich vor der berüchtigten Gohardascht-Haftanstalt in Karadsch nahe der Hauptstadt Teheran versammelte.
The fearlessness of #Iran|ians is incredible. They are protesting all night in front of prison to prevent the executions of #MohammadGhobadlou and #MohammadBoroughani - and at least for today, it seems they were successful. 💚🤍❤️#StopExecutionsInIran pic.twitter.com/OjfK6xP8HY
— Hannah Neumann (@HNeumannMEP) January 9, 2023
Auch Angehörige der Männer eilten dahin. Ghobadlous Mutter sagt in einem Video:
Tatsächlich habe Ghobadlou vor Gericht aus seiner Krankenakte zitiert, die eine Vorgeschichte von Geisteskrankheiten belege, wie «Al-Jazeera» schreibt. Ein Staatspsychologe habe aber ausgesagt, dass er sich seiner Handlungen bewusst gewesen sein müsse.
Amir Raesian, der Anwalt Ghobadlous, meldete am frühen Montag in einem Tweet, dass er Berufung gegen das Todesurteil seines Mandanten eingelegt habe – weshalb das Oberste Gerichtshof gesetzlich verpflichtet sei, das Hinrichtungsurteil bis zur Überprüfung auszusetzen.
Währenddessen hat die Justiz am Montag weitere Urteile im Zusammenhang mit den systemkritischen Protesten gesprochen: Fünf Männer erhielten vorläufige Hinrichtungsurteile wegen «Krieg gegen Gott», wie die offizielle Nachrichtenagentur der iranischen Justiz mitteilte.
Wie das Justizportal Misan am Montag bekannt gab, werde den Verurteilten zur Last gelegt, im November drei Sicherheitsbeamte in der Millionenstadt Isfahan im Zentraliran getötet zu haben. Ihre Namen sind: Saleh Mirhaschemi, Majid Kazemi und Saeid Yaghoubi.
Zudem wurde der ehemalige Profifussballer Amir Nasr Azadani zu insgesamt 26 Jahren Haft verurteilt, ein weiterer Mann zu zwei Jahren.
Gegen die Urteile kann noch Berufung eingelegt werden.
Amnesty International, die USA und die Europäische Union haben die Todesurteile und die Hinrichtungen durch die iranische Regierung aufs Schärfste verurteilt und erklärt, sie seien nach «Scheinprozessen» erfolgt – was die iranische Justiz zurückgewiesen hat.
Der Star-Stürmer der iranischen Fussballnationalmannschaft, Mehdi Taremi, twitterte am Sonntag:
Die Menschen in Iran protestieren derweilen weiter. Die Demonstrationen am Sonntag anlässlich des dritten Jahrestags des Abschusses der ukrainischen Passagiermaschine PS752 durch Irans Revolutionsgarden (IRGC) seien die grössten seit mehr als einem Monat gewesen, hiess es in einem Bericht der in Washington ansässigen Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) am Montag. In mindestens 17 Städten seien die Menschen auf die Strassen gegangen.
Seit dem Abschuss der Passagiermaschine kämpfen Hinterbliebene für Gerechtigkeit. Die Boeing-Maschine war inmitten militärischer Spannungen mit den USA am 8. Januar 2020 kurz nach dem Start in Teheran von der iranischen Luftabwehr abgeschossen worden. Alle 176 Passagiere starben. In einem Abschlussbericht sprach der Iran von einem «menschlichen Fehler» und erklärte sich bereit, Schadenersatz zu zahlen. Angehörige sind bis heute der Meinung, dass die Verantwortlichen nicht ausreichend zur Rechenschaft gezogen wurden.
Auslöser der jüngsten Protestwelle im Iran war der Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 in Polizeigewahrsam. Die iranische Kurdin war von der sogenannten Sittenpolizei wegen Verstosses gegen die im Iran geltenden islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden. Seither gibt es immer wieder Proteste gegen den repressiven Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem.
(yam, mit Material der sda/dpa)