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Wahlen in Japan: Was du wissen musst

epa10063066 Voters look on posters of candidates for the Upper House election outside a polling station in Tokyo, Japan, 10 July 2022. EPA/KIMIMASA MAYAMA
In Japan wird heute die Hälfte aller Sitze des Oberhauses gewählt.Bild: keystone

Nach Abe-Attentat: Was du zur Japan-Wahl heute wissen musst

10.07.2022, 11:05
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Unter dem Eindruck des Attentats auf Japans früheren Ministerpräsidenten Shinzō Abe sind die Wähler des Landes am Sonntag zur Abstimmung über die Besetzung des Oberhauses des nationalen Parlaments aufgerufen gewesen.

Der Politiker war zwei Tage zuvor während einer Wahlkampfrede auf offener Strasse erschossen worden. Bereits vor seiner Ermordung durch einen Ex-Marinesoldaten zeigten Umfragen, dass Abes Liberaldemokratische Partei (LDP) und ihr kleinerer Partner Komeito ihre bisherige Mehrheit festigen dürften. Alle drei Jahre wird die Hälfte der 245 Sitze im Oberhaus neu vergeben. Die Wahllokale schliessen um 20.00 Uhr Ortszeit (13 Uhr Schweizer Zeit).

Ein klarer Sieg würde die Machtposition von Regierungschef Fumio Kishida in einer Zeit stärken, in der Japans wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie durch steigende Energie- und Lebensmittelpreise bedroht ist. Angesichts der russischen Invasion in der Ukraine und des Machtstrebens Chinas fordert seine Partei zudem eine starke Erhöhung der Militärausgaben.

Wie sieht die Parteien-Landschaft in Japan aus?

Japan hat – ähnlich wie die Schweiz – eine bunte Parteienlandschaft, wobei eine Partei besonders dominierte: Die Liberaldemokratischen Partei regiert seit 1955 beinahe durchgehend. Der getötete ehemalige Premierminister Shinzō Abe gehörte ihr auch an. Sie gilt im internationalen Verständnis als klassische national-konservative Partei, wobei sie auch tief braune Strukturen hat: Anhängerinnen und Anhänger der LDP-nahen Nippon-Kaigi-Organisation will nicht nur die kaiserliche Monarchie stärken, sondern vertritt auch ultrakonservative, traditionalistische und nationalistische Positionen. Sie lehnt feministisches Gedankengut ab und bekämpft die Gleichstellung aller sexuellen Orientierungen.

Die LDP ist auch in der laufenden Amtszeit die stärkste Partei und dürfte den Umfragen zufolge erneut als Wahlsiegerin hervorgehen. Umfragen, die vor dem Attentat veröffentlicht wurden, gehen sogar von einer absoluten Mehrheit aus.

Die Opposition dürfte einmal mehr chancenlos sein: Sie ist aufgesplittert in eine Vielzahl Kleinstparteien. Auch die ein bisschen progressivere LDP-Abspaltung namens Konstitutionell-Demokratische Partei (CDP) dürfte kaum Sitze zulegen können.

Letzte Entwicklungen nach dem Attentat

Religiöse Motive hinter Attentat vermutet

Unterdessen wurde der verhaftete Abe-Attentäter am Sonntag der Staatsanwaltschaft überstellt. Der zuletzt Arbeitslose hatte den Politiker am Freitag bei einer Wahlkampfrede in der Stadt Nara auf offener Strasse mit einer selbstgebauten Waffe erschossen. Er sagte nach seiner Verhaftung laut Medienberichten, er habe aus Hass auf eine religiöse Gruppierung gehandelt, die Abe unterstützt habe.

Seine Mutter habe der religiösen Organisation hohe Summen gespendet, was sie ruiniert habe. Den Namen der Gruppe wollen weder Polizei noch Japans staatstragende Medien bisher nennen. Das Online-Magazin «Gendai Business» will jedoch nun aus Ermittlungskreisen erfahren haben, dass es sich um die umstrittene Vereinigungskirche des verstorbenen koreanischen Sektengründers San Myung Mun handele.

Die auch als Mun-Sekte bekannte Vereinigungskirche hat Mitglieder in vielen Ländern, darunter auch in Japan, und unterstützt konservative politische Anliegen. Politiker wie der frühere US-Präsident Donald Trump und Abe gelten als ihr freundlich gegenüber eingestellt.

Mun, der stark anti-kommunistisch gesinnt war, gründete sie 1954. Dank einer ergebenen Gefolgschaft baute er ein Firmenimperium auf, das ihn zum Milliardär machte. Er war bekannt für grosse Auftritte, wozu auch Massenhochzeiten gehörten. Bereits zuvor hatte es in Japans sozialen Medien Spekulationen gegeben, dass der Abe-Attentäter diese Gruppe gemeint haben könnte. Eine Bestätigung dafür gibt es nicht.

Der geständige Attentäter verneinte laut Medien im Verhör, aus Groll über Abes politische Überzeugungen gehandelt zu haben. Ursprünglich habe er es auch gar nicht auf den rechtskonservativen Politiker abgesehen gehabt, sondern auf einen Anführer der religiösen Gruppe. Laut der Nachrichtenagentur Kyodo vom Sonntag soll er versucht haben, eine Bombe zu bauen. In seiner Wohnung fand die Polizei Sprengstoff und selbstgebastelte Schusswaffen, die der Tatwaffe ähnelten. Mit dieser habe er nach eigenen Aussagen sechs Kugeln auf einmal abfeuern können, meldete die japanische Zeitung «Yomiuri Shimbun» am Sonntag.

Grosse Sicherheitsvorkehrungen

Wegen des Anschlags waren die letzten Wahlkampfauftritte begleitet von starken Sicherheitsvorkehrungen. Es ist in Japan eigentlich üblich, dass Politiker dabei kaum Abstand zu Bürgern halten. Als Kishida jedoch in den Präfekturen Yamanashi und Niigata seine letzten Auftritte absolvierte, waren viele Polizisten im Einsatz, Bürger wurden mit Metalldetektoren überprüft. «Wir werden niemals Gewalt nachgeben. Lasst uns die Demokratie beschützen», rief Kishida.

Unterdessen räumte Japans Polizei Mängel beim Schutz von Ex-Premier Abe ein. In einem Schild eines Wahlkampfautos des örtlichen Kandidaten, für den Abe die Rede hielt, seien mehrere Einschusslöcher entdeckt worden, hiess es am Samstag ohne nähere Angaben. «Es ist unbestreitbar, dass es Probleme mit der Sicherheit gab», räumte der Chef der Präfekturpolizei von Nara, Tomoaki Onizuka, ein. Der Täter hatte sich am Vortag in der Stadt Nara ungehindert dem auf einer Verkehrsinsel stehenden Abe von hinten nähern können.

Am Montag ist eine Totenwache für den Ermorderten und am folgenden Tag die Bestattung im Kreise engster Angehöriger vorgesehen, wie sein Büro bekanntgab. US-Aussenminister Antony Blinken wollte auf seinem Weg von Bangkok einen Stopp in Japan einlegen, um sein Beileid für Abes Tod zum Ausdruck zu bringen, teilte das State Department am Sonntag mit. (sda/dpa)

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